Volition bezeichnet die bewusste, willentliche Umsetzung von Zielen und Motiven in Resultate (Ergebnisse) durch zielgerichtete Steuerung von Gedanken, Emotionen, Motiven und Handlungen. Dieser Prozess der Selbststeuerung erfordert die Überwindung von inneren und äußeren Widerständen wie zum Beispiel Unlustgefühlen oder Ablenkungen durch Willenskraft.[1]
Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wurde von Kurt Lewin (1929) und Narziß Ach (1935) als „Volition“ die Form der Motivation bezeichnet, die sich auf das Streben nach Zielen bezieht (Willenspsychologie). Die Schriften Kurt Lewins führten zum vorläufigen Ende der willenspsychologischen Forschung, da Lewin Motivation (bei Lewin: „Bedürfnis“) und Absicht (bei Lewin: „Quasibedürfnis“) konzeptionell gleichsetzte.
Mit der Entdeckung des Bereitschaftspotentials durch den Physiologen Hans Helmut Kornhuber im Jahr 1965 und die Entwicklung eines der ersten Instrumente zur Messung der volitionalen Selbststeuerung bzw. Selbstregulierung (so genanntes Selbststeuerungs-Inventar) durch Frederick Kanfer im Jahr 1970 und Albert Bandura im Jahr 1991 bekam die Unterscheidung zwischen Motivation und Volition eine neue, empirisch und naturwissenschaftlich fundierte Grundlage.[2] Ein weiterer Ausgangspunkt für die Entwicklung des Themas waren Impulse aus der kybernetischen Systemtheorie.[3]
Im Rubikonmodell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen werden die Phasen des Planens und des Handelns als volitionale Phasen bezeichnet. Der kritische Unterschied zwischen Motivation und Volition wird dermaßen vollzogen, dass die Motivation die Zielsetzung beeinflusst (d. h. welches Ziel eine Person wählt), während die Volition die treibende Kraft auf die Zielsetzung hin darstellt (also welche Strategien die Person wählt und welche Anstrengungen sie zu investieren bereit ist). Das Modell der Handlungsphasen gilt aufgrund neuerer Erkenntnisse der Neurologie als überholt.[7]
Das Konzept der Volition beruht auf dem Paradigma der Selbststeuerung (Selbstregulation). Es wird durch die nebenstehende Grafik veranschaulicht, die zugleich den Bezug zur neueren Motivationstheorie herstellt. Nach Joseph LeDoux ist Motivation „lediglich“ das Streben nach Zielen oder Zielobjekten. Zur Umsetzung (Realisierung) von Zielen sind weitere Prozesse der Selbststeuerung notwendig.[8] Grundlegende Arbeiten dazu stammen unter anderem von Narziß Ach, Hans Helmut Kornhuber, Albert Bandura, Paul Karoly und Frederick Kanfer. Hinzu kommen aktuelle Erkenntnisse, die unter anderem in den Sammelbänden von Roy Baumeister[9] und Rick Hoyle[10] publiziert wurden. Ein wichtiger Beitrag zur neurowissenschaftlichen Fundierung stammt von Patrick Haggard.[11]
Die Erkenntnisse aus der Volitionsforschung werden in vielen Bereichen wie zum Beispiel der Medizin (Wille zur Einhaltung von Therapieplänen), im Leistungssport (Willenskraft), in der Pädagogik, in der Managementlehre und im Marketing angewandt.[12] Weitere Beispiele für Anwendungsmöglichkeiten sind:
aus neurowissenschaftlicher und neuropsychologischer Sicht auf neuronale exekutive Funktionen nach Hirnverletzungen und die neuronalen Grundlagen kognitiver Steuerung bzw. der Ausführung volitionaler Prozesse (s. Exekutive Funktionen)
aus kognitionspsychologischer Sicht auf die Steuerung des Denkens und Handelns und die Auswahl zielrelevanter Informationen.
aus sozial- und motivationspsychologischer Sicht u. a. auf das Handeln bei konkurrierenden Motiven und Motivationen, also bei inneren Konflikten, z. B. Baumeisters Ego-Depletion-Modell.
Die Anwendungsmöglichkeiten der volitionspsychologischen Grundlagenforschung werden unter anderem im Bereich der Pädagogik diskutiert.[13][14] So versucht die Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen, Erkenntnisse aus der Volitionsforschung für die Motivation von Fernstudierenden zu nutzen.[15] Es wurde ein Online-Fragebogen mit individuellen Rückmeldungen entwickelt, der Schüler und Studierende in ihrem Lernverhalten unterstützen soll und gleichzeitig der Forschung dient.[16] Ergänzt wird der Fragebogen durch ein kompaktes Strategiehandbuch.[17]
Die Forschung zum Thema Volitionspsychologie hat – insbesondere in den Vereinigten Staaten – eine Fülle von praktischen Anwendungsmöglichkeiten hervorgebracht. Diese reichen von der Suchttherapie (Alkohol, Rauchen, Drogen, Spielsucht, Geldverschwendung) über die Kriminalitätsbekämpfung und Gestaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen (Konflikte) bis hin zur allgemeinen Lebenszufriedenheit (Bewältigung emotional belastender Situationen).[18] Weitere praktische Anwendungsmöglichkeiten findet man in der Managementlehre – siehe Volition (Management). Zur Messung von volitionalen Kompetenzen wurden verschiedene so genannte Selbststeuerungs-Inventare entwickelt. Beispiele für den klinischen Bereich sind das Inventar von Kuhl und Fuhrmann[19] und die weiter entwickelte Self Management Scale von Peter Mezo[20] oder speziell in der Organisationspsychologie und in der Managementlehre für Fach- und Führungskräfte das Gießener Inventar der Umsetzungskompetenzen.[21]
N. Ach: Analyse des Willens. (= Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. 6). Urban & Schwarzenberg, Berlin 1935.
Roy Baumeister, John Tierney: Die Macht der Disziplin. Campus, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-593-39360-5. (amerik. Originaltitel: Willpower. Rediscovering the Greatest Human Strength. Penguin Book Press, New York 2011)
R. F. Baumeister, K. D. Vohs: Handbook of Self-Regulation. New York 2004.
J. P. Forgas u. a. (Hrsg.): Psychology of Self-Regulation. New York 2009.
H. Heckhausen: Motivation und Handeln. Springer, Heidelberg 1980
P. Karoly: Mechanisms of Self-Regulation: A Systems View. In: Annual Review of Psychology. Vol. 44, 1993, S. 23–52.
J. Keller: An Integrative Theory of Motivation, Volition, and Performance. In: Cognition and Learning. Vol. 6, 2008.
J. Kuhl: Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. Springer, Heidelberg 1983.
J. Kuhl, A. Fuhrmann: Decomposing Self-Regulation and Self-Control: The Volitional Competencies Inventory. In: J. Heckhausen, C. S. Dweck (Hrsg.): Motivation and Self-Regulation Across the Life Span. Cambridge 1998.
K. Lewin: Vorsatz, Wille und Bedürfnis. Untersuchungen zur Handlungs- und Affekt-Psychologie. In: Psychologische Forschung. 4, 1926, S. 1–39.
P. G. Mezo: The Self-Control and Self-Management Scale (SCMS): Development of an Adaptive Self-Regulatory Coping Skills Instrument. In: Journ. Psychological Behav. Assess. 31, Issue 2, 2009, S. 83–93, doi:10.1007/s10862-008-9104-2.
H. G. Petzold, J. Sieper (2003): Wille und Wollen. Psychologische Modelle und Konzepte. 2 Bde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
H. G. Petzold, J. Sieper (2008): Der Wille, die Neurobiologie und die Psychotherapie. 2 Bde. Bielefeld: Aisthesis, Sirius.
H. G. Petzold (Hrsg.): Wille und Wollen. Psychologische Modelle und Konzepte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001
↑Brockhaus Psychologie. 2. Auflage. Mannheim 2009; Roy Baumeister, John Tierny: Willpower – Rediscovering the Greatest Human Strength. The Penguin Press, New York 2011; Heike Bruch, Sumantra Ghoshal: Entschlossen führen und handeln. Wiesbaden 2006; Waldemar Pelz: Volition (Willenskraft), abgerufen am 12. November 2017.
↑P. G. Mezo: The self-control and self-management scale (SCMS): Development of an adaptive self-regulatory comping skills instrument. In: Journal of Behavior Assessment. Vol. 31, 2009.
↑C. S. Carver: Self-Regulation of Action and Affect. In: R. R. Baumeister, K. D. Vohs: Handbook of Self-Regulation. New York 2004.
↑J. Keller: An Integrative Theory of Motivation, Volition, and Performance. In: Cognition and Learning. Vol. 6, 2008, S. 79–104.
↑P. Karoly: Mechanisms of Self-Regulation: A Systems View. In: Annual Review of Psychology. Vol. 44, 1993, S. 23–52.
↑C. S. Carver, M. Scheier, F.: Attention and Self-regulation: A Control Theory Approach to Human Behavior. New York 1981.
↑Siehe unter anderem: P. Haggard: Human volition: towards a neuroscience of will. In: Nature Reviews Neuroscience. Vol. 9, 2008 und R. Klinke, H.-C. Pape, S. Silbernagl (Hrsg.): Physiologie. 5. Auflage. Stuttgart/ New York 2005, S. 812 f. sowie J. P. Forgas u. a. (Hrsg.): Psychology of Self-Regulation. New York 2009.
↑Joseph Ledoux: Das Netz der Persönlichkeit. Düsseldorf 2006, S. 338 f. sowie Mark Bear, Barry Connors, Michael Paradiso: Neurowissenschaften. 3. Auflage. Heidelberg 2009, S. 571 f.
↑T. Baumeister, K. Vohs: Handbook of Self-Regulation. The Guilford Press, New York 2004; R. F. Baumeister, J. Tierny: Willpower, Rediscovering the Greatest Human Strength. The Penguin Press, London 2011.
↑R. Hoyle: Handbook of Personality and Self-Regulation. Blackwell, 2010.
↑P. Haggard: Human volition: towards a neuroscience of will. In: Nature Reviews Neuroscience. Vol. 9, 2008.
↑K. McGonigal: The Willpower Instinct, How Self-Control Works. Pearson, 2012.
↑H. Laux: Nachhaltiges Lernen in der Grundschule. Volitionsförderung als Weg zur Verbesserung des Lernens. In: Pädagogische Rundschau. 58, 2004, S. 171–188.
↑M. Deimann, J. M. Keller: Volitional aspects of multimedia learning. In: Journal of Educational Multimedia and Hypermedia. 15(2), 2006, S. 137–158.
↑M. Deimann, B. Weber: Strategiehandbuch zur volitionalen Transferunterstützung. Apertus, Heidelberg 2008.
↑W. Mischel, O. Ayduk: Willpower in a Cognitive Processing System. In: R. F. Baumeister, K. D. Vohs: Handbook of Self-Regulation. New York 2004.
↑J. Kuhl, A. Fuhrmann: Decomposing Self-Regulationand Self-Control: The Volitional Components Inventory. In: J. Heckhausen, C. S. Dweck: Motivation and Self-Regulation Across the Life Span. Cambridge (UK) 1998.
↑P. G. Mezo: The Self-Control and Self-Management Scale (SCMS): Development of an Adaptive Self-Regulatory Coping Skills Instrument. In: J. Psychological Behav. Assess. 31, 2009, S. 83–93.
↑Waldemar Pelz: Umsetzungskompetenz als Schlüsselkompetenz für Führungspersönlichkeiten. In: Corinna von Au (Hrsg.): Leadership und angewandte Psychologie. Springer Verlag, Berlin 2017, online verfügbar