Tichel

Ultraorthodoxe jüdische Familie in Tel Aviv: Der Mann trägt einen Schtreimel, seine Frau ein Tichel. (2014)

Tichel (jiddisch: טיכל), dementsprechend Mitpachat (hebräisch: מִטפַּחַת), ist das jiddische Wort für das Kopftuch, das viele verheiratete orthodoxe und ultraorthodoxe jüdische Frauen gemäß Zniut tragen. Das Erscheinungsbild des Tichels variiert vom einfarbigen Baumwolltuch, das im Rücken gebunden ist, bis hin zu aufwändigen Kopfbedeckungen mit mehreren Stoffen und Bindetechniken.[1]

Das jiddische Wort Tichel ist die Verkleinerungsform von Tuch und das entsprechende bairische Diminutiv Tiachal, Tücherl („kleines Stück Stoff“).[2][3]

Obwohl das Alte Israel in der Öffentlichkeit keine permanente Gesichtsverhüllung kannte, galt das Tragen einer Kopfbedeckung als Indiz für Sittsamkeit und Ehre, zumal sich Prostituierte durch ihr offenes Haupthaar zu erkennen gaben. Im Mittelalter wurde der Brauch etabliert, dass jüdische Frauen nach der Hochzeit ihr Haar kürzten und als Kopfschmuck entweder eine Haube oder ein Kopftuch, das Tichel, trugen. Diese Tradition wurde durch verschiedene Verse des Tanach untermauert (Genesis 24,64-65,[4] Jesaja 47,2,[5] Hohelied 4,1[6]) und in der Mischna, Ketubba (7,6) weiter ausgeführt, worin Verhaltensweisen erörtert werden, die Gründe für eine Scheidung liefern. Etwa: „mit unbedecktem Kopf in der Öffentlichkeit auftreten, Wolle auf dem Markt spinnen oder sich mit jedem Mann unterhalten“.[7][8] Der jüdische Philosoph und Rechtsgelehrte Moses Maimonides bekräftigte diese Auffassung in Hilchot Issurei Biah (21,17),[9] einer thematischen Sammlung verbotener sexueller Beziehungen.[10]

Nach aktueller jüdisch orthodoxer Rechtsauffassung gilt die weibliche Haarpracht als ein sinnliches Sexualattribut, das bei verheirateten Frauen in der Öffentlichkeit verborgen bleiben soll. Aus diesem Grund zeigt nach orthodoxer Überlieferung eine verheiratete Frau ihr Kopfhaar nur dem Ehemann.[8] Rab Scheschet begründete diese Entscheidung bereits im babylonischen Talmud.[11] Weitere Rabbiner beriefen sich auf das Hohelied 4,1,[6] und 6,5,[12] worin das weibliche Haupthaar in blumiger Sprache die sinnlich-erotische Natur (ervah) widerspiegelt.[10][8] Unverheiratete Frauen dürfen im orthodoxen Judentum ihr Haar unbedeckt tragen.

Erscheinungsformen

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Das Erscheinungsbild der weiblichen Kopfbedeckung variiert in jeder Gruppierung des orthodoxen Judentums. Während Anhängerinnen des orientalischen und sephardischen Judentums nach der Hochzeit gemäß Landessitte einen kostbar verzierten Turban tragen, bevorzugen religiöse Zionistinnen mitunter einen Hut oder ein Haarnetz (mitpachat). Manche ultraorthodoxe Frauen verwenden Perücken (scheitel), die sie von unverheirateten Mädchen unterscheiden. Dieser Brauch manifestierte sich in bestimmten europäischen ultraorthodoxen Kreisen gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als in Frankreich hochwertige Perücken in Mode kamen und für das Tichel eine zunehmende Konkurrenz darstellten.[10] Bei einigen ultraorthodoxen Denominationen, die vorwiegend aus Ungarn stammen, besteht der Brauch, dass sich Frauen unmittelbar nach der Heirat das Haupthaar scheren lassen. Begründet wird diese Tradition auch mit Verweis auf die Mikwe, deren Wasser an jede Körperstelle gelangen soll. In manchen streng orthodoxen Kreisen tragen verheiratete Frauen als äußeres Merkmal für ihren Ehestand zusätzlich zu ihrem scheitel ein Tichel.[8]

Commons: Tichel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Amy K. Milligan: Hair, Headwear, and Orthodox Jewish Women. Lexington Books, Lanham 2014, ISBN 978-0-7391-8366-3, S. 106.
  2. Wolfgang Pfeifer (Hrsg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen 1. A - G. Akademie-Verlag, Berlin 1989, ISBN 3-05-000643-9, S. 1856.
  3. Deborah E. Kraak: Religious Clothing in the West. Judaism. In: Mircea Eliade (Hrsg.): The encyclopedia of religion. 3 [CABA - CONA]. Macmillan, New York 1987, ISBN 0-02-909720-7, S. 540–541.
  4. Das Buch Genesis, Kapitel 24. In: Universität Innsbruck. Abgerufen am 1. Januar 2021.
  5. Das Buch Jesaja, Kapitel 47. In: Universität Innsbruck. Abgerufen am 1. Januar 2021.
  6. a b Das Hohelied, Kapitel 4. In: Universität Innsbruck. Abgerufen am 1. Januar 2021.
  7. Mishnah, Ketubot 7:6. In: Sefaria.org. Abgerufen am 31. Dezember 2020 (englisch).
  8. a b c d Walter Homolka (Hrsg.): Basiswissen Judentum. Herder, Freiburg / Basel / Wien 2015, ISBN 978-3-451-32393-5, S. 415–416.
  9. Moses Maimonides, übersetzt von Eliyahu Touger: Issurei Biah - Chapter Twenty One. In: chabad.org. Abgerufen am 1. Januar 2021 (englisch).
  10. a b c Michal Harari: Glossar. Scheitel. In: Jüdische Allgemeine. 5. Februar 2013, abgerufen am 1. Januar 2021.
  11. Rachel Neis: The Sense of Sight in Rabbinic Culture. Cambridge University Press, Cambridge 2013, ISBN 978-1-107-03251-4, S. 119 (englisch).
  12. Das Hohelied, Kapitel 6. In: Universität Innsbruck. Abgerufen am 1. Januar 2021.