Unterkapitalisierung (englisch thin capitalization) liegt in der Betriebswirtschaftslehre und im Gesellschaftsrecht vor, wenn eine Kapitalgesellschaft im Verhältnis zu ihrer Betriebsgröße und Geschäftstätigkeit ein unzureichendes Eigenkapital aufweist. Der Gegenbegriff ist Überkapitalisierung.
Der Begriff der Unterkapitalisierung wird von Fachliteratur und Rechtsprechung im Gesellschaftsrecht verwendet, beruht jedoch auf betriebswirtschaftlichen Ursachen. Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob eine Unterkapitalisierung bei einer Kapitalgesellschaft vorliegt, ist das Eigenkapital. Es wird ins Verhältnis gesetzt zur Betriebsgröße, zu den Umsatzerlösen oder dem Geschäftsvolumen. Ist das Eigenkapital im Verhältnis zu den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen (etwa die Eigenkapitalquote) zu gering, wird von Unterkapitalisierung gesprochen.[1]
Allerdings stehen eindeutige betriebswirtschaftliche Grundsätze, die nach Betriebszweck und Betriebsgröße eines Unternehmens Maßstäbe für dessen Kapitalisierung abgeben könnten, nicht zur Verfügung.[2] Auch allgemeine Regeln über das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital fehlen.[3] Im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum ist allgemein anerkannt, dass sich eine Obergrenze für den Verschuldungsgrad weder theoretisch begründen noch empirisch herleiten lässt.[4] Bestimmungen über das betriebswirtschaftlich notwendige Eigenkapital bzw. die erforderliche Finanzausstattung einer GmbH haben sich bislang nicht aufzeigen lassen.[5]
Die Unterkapitalisierung ist ein Finanzrisiko und entsteht, wenn entweder bereits bei Unternehmensgründung ein Missverhältnis zwischen Eigenkapital und Geschäftsvolumen besteht oder später durch überproportionales Unternehmenswachstum eintritt und hierdurch eine Unterfinanzierung entsteht. Folgen der Unterkapitalisierung können kurzfristig Liquiditätsengpässe sein und mittelfristig eine Verringerung der Produktivität, weil meist Reinvestitionen unterbleiben.
Betrachtet man lediglich die Investitionen (Sachinvestitionen und immaterielle Investitionen), so besteht im Idealfall eine Balance zwischen Finanzierung und Investition , wenn
Eine Unterkapitalisierung liegt entsprechend vor, wenn
Hierbei sind die Investitionen nicht vollständig durch die Eigen- und/oder Fremdfinanzierung gedeckt.
Der Begriff der Unterkapitalisierung ist ein Rechtsbegriff, der auf betriebswirtschaftlichen Ursachen beruht. Eine Gesellschaft ist unterkapitalisiert, wenn ihr Kapital für den satzungsmäßigen Zweck unzureichend ist.[6] Bei einer Unterkapitalisierung unterlassen die Gesellschafter die notwendige Kapitalausstattung. Der Gesellschaft wird Vermögen vorenthalten, so dass „das Eigenkapital nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit bestehenden, nicht durch Kredite Dritter zu deckenden mittel- oder langfristigen Finanzbedarf zu befriedigen.“[7]
Man unterscheidet zwischen nomineller und materieller Unterkapitalisierung.[8]
Der BGH verfolgte seit Juni 2000 ein eigenständiges Haftungsinstitut der subsidiären Außenhaftung.[10] Dieses (auch als Durchgriffshaftung bezeichnete Rechtsinstitut) ermöglichte dem Gläubiger einer unterkapitalisierten GmbH – entgegen dem im Regelfall geltenden Trennungsprinzip – auf das Privatvermögen der Gesellschafter zuzugreifen. Die materielle Unterkapitalisierung wird in der Literatur als Fall der Durchgriffshaftung der Gesellschafter angenommen, während die Rechtsprechung eine Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung bisher nicht anerkannt hat. Der BGH stellte im „Gamma“-Urteil vom April 2008 klar, dass es keine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung gebe, nur weil die Gesellschaft zu wenig Vermögen habe.[11]
Seit Juli 2007 verfolgt der BGH jedoch mit seinem „Trihotel“-Urteil das Prinzip der Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft.[12] Mit diesem Urteil gab der BGH das zur Durchgriffshaftung führende Konzept des Missbrauchs der Rechtsform auf und begründete die Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters allein mit § 826 BGB als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung. Voraussetzung sind missbräuchliche, zur Insolvenz der Gesellschaft führende oder diese vertiefende „kompensationslose“ Eingriffe in deren der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienendes Gesellschaftsvermögen.[13] In seiner „Trihotel“-Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass es sich bei der Existenzvernichtungshaftung um eine reine Innenhaftung und nicht um eine Durchgriffshaftung handelt. Der Gesellschafter einer GmbH haftet danach gegenüber seiner GmbH und muss dieser im Falle der Insolvenz die entzogenen Beträge wieder masseerhöhend zuführen.
Im Rahmen dieser Existenzvernichtungshaftung hat der Gesellschafter einer GmbH für die Gesellschaftsschulden mit seinem Privatvermögen einzustehen, wenn er auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens bedingt vorsätzlich keine Rücksicht nimmt und der Gesellschaft ohne angemessenen Ausgleich – offen oder verdeckt – Vermögenswerte entzieht, die sie zur Tilgung ihrer Schulden benötigt und damit eine Insolvenz verursacht wird.
Überkapitalisierung ist die zu hohe Bemessung des Eigenkapitals eines Unternehmens. Dadurch werden die Ertragsfähigkeit und Kapitalrendite vermindert.[14] Eine dauerhafte Überkapitalisierung ist im Sinne des Shareholder Value zu vermeiden, weil sie zu Dividendenzahlungen führt, die durch den Geschäftsprozess nicht generiert werden können. Eine temporäre Überkapitalisierung kann dagegen Indiz für geplante Investitionen sein, bei denen die Finanzierung bereits frühzeitig gesichert wurde (siehe genehmigtes Kapital).