Völkerball (in der Schweiz auch Völki oder Völk, in der DDR hieß es auch Zweifelderball[1]) ist ein Ballspiel mit variabler Anzahl von Spielern in zwei Parteien und nicht exakt festgelegter Spielfeldgröße. Üblich ist eine Spielsituation mit fünf bis sechs Mitspielern auf einem Volleyballfeld ohne Netz. Zwei Teams spielen gegeneinander mit dem Ziel, die Spieler der gegnerischen Mannschaft mit dem Ball zu treffen, sodass sie der Reihe nach ausgeschaltet werden. Gefragt sind Gewandtheit, Treff- und Fangsicherheit, Ausdauer und Schnelligkeit.
In Deutschland wird es als Turnspiel im Deutschen Turner-Bund von Frauen und Mädchen wettkampfmäßig betrieben.
Das Völkerballspiel entstand nach Warwitz und Rudolf aus einem rituellen Kriegsspiel:[2] Der ursprüngliche Spielgedanke symbolisiert die Schlacht zwischen zwei Völkern, die sich unter ihren Königen in einem Vernichtungskrieg gegenüberstehen. Die abgegrenzten Spielfelder (der Kampfplatz) sind die Territorien. Der Ball ist die Angriffswaffe. Jeder Treffer eines gegnerischen Spielers markiert einen Gefallenen, der aus dem Spielgeschehen ausscheiden muss. Als Gegenwehr stehen den Verteidigern nur das Ausweichen vor den Schüssen oder das Auffangen und damit Unschädlichmachen des Schusses zur Verfügung. Damit verändert sich der Schlachtablauf, indem die Verteidiger zu den Angreifern werden, bis der Ball wieder verloren geht. Das Spiel (die Schlacht) endet mit der vollständigen Vernichtung eines der beiden Völker.
Das sehr alte Parteienspiel zeigt sich unter dieser kriegerischen Grundidee bei verschiedenen Urvölkern noch heute verbreitet: Warwitz/Rudolf beschreiben das Ausarten eines zunächst friedlichen Spiels bei den Papua in Neuguinea zu einer handgreiflichen, mit Prügeln und Dreschflegeln ausgetragenen blutigen Stammesfehde. Nachdem sich die Verlierer durch den Spott und Hohn der Sieger gedemütigt sahen, verwandelte sich das als Völkerschlacht oder Gemetzel bezeichnete rituelle Spiel in wenigen Minuten über ein Hämespiel zu einem ernsthaften Stammeskrieg.[3]
Noch bei Friedrich Ludwig Jahn, dem Schöpfer der deutschen Turnbewegung (1778–1852), hat das von ihm als Turnspiel bezeichnete Völkerballspiel einen eindeutig wehrertüchtigenden Charakter.[4][5] Während dieser Symbolwert im Nazideutschland noch stark präsent war, verblasste er allmählich im Straßenspiel der Nachkriegszeit. Das Völkerballspiel verlor seinen Wehrcharakter. Der kriegerische Hintergrund verschwand, und es entstand ein rein sportlich ausgerichtetes Ball- und Parteienspiel. In der Schulpraxis wandelten sich die Spielregeln unter pädagogischen Gesichtspunkten zu einem Kampfspiel, das nach dem sportlichen Wettkampfprinzip funktionierte. Die Wortwahl veränderte sich unter pädagogischer Einflussnahme allmählich von einem „Abschießen“ zu einem „Abwerfen“ der Gegner, und das abgemilderte Regelwerk erlaubte, dass die abgeworfenen Spieler nicht endgültig aus dem Spielgeschehen ausschieden, sondern sich vom Spielfeldrand aus durch einen eigenen Treffer wieder ins aktive Feldgeschehen zurückbringen konnten.
Das Spielfeld wird durch die Mittellinie in zwei gleich große, rechteckige Bereiche getrennt. Die Spielfeldgröße variiert je nach Altersgruppe. Bei den Altersgruppen E-C ist die Mittellinie 9 m und sind die Seitenlinien pro Spielfeld 7 m lang. Bei der Altersgruppe B, A und bei den Frauen beträgt die Länge der Seitenlinie pro Spielfeld 9 m (Ausnahmen: Beach-, Kleinfeldvölkerball). Die Teilnehmer sind durch keine sonstige physische Grenze (Netz, Seil o. Ä.) getrennt. Im Folgenden bezeichnet Innenfeld das Innere des Spielfeldes und Außenfeld das Gebiet außerhalb des Spielfeldes, wobei bei Meisterschaften im Vereinsvölkerball nur der Raum hinter der Grundlinie (hinter dem Innenfeld) als Fang- und Wurfraum genutzt werden darf. Eine Partei besetzt eine Seite des Innenfeldes und die gegenüberliegende Seite des Außenfeldes.
Vor Beginn des Spiels wählt jede der beiden Spielparteien einen König (manchmal auch Hintermann, Scheintot, Strohpuppe, Strohmann, Torwart, Herold, Grenzwächter, Spion, Fliege oder Abgesandter, in Österreich und Süddeutschland Geist bzw. Freigeist genannt). Dieser bleibt bis zur Schlussphase des Spiels in seinem Außenfeld. Der Ballinhaber zu Spielbeginn wird bestimmt durch Auslosung oder durch Sprungball, ähnlich wie beim Basketball. Bei anderen Varianten spielt man mit zwei Bällen, wobei zu Spielbeginn jeder König einen dieser Bälle erhält. Der Ball ist heiß (oder scharf), wenn seit dem letzten Bodenkontakt zwei Personen, die nicht im selben Innenfeld stehen, den Ball berührt haben. Eine Person, die – im Innenfeld stehend – von einem von der gegnerischen Partei kommenden heißen Ball getroffen wird und ihn nicht fangen kann, ist ab oder raus und muss in ihr Außenfeld. Wurde die Person von einem im Außenfeld stehenden Gegner getroffen, so darf dieser (sofern er nicht der König ist) in das Innenfeld seiner Partei zurückkehren; stand der Werfer in seinem Innenfeld, so geschieht mit ihm nichts. Personen im Außenfeld können nicht abgeworfen werden.
Sind alle Innenfeldspieler getroffen worden und ist das Innenfeld damit verwaist, muss der König in sein Innenfeld wechseln. In der Regel erhält der König nun den Ball und hat drei Leben. Erst wenn alle seine Leben verbraucht sind, endet das Spiel. Der König verlässt das Innenfeld wieder, wenn einer seiner Mitspieler aus dem Außenfeld einen Gegner getroffen hat und dieser Mitspieler wieder im Innenfeld spielt. Ein Spieler gilt erst als getroffen, wenn der Ball nach dem Körperkontakt den Boden berührt.
Folglich muss der Getroffene den Innenraum nicht verlassen, wenn ein Mitspieler den Ball noch in der Luft fängt. Kann ein Spieler einen von einem seiner Mitspieler kommenden Ball nicht fangen, so geschieht ihm nichts. Der Ball gilt lediglich nicht mehr als heiß.
Ein Ball gehört stets zu dem Innen- oder Außenfeld, in dem er sich befindet. Hierzu wird die Mittellinie imaginär ins Außenfeld verlängert.
Dies sind die Regeln, die meist beim Spiel in der Schule gelten. Bei den Turnier-Spielen, die Frauen und Mädchen bestreiten, sind manche Regeln etwas anders. Die sogenannte Burg, Hintermann oder der König (die Person, die an der Außenlinie steht) bekommt am Anfang den Ball, welche Partei das ist, wird ausgelost. Zu Beginn des Spiels muss der Ball zweimal über das Feld geworfen werden, bis man mit dem Ball gegnerische Spieler abwerfen kann. Die abgeworfenen Spieler können sich bei den richtigen Regeln jedoch nicht wieder ins Spiel werfen, und es darf auch nur von der Außenlinie und nicht von der Seite geworfen werden. Gerät der Ball über die Seitenlinie, ist der Ball aus, und die Partei, die den Ball zuletzt berührt hat, muss den Ball abgeben. Tritt ein Spieler über die Seitenlinie, gibt es zunächst zwei Verwarnungen und der Ball muss abgegeben werden. Tritt jemand ein drittes Mal über, ist er aus dem Spiel. Die Burg kommt dann ins Spiel, wenn nur noch zwei Spieler im Feld sind. Sie hat nur ein Leben. Kopfbälle und Treffer, die beim Übertreten erzielt wurden sowie das Fangen des Balls zählen nicht als Treffer. Der Spieler darf entsprechend im Feld bleiben.
Einige Sportpädagogen vertreten die Ansicht, dass Völkerball nicht für den Sportunterricht geeignet sei, weil das Spiel ein Kriegsszenario darstelle, bei dem der Ball als Angriffswaffe gegen eine gegnerische Gruppe gesehen werden könnte. Spielziel sei, andere zu treffen, wobei es auch zu Verletzungen kommen könnte. Insbesondere Wehrlose, Minderheiten und Schwache könnten so Ziel aggressiven Verhaltens werden und es bestehe die Gefahr von Mobbing. Im April 2020 veröffentlichten kanadische Wissenschaftler für das strukturell ähnliche Dodgeball einen Artikel mit vergleichbarer Stoßrichtung.[6]
Angesichts großer Medienresonanz auf diese Vorwürfe sah sich der Deutsche Sportlehrerverband 2019 zu einer Stellungnahme veranlasst.[7] Pädagogen, die einen Einsatz im Sportunterricht für weniger problematisch halten, betonen, dass fachliche Begleitung durch die Lehrer erforderlich sei, um die Notwendigkeit von Fair Play zu vermitteln.[8]
In Österreich scheiterten schon in den 1990er Jahren einzelne Pädagogen, das Ballspiel im Turnunterricht abzuschaffen.[9]
Dodgeball oder dodge ball ist eine englische Variante von Völkerball ohne Außenfeld. Es kommen dabei mehrere Bälle zum Einsatz, und es gibt keinen König. International ist diese Sportart weit verbreitet, und es finden seit 2008 jährlich Europameisterschaften statt. Im Deutschen wird es auch Zweifelderball, Dreifelderball und Zweivölkerball genannt. Im Unterschied zum Völkerball ist ein Werfer ab, d. h. aus dem Spiel, wenn der Ball von einem gegnerischen Spieler gefangen wird.
Spökboll (schwedisch für Geisterball) ist die schwedische Variante des Völkerballs. Die Regeln ähneln sich sehr. Es wird vorwiegend in Schulen gespielt.
In Berlin wird seit 2002 alljährlich eine „Strandvölkerball-Weltmeisterschaft“ ausgetragen.[10]