Der Gattungsname Thiomargarita bedeutet so viel wie ‚Schwefelperle‘ und spielt auf die Schnüre weißglänzender, kugelförmiger Zellen an, die an Perlenketten erinnern.[6]
Molekulargenetischen Untersuchungen zufolge ist Thiomargarita eng verwandt mit der Gattung Thioploca,[8] die vor den Küsten Perus und Chiles (Spezies Thioploca chileae und Thioploca araucae, spanischBahía de Concepción, englischBay of Concepción[9][10]) ähnliche ökologische Nischen ausfüllt, sowie der Gattung Beggiatoa. Dabei erschien 2005 Thiomargarita ebenso wie Thioploca ingrica innerhalb der Gattung Beggiatoa (in ihrem überkommenen Umfang) positioniert,[11] andere Untersuchungen sehen auch noch Thioploca araucae und Thioploca chileae als Teil einer Schwestergruppe von Thiomargarita.[12][13]
Die Gattung Beggiatoa in ihrem herkömmlichen Umfang erwies sich also als nicht monophyletisch.
Innerhalb der Familie Thiotrichaceae zeichneten sich zwei Hauptkladen ab, die eine mit Thiomargarita und den ersten Teil (I) von Beggiatoa, die andere mit dem restlichen Teil (II) von Beggiatoa.[11]
Darauf folgende Untersuchungen führten zum Vorschlag weiterer Gattungen, was mit einer weiteren Aufspaltung der Gattung Beggiatoa in ihrem herkömmlichen Umfang einherging. Es wurde daher vorgeschlagen, diese Gattung aufzuspalten, mit einer ganze Reihe von Abkömmlingen (Isobeggiatoa, Maribeggiatoa, Parabeggiatoa, Allobeggiatoa) neben der eigentlichen Gattung Beggiatoasensu stricto.
Das hier angegebene Kladogramm folgt und Winkel et al. (2016)[14] und Bailey et al. (2011),[15][16] die beiden Hauptzweige enthalten (neben anderen) die bei Kalanetra et al. (2005) als Beggiatoa (I) respektive (II) identifizierten Vertreter (mit Genbank-Zugriffsnummern):[11]
Thiomargarita namibiensis ist derzeit der einzige offiziell beschriebene Vertreter der Gattung. Die Zellen dieser Bakterienart können so groß wie Mohnsamen werden (Durchmesser 0,75 mm), weil ihr Zellinhalt durch einen riesigen, mit Wasser und Nitraten gefüllten Sack oder Beutel (englischsac, Vakuole) an die äußere Zellwand gepresst wird. Die Zelle lebt also nur entlang dieses Randes, und die lebenswichtigen Moleküle können daher trotzdem hinein- und hinausdiffundieren.
Daher überwinden diese Bakterien das theoretische Limit für die Größe von Prokaryoten, das durch die Nahrungsaufnahme und Ausscheidung von Giftstoffen bedingt ist.[25][32] Da die Außenfläche quadratisch, das Volumen aber kubisch mit der Längenausdehnung einer Zelle zunimmt, ist das Verhältnis Volumen zu Oberfläche umgekehrt proportional zur Längenausdehnung. Ver- und Entsorgung werden mit zunehmender Größe daher immer schwieriger.[33]
In den Jahren 2004–2005 wurde von Kalanetra et al. vor der mexikanischen Küste allerdings ein bisher formal nicht beschriebenes Schwefelbakterium entdeckt, das molekulargenetischen Untersuchungen zufolge genetisch zu 99 % mit Thiomargarita namibiensis übereinstimmt als Mitglied der Gattung gilt (Thiomargarita sp. clone SBC11, Zugriffsnummer AY632420).[16][17][11]
Mit 180 bis 375 µm erreicht diese Art ähnliche Größen, lebt allerdings nicht in Ketten, sondern tritt als Einzelzelle oder Cluster (Zellhaufen) in Erscheinung.
Die Art ist auch zur sogenannten „reduktiven Zellteilung“ fähig: Sinkt die Sulfidkonzentration ihres Habitats unter einen gewissen Schwellenwert, beginnt sich die Zelle in kleinere Einheiten zu teilen, ohne dass der Cluster dieser Nachkommen insgesamt an Größe gewinnt.[11][16]
Die Art ist identisch oder zumindest nahe verwandt mit der 2011 vorgeschlagenen Spezies Ca. Thiomargarita nelsonii.[14] Offenbar wegen der hohen Diversität der unter diesem Namen zusammengefassten Stämme unterscheidet die Genome Taxonomy Database (GTDB) zwei Spezies Thiomargarita nelsonii_A (mit Referenzstamm THI036[29]) und T. nelsonii_B (mit Referenzstamm Hydrate Ridge, ein Epibiont[30]).[31]
Im Jahr 2022 wurde die Entdeckung eines extrem großes Mitglieds der Gattung mit dem vorläufigen Namen Ca.Thiomargarita magnifica (alias Ca. Thiomargarita sp. Lot2[26]) bekannt gegeben. Dessen Zellen sind bis zu 2 cm groß und mit bloßem Auge leicht zu erkennen.[25][34]
Die Zellen enthalten zwei Typen von Membransäcken (en. membrane sacs).[25]
Der eine ist eine wassergefüllte Vakuole und scheint wie bei T. namibiensis der Grund für die extreme Größe der Bakterienzellen zu sein.[25]
Der andere sind DNA-gefüllte Granulen (en. membrane-bound granules), worin sich das gesamte Genom der Zelle befindet.[25]
Diese DNA-Kompartimente stellen daher einen neuen Typ prokaryotischerOrganellen dar.
Da solch abgegrenzte Bereiche für das Genom üblicherweise nur von Eukaryoten bekannt sind, hat die Entdeckung eine Bedeutung für die Abgrenzung von Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) einerseits und Eukaryoten andererseits.[25]
Auch das Genom selbst ist für Bakterien sehr groß, u. a. deshalb, weil es mehr als 500.000 Kopien der gleichen DNA-Abschnitte gibt (vgl. Polyploidie), aber auch die Anzahl klar unterscheidbarer Gene ist sehr groß.[25]
↑
Verena Salman, Rudolf Amann, Anne-Christin Girnth, Lubos Polerecky, Jake V. Bailey, Signe Høgslund, Gerhard Jessen, Silvio Pantoja, Heide N. Schulz-Vogt: A single-cell sequencing approach to the classification of large, vacuolated sulfur bacteria. In: Systematic and Applied Microbiology. 34. Jahrgang, Nr.4, 1. Juni 2011, ISSN1618-0984, S.243–259, doi:10.1016/j.syapm.2011.02.001, PMID 21498017 (sciencedirect.com).
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Verena Salman, Jake V. Bailey, Andreas Teske: Phylogenetic and morphologic complexity of giant sulphur bacteria. In: Antonie Van Leeuwenhoek, Band 104, Nr. 2, August 2013, S. 169–186; doi:10.1007/s10482-013-9952-y.
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Beverly E. Flood, Palmer Fliss, Daniel S. Jones, Gregory J. Dick, Sunit Jain, Anne-Kristin Kaster, Matthias Winkel, Marc Mußmann, Jake Bailey: Single-Cell (Meta-)Genomics of a Dimorphic Candidatus Thiomargarita nelsonii Reveals Genomic Plasticity. In: Frontiers in Microbiology. 7. Jahrgang, 1. Januar 2016, S.603, doi:10.3389/fmicb.2016.00603, PMID 27199933, PMC 4853749 (freier Volltext).
↑Validation List Number 71: Validation of publication of new names and new combinations previously effectively published outside the IJSB. In: International Journal of Systematic Bacteriology. 1999, 49, S. 1325–1326.
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Karen M. Kalanetra, Samantha B. Joye, Nicole R. Sunseri, Douglas C. Nelson: Novel vacuolate sulfur bacteria from the Gulf of Mexico reproduce by reductive division in three dimensions. In: sfam Environmental Microbiology, Band 7, Nr. 9, September 2005, S. 1451–1460; doi:10.1111/j.1462-2920.2005.00832.x, PMID 16104867.
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↑
Andreas Teske: Fig. 9, in: Heide N. Schulz: The Genus Thiomargarita, S. 1160.
↑ abcd
Matthias Winkel, Verena Salman-Carvalho, Tanja Woyke, Michael Richter, Heide N. Schulz-Vogt, Beverly E. Flood, Jake V. Bailey, Marc Mußmann: Single-cell Sequencing of Thiomargarita Reveals Genomic Flexibility for Adaptation to Dynamic Redox Conditions. In: Front. Microbiol., Band 7, 21. Juni 2016; doi:10.3389/fmicb.2016.00964, ISSN 1664-302X. Siehe insbes.Fig. 1.
↑ ab
Jake V. Bailey, Verena Salman, Gregory W. Rouse, Heide N. Schulz-Vogt, Lisa A. Levin, Victoria J. Orphan: Dimorphism in methane seep-dwelling ecotypes of the largest known bacteria. In: Nature ISME Journal, Band 5, S. 1926–1935, 23. Juni 2011; doi:10.1038/ismej.2011.66, PMID 21697959, PMC 3223306 (freier Volltext). Siehe insbes. Fig. 5.
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↑
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Jean-Marie Volland, Silvina Gonzalez-Rizzo, Olivier Gros, Tomáš Tyml, Natalia Ivanova, Frederik Schulz, Danielle Goudeau, Nathalie H. Elisabeth, Nandita Nath, Daniel Udwary, Rex R. Malmstrom, Chantal Guidi-Rontani, Susanne Bolte-Kluge, Karen M. Davies, Maïtena R. Jean, Jean-Louis Mansot, Nigel J. Mouncey, Esther Angert, Tanja Woyke, Shailesh V. Date: A centimeter-long bacterium with DNA compartmentalized in membrane-bound organelles (PDF). Auf: bioRxiv vom 18. Februar 2022; doi:10.1101/2022.02.16.480423 (PrePrint).
↑ abNCBI Nucleotide: PRJNA266451, Sequencing the genome of the largest known bacterium: Thiomargarita nelsonii, epibiont of Hydrate Ridge gastropods - BioProject.