Als tu-quoque-Argument (lateinisch tu quoque ‚auch Du‘) wird der argumentative Versuch bezeichnet, eine gegnerische Position oder These durch einen Vergleich mit dem Verhalten des Gegners zurückzuweisen. Es kann als Variante des personenbezogenen Arguments (argumentum ad hominem) verstanden werden[1] und kommt insbesondere gegen moralische Bewertungen oder Vorschriften zum Einsatz.[2] Ein Ursprung soll in Caesars letzten Worten καὶ σύ, τέκνον ‚Auch du, mein Sohn?!‘, überliefert von Sueton (Kaiserviten I, 82) liegen (vgl. Tu quoque fili?).
Beim tu quoque-Argument wird die argumentative und/oder moralische Berechtigung, eine Behauptung oder Vorschrift aufzustellen, in Frage gestellt. Dabei wird mehr oder weniger stillschweigend das Prinzip vorausgesetzt, dass man ein Verhalten oder eine Ansicht nicht kategorisch verbieten kann, das man bei sich selbst oder anderen billigt.
In einem zweiten Schritt wird zudem behauptet, dass die aufgestellte Behauptung, da sie zu Unrecht vorgebracht wurde, falsch sei oder zumindest zurückgenommen werden muss und im weiteren Verlauf der Argumentation nicht verwendet werden darf.[2]
Dieser zweite Schritt des tu-quoque-Arguments ist ein logischer Fehlschluss, da allein aus dem Fehlen der moralischen Berechtigung zu einer Forderung oder Behauptung nicht deren Falschheit folgt. Aber auch die moralische Berechtigung kann nicht wirksam bestritten werden, wenn der, dem das Argument entgegengehalten wird, seine Meinung oder sein Verhalten aus gutem Grund geändert hat oder eine Ausnahme geltend machen kann. Die Argumentationsfigur eignet sich vor allem dazu, die moralische Autorität zu untergraben. Ein tu-quoque-Argument ist daher umso wirkungsvoller, je mehr sich der Gegner als moralisch überlegen präsentiert hat.[3]
Die allgemeinere rhetorische Figur, einen Missstand durch den Verweis auf einen anderen zu relativieren, wird in jüngerer Zeit als Whataboutism bezeichnet.[4] Auch hier geht es oft um die moralische Berechtigung zu einer Behauptung oder Forderung, allerdings ist hier der Zusammenhang zwischen der Forderung und der Zurückweisung noch vager.
Im Vertragsrecht verhindert der tu quoque-Einwand die Berufung auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrags bei mangelnder eigener Vertragstreue.[5]
Nach überwiegender Meinung enthält § 320 BGB als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Erfordernis der eigenen Vertragstreue des Schuldners.[6] Sie steht deshalb nur demjenigen zu, der selbst vertragstreu ist. Wegen der synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung kann der Schuldner bei mangelnder Vertragstreue des Gläubigers seine Leistung verweigern.[7][8] Dafür ist jedoch erforderlich, dass das Verhalten des Gläubigers nach Art und Tragweite geeignet ist, den Vertragszweck zu gefährden oder zu vereiteln.[9] Ebenso ist etwa die Ausübung eines vertraglichen Rücktrittsrechts ausgeschlossen, wenn der Zurücktretende selbst nicht vertragstreu ist.[10] Im Wettbewerbsrecht berechtigt ein unlauteres Verhalten der einen Partei die andere Partei nicht ihrerseits zu unlauterem Wettbewerb.[11]
Im Völkerrecht spielt das tu-quoque-Argument im Zusammenhang mit dem dort herrschenden Prinzip der Reziprozität eine beachtliche Rolle.[12]
Die Verteidigung im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg machte als Strafausschließungsgrund geltend, dass auch die Alliierten Angriffskriege geführt und Kriegsverbrechen begangen hätten. Dies wurde abgewiesen, da man hier die jeweiligen nationalen Gerichte zuständig sah.[13]