Virginie Despentes (Aussprache [viʁ.ʒi.ni de.pɑ̃t]; * 13. Juni1969[1] in Nancy; bürgerlich Virginie Daget[2]) ist eine französischeSchriftstellerin, Regisseurin und Feministin. Bekannt wurde sie durch ihren Roman Baise-moi (1994), bei dessen Verfilmung sie im Jahr 2000 Regie führte. Ihr bisher größter literarischer Erfolg ist die Romantrilogie Das Leben des Vernon Subutex. Sie gehörte von 2016 bis 2020 der Académie Goncourt an.
Despentes wuchs als einzige Tochter einfacher Postangestellter auf, die sich für die Linke engagierten.[3] Zwischen 1986 und 1993 lebte Despentes in Lyon, wo auch Die Unberührte spielt. Ihr Künstlername Despentes bezieht sich auf den Lyoner Stadtteil Pentes de la Croix-Rousse.[4] Im Alter von 35 Jahren beendete sie ihre letzte heterosexuelle Beziehung.[5] Nach mehreren Jahren in Barcelona lebte Despentes ab 2010 mit ihrer spanischen Partnerin im Pariser Stadtviertel Belleville, bevor sie sich 2020 wieder in Barcelona niederließ.[6]
Im Jahr 2021 gründete Despentes mit der Fotografin Axelle Le Dauphin den Verlag La Légende mit dem Ziel, feministische und queere Literatur selbst zu publizieren. Die Gründung geschah laut Despentes auch als Reaktion auf eine mögliche Fusionierung der Verlagsgruppen Hachette Livre und Editis und der damit verbundenen Befürchtung, der Eigentümer, Vincent Bolloré, werde künftig das Verlagsprogramm aus ideologischen Erwägungen beschneiden. Despentes publiziert beim Verlag Éditions Grasset & Fasquelle, der Teil der Hachette-Verlagsgruppe ist; die Eigentumsrechte der dort publizierten Texte liegen beim Verlagsinhaber.[7]
Despentes trat in dem 2023 erschienenen, preisgekrönten Film Orlando, meine politische Biographie des Philosophen und Transaktivisten Paul B Preciado auf. Mit Preciado war Despentes von 2005 bis 2014 in einer Beziehung, beide arbeiteten auch nach der Trennung immer wieder zusammen.[8][9]
Ihre frühen Romane erzählen von Randexistenzen in französischen Großstädten, von Frauen und Männern zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die von und mit Drogen, Sex und Kleinkriminalität leben.
In Frankreich wurde sie bereits 1994 durch ihren Debütroman Baise-moi bekannt, im deutschsprachigen Raum vor allem durch die Verfilmung Baise-moi (Fick mich!), bei der sie selbst Regie führte. Zwei Frauen, Manu und Nadine, beide Opfer sexualisierter Gewalt und am Rande der Gesellschaft, sind der Enttäuschungen und Erniedrigungen müde. Sie beginnen gemeinsam, alle moralischen und gesetzlichen Schranken brechend, männermordend durch Frankreich zu ziehen, bis Manu erschossen und Nadine festgenommen wird. Der Roman – und vor allem der Film – Baise-moi sorgte für Diskussionen und Skandale, da er Mord, Vergewaltigung und Sex explizit zeigt.
Die Titelheldin ihres zweiten Romans Die Unberührte arbeitet in einer Peepshow, die Geschichte beginnt mit dem Mord an zwei ihrer Kolleginnen. Der männliche Hauptdarsteller von Teen Spirit ist ein ehemaliger Punkmusiker, der seine Tage inzwischen mit Kiffen und Fernsehen verbringt. Happy Ends sind eher die Ausnahme, meist färbt eine dunkle Grundstimmung von Frustration, Selbstzerstörung und ,No Future‘ die Erzählung. In den folgenden Werken tritt das Thema Gewalt in den Hintergrund, doch Sexualität bleibt ein wichtiges Motiv – sowohl für die Protagonisten als auch für die Plots.[10]
Im Jahr 2006 veröffentlichte Despentes den feministischen Essay King Kong Theorie, der 2007 erstmals auf Deutsch erschien. Sie vertritt darin die Ansicht, dass Frauen weniger darauf fokussiert sein sollten, Männern zu gefallen, denn dies führe zwangsläufig dazu, auf Machtansprüche, Stärke und Einfluss zu verzichten. Sie plädiert für die Befreiung von Männern und Frauen von durch Unterwürfigkeit und Dominanz geprägten Geschlechterrollen. Ihre Unabhängigkeit von traditionellen Rollenmodellen mache auch die Stärke und Subversivität lesbischer Frauen aus. In dem autobiografisch geprägten Buch thematisiert Despentes auch, dass sie als junge Frau vergewaltigt wurde. Mit der Veröffentlichung dieses Werkes begann eine breitere Anerkennung der Autorin als Intellektuelle statt als Skandalautorin.[11]
Ihr im Jahr 2017 auf Deutsch erschienener erster Roman der in Frankreich bereits veröffentlichten Trilogie Das Leben des Vernon Subutex wurde vielfach rezensiert, so auf Spiegel Online,[12] in der Süddeutschen Zeitung,[13] in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung[14] und im Berliner Tagesspiegel.[15] Spätestens mit der Vernon Subutex-Trilogie wandelte sich ihr Image in Frankreich von der früheren Skandal-Schriftstellerin zur Favoritin des Feuilletons; seither wird sie von einigen sogar als „weiblicher Balzac des 21. Jahrhunderts“ wahrgenommen.[10] Der Nachname Subutex bezieht sich auf eine Bezeichnung für Buprenorphin, das als Ersatzdroge für Heroin verwendet wird.[16] Despentes wählte bewusst einen männlichen Protagonisten und verzichtet auf die Nennung des Vornamens Virginie auf dem Bucheinband, um mehr männliche Leser zu erreichen.[17] Eine neunteilige Fernsehserie Vernon Subutex (Buch und Regie: Cathy Verney) wurde 2019 für Canal+ produziert[18], die TV-Kritikerin des Standard sah „Witz, Drama, Tragik“ im Bild und würdigte den „mitreißenden Soundtrack“.[19] 2020 erschien bei Éditions Albin Michel die Adaption des ersten Bandes von Vernon Subutex als Comic. Despentes arbeitet bei der Umsetzung ihres Romans – die Folgebände sind im Entstehen – mit dem Zeichner Luz[20] zusammen.[21]
Nach fünfjähriger Schreibpause erschien 2022 der Roman Liebes Arschloch (franz. Cher Connard) bei Grasset. In dem Roman wird sowohl der Figur eines sexistischen Autors als auch seinen Opfern eine Stimme gegeben. Der in Frankreich sehr positiv aufgenommene Roman wurde dennoch – aus „ethischen Gründen“ – nicht für den Literaturpreis Prix Goncourt vorgeschlagen und löste damit in Frankreich eine Debatte um Gewalt als literarisches Thema aus.[22]
Das Leben des Vernon Subutex, Teil 2. Roman. (Vernon Subutex, 2, Grasset, 2015) Übers. Claudia Steinitz. Kiepenheuer & Witsch, 2018, ISBN 978-3-462-05098-1
Das Leben des Vernon Subutex, Teil 3. Roman. (Vernon Subutex, 3, Grasset, 2017) Übers. Claudia Steinitz. Kiepenheuer & Witsch, 2018, ISBN 978-3-462-05153-7
Liebes Arschloch. Roman. (Cher Connard. Grasset, 2022) Übers. Ina Kronenberger, Tatjana Michaelis. Kiepenheuer & Witsch, 2023, ISBN 978-3-462-00499-1
King Kong Theorie (King Kong Théorie. Grasset, 2006), Übers. Kerstin Krolak, Berlin Verlag, 2007, ISBN 3-8270-0755-0
King Kong Theorie (King Kong Théorie. Grasset, 2006) Übers. Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz, Kiepenheuer & Witsch, 2018, ISBN 978-3-462-05239-8
2019: Apokalypse Baby (Zweiteiliges Hörspiel), Bearbeitung und Regie: Martin Heindel, mit Rosalie Thomas, Viola von der Burg, Paula O’Mara, Ilona Grandke, Rainer Buck und vielen anderen, Produktion: Bayerischer Rundfunk. Als Podcast/Download in der ARD Audiothek.[29][30]
2020: Das Leben des Vernon Subutex (Zweiteiliges Hörspiel), Bearbeitung: Katrin Zipse, Regie: Kirstin Petri, Komposition: zeitblom. Produktion: SRF[31]
↑Despentes. Abgerufen am 11. Dezember 2022 (französisch).
↑Interview von Alex Rühle: "Alles ist so prüde". In: sueddeutsche.de. 2018, ISSN0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 20. März 2018]).
↑Interview mit HorsPress vom Mai 2002 (französisch).
↑«Die Sexualität der Frau ist immer noch so unfassbar kompliziert». In: Tages-Anzeiger. ISSN1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 6. Januar 2022]).
↑«Die Sexualität der Frau ist immer noch so unfassbar kompliziert». In: Tages-Anzeiger. ISSN1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 7. Januar 2022]).
↑«Die Sexualität der Frau ist immer noch so unfassbar kompliziert». In: Tages-Anzeiger. ISSN1422-9994 (tagesanzeiger.ch [abgerufen am 7. Januar 2022]).