Ursula Keller (Physikerin)

Ursula Keller (2019)

Ursula Keller (* 21. Juni 1959 in Zug)[1] ist eine Schweizer Physikerin, Erfinderin und Professorin an der ETH Zürich. Sie arbeitet vor allem auf dem Gebiet der Ultrakurzpuls-Laserphysik. Sie erfand das SESAM (Semiconductor Saturable Absorber Mirror). 2018 erhielt sie den Europäischen Erfinderpreis vom Europäischen Patentamt für ihr Lebenswerk, 2022 den Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist.

Leben und Wirken

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Ursula Keller wuchs in einer Arbeiterfamilie auf.[2] Sie erhielt ihr Diplom in Physik 1984 an der ETH Zürich. Bis 1985 arbeitete sie im Anschluss an der Heriot-Watt University an optischer Bistabilität mit einem Forschungsstipendium der ETH. Ihre Ausbildung setzte sie in den USA an der Stanford University fort, wo sie 1987 den Master of Science (M.Sc.) und 1989 den Ph. D. in angewandter Physik erwarb. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit der optischen Untersuchung der Ladungsverteilung und Spannung in integrierten Schaltkreisen (IC) aus Galliumarsenid sowie in rauscharmen Ultrakurzpuls-Lasersystemen.

1989 ging sie an die AT&T Bell Laboratories. Hier forschte sie an optischen Schaltern, Ultrakurzpuls-Lasersystemen und Halbleiter-Spektroskopie. In dieser Zeit erfand sie den SESAM-Chip.[3]

Seit März 1993 ist sie Professorin an der ETH Zürich, zunächst auf einer ausserordentlichen, seit Ende 1997 auf einer ordentlichen Professur. Sie war die erste Physik-Professorin an der ETH Zürich.[4][5]

Ihre Forschungsinteressen an der ETH Zürich sind weiterhin die Ultrakurzpulslaser, Erzeugung hoher Harmonischer, Attosekunden-Physik, ultraschnelle Spektroskopie und neue Bauelemente für Anwendungen in der optischen Datenverarbeitung und der optischen Kommunikation.

Sie hat über 240 Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften mit Peer-Review sowie 11 Buchkapitel verfasst (Stand 2008) Im Jahr 2000 war sie die dritthäufigst zitierte Forscherin der vergangenen zehn Jahre im Gebiet der Optoelektronik.

Mit ihrem Mann Kurt Weingarten gründete sie 1994 in Zürich das Unternehmen Time-Bandwidth Products als Spin-off zur Kommerzialisierung neuer Entwicklungen im Gebiet der diodengepumpten Ultrakurzpulslasertechnik.[6] Sie haben zwei gemeinsame Kinder.[3]

2001 und 2006 hatte Ursula Keller Gastprofessuren an der Universität Lund bzw. der University of California, Berkeley inne. Seit 2010 ist sie Direktorin des vom Schweizerischen Nationalfonds initiierten Forschungsprogramms NCCR MUST (Molecular Ultrafast Science and Technology).

Ursula Keller erhielt 2018 den Europäischen Erfinderpreis.[7] Im Jahr 2019 wurde sie vom Europäischen Patentamt als eine der führenden Expertinnen ernannt, die Vorschläge für diese Auszeichnung bewertet.[8]

Für die Nationalratswahlen 2019 kandidierte sie auf Platz 25 der Wahlliste der FDP im Kanton Zürich.[9]

Im März 2019 sprach Ursula Keller in einem Interview mit Bezug auf die Mobbing-Vorwürfe gegen die ETH-Astronomieprofessorin Marcella Carollo mit dem Online-Magazin Republik von «Führungsmängeln, Sexismus und Korruption an der ETH Zürich» und dass der Grund für die beantragte Entlassung ihrer Kollegin «nicht primär die Mobbingvorwürfe, sondern ihr Geschlecht» seien. Andere Kolleginnen an der ETH widersprachen Keller jedoch. In einem Brief an die Schulleitung und den ETH-Rat legten ein knappes Dutzend Professorinnen, Departementsvorsteherinnen und Studiendirektorinnen ihre Sichtweise dar: «Wir möchten in diesem Brief betonen, dass wir eine andere Kultur erlebten und erleben als die in der Presse dargestellte». ETH-Präsident Joël Mesot, der zuvor eine externe Untersuchung angeregt hatte, sprach von massiven, jedoch völlig unbelegten Vorwürfen: «Für mich ist es absolut inakzeptabel, dass ETH-Angehörige ohne irgendwelche Belege solch schwerwiegende Anschuldigungen gegen die ETH und vor allem gegen die eigenen Kolleginnen und Kollegen in einem Interview erheben.»[10] Ursula Keller wurde im gleichen Zeitraum von der ETH Zürich unter Androhung einer Entlassung verwarnt. Die ETH äußerte sich nicht zu den Details, gab aber an, Keller sei nicht wegen ihres Ganges an die Öffentlichkeit ermahnt worden.[11] Die Vorwürfe von Ursula Keller wurden von zwei externen Untersuchungen weitestgehend widerlegt.[12] Ursula Keller distanzierte sich selbst von ihren Vorwürfen der Korruption und das Amtsmissbrauchs an die Adresse der ETH Zürich.[13] Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat jedoch mehr Transparenz bei der Mittelverteilung empfohlen.[2] Den Fortschritt bezüglich Gleichberechtigung hält Keller an der ETH, wie überhaupt in der ganzen Schweiz für «unzureichend».[14]

Ehrungen, Preise und Mitgliedschaften

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Ursula Keller ist Fellow der Optical Society of America (OSA), elected foreign member der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften und senior member des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE). Im Jahr 2008 wurde sie zum Mitglied der Leopoldina gewählt,[15] 2021 zum Mitglied der National Academy of Sciences.[16]

Commons: Ursula Keller (Physikerin) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Interview in Optoelectronics (Memento vom 6. September 2008 im Internet Archive), August 2001.
  2. a b Die Tragik der ersten Physik-Professorin. In: Limmattaler Zeitung. 23. Juli 2022, abgerufen am 5. August 2022.
  3. a b „Laserlicht mit Taktgefühl“ innovate 1/07, S. 37.
  4. Die ersten Professorinnen an der ETH Zürich. In: ethz.ch. Abgerufen am 26. März 2024.
  5. Sylvie Logean: Ursula Keller a vu la lumière au bout du laser. In: Le Temps. 25. April 2018 (letemps.ch).
  6. Company Background auf Website von Time-Bandwidth products abgerufen: 6. September 2008 (engl.).
  7. a b Ursula Keller erhält den Europäischen Erfinderpreis. In: Neue Zürcher Zeitung. 7. Juni 2018, ISSN 0376-6829 (nzz.ch).
  8. European Patent Office: European Inventor Award: jury members. Abgerufen am 21. Januar 2019 (englisch).
  9. FDP Zürich: Wahlvorschlag des erweiterten Parteivorstandes zu Handen der Delegiertenversammlung vom 2. April 2019. (PDF) FDP Zürich, abgerufen am 25. April 2019.
  10. Nils Pfändler: ETH Zürich: Wie der Fall Carollo die Hochschule spaltet. 4. April 2019, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 25. April 2019]).
  11. René Donzé: ETH droht zweiter Professorin mit Entlassung. In: nzzas.nzz.ch. 11. Mai 2019, abgerufen am 2. April 2020.
  12. Korruption und Machtmissbrauch? Berichte entlasten ETH. In: Tages-Anzeiger. ISSN 1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 13. Mai 2020]).
  13. BDO AG: Schlussbericht über die Administrativuntersuchung im Physikdepartement D-PHYS an der ETH Zürich. (PDF) Abgerufen am 13. Mai 2020.
  14. NZZ vom 13. September 2022, S. 16: «Ich bin sicher die einzige Preisträgerin mit einer Ermahnung der ETH», Interview von Alisha Föry.
  15. Mitgliedseintrag von Prof. Dr. Ursula Keller (mit Bild) bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 15. Juli 2016.
  16. 2021 NAS Election. National Academy of Sciences, 26. April 2021, abgerufen am 27. April 2021 (englisch).
  17. Verleihung der Ehrenmedaille, in: Informationsdienst Wissenschaft vom 2. Juni 2010, abgerufen am 3. Juni 2010.
  18. IEEE Fellows Directory, abgerufen am 16. März 2018.
  19. Ursula Keller: The 2020 SPIE Gold Medal. In: spie.org. 13. November 2019, abgerufen am 27. April 2021 (englisch).
  20. Schweizer Wissenschaftspreise Marcel Benoist und Latsis gehen an Pionierin der Laser-Physik und an innovative Rechtswissenschaftlerin und Medizinerin. Abgerufen am 12. September 2022.