Voto de Santiago (dt.: Jakobsgelübde) ist im Allgemeinen die Bezeichnung für die Gelübde asturischer Könige, in denen sie den Apostel Jakobus um Unterstützung für oder Vermittlung in ihren Anliegen bei Gott baten. Zur Einlösung schenkten oder stifteten sie das Gelobte einer dem Apostel Jakobus verbundenen Einrichtung, meist der Kathedrale von Santiago de Compostela.
Im Speziellen bezeichnet es das Gelübde, das der asturische König Ramiro I. anlässlich der Schlacht von Clavijo abgelegt haben soll, und eine Abgabe, die aus dem Gelübde resultierte. Im Folgenden werden dieses spezielle Gelübde und die Abgabe behandelt.
In der Urkunde werden dem König Ramiro folgende Aussagen unterstellt: Einige seiner (nicht namentlich genannten) Vorgänger hätten aus Faulheit und Pflichtvergessenheit nicht gegen die Muslime gekämpft, sondern den Frieden durch eine jährliche Tributzahlung erkauft. Dieser erstmals erwähnte Tribut der einhundert Jungfrauen, habe aus hundert christlichen Jungfrauen bestanden, 50 aus dem Adel und 50 aus dem Volk, die den Muslimen übergeben worden seien. Er, Ramiro, habe den Tribut verweigert und den Kampf gewählt. Zunächst sei sein Heer in die Flucht geschlagen worden und habe sich dann bei Clavijo erneut gesammelt. Dort sei ihm der heilige Apostel Jakobus (Santiago) als Schutzheiliger Spaniens im Traum erschienen und habe ihm für die kommende Schlacht Hilfe versprochen. Am nächsten Morgen seien die christlichen Truppen mit dem Ruf „Hilf uns, Gott und heiliger Jakob!“ in den Kampf gezogen und hätten gesiegt, wobei der Apostel selbst als Ritter auf einem Schimmel erschienen sei. 70 000 Feinde seien gefallen. Zum Dank habe Ramiro nachher der Jakobskirche in Santiago eine jährliche Zahlung gewährt, die als allgemeine Abgabe von allen Christen im Reich zu entrichten sei.
Als Ort des Gelübdes wird Calahorra genannt. Die Zahlung beinhaltete, die ersten Erträge aus Feldern und Weinbergen sowie einen Teil der Kriegsbeute aus den Auseinandersetzungen mit den Mauren an die Kathedrale von Santiago abzutreten. Die Abgabe galt zunächst für die christlichen Untertanen der Königreiche Asturien, León und Kastilien, später bis in die Rioja und Navarra hinein, sie wurde zusätzlich zum Kirchenzehnt entrichtet.
Am 25. Juli 1643 wurde anlässlich des Jakobstages das Voto de Santiago durch Philipp IV. (Spanien) erneuert und als nationale Abgabe institutionalisiert, die Cortes de Cádiz kassierten es 1812 ebenso wie andere Privilegien des alten Systems, des Antiguo Régimen.[1]
Franco restaurierte das jakobäische Patronat und das Voto im Spanischen Bürgerkrieg, reklamierte Santiagos Schutz für seine Truppen und führte seinen Erfolg in der Schlacht von Brunete am 25. Juli 1937 auf das Eingreifen des Apostels zurück. Das Patronat besteht seitdem bis heute fort und wird jährlich in einem religiösen Akt in der Kathedrale von Santiago de Compostela bekräftigt. An dieser Messe nimmt der spanische König persönlich teil bzw. in seinem Namen ein hoher Amtsträger (Kronprinz, Minister).
Der Schlachtbericht findet sich in der Chronik De rebus Hispaniae[2] des Bischofs Rodrigo Jiménez de Rada, in der er die Geschichte der Iberischen Halbinsel bis 1243 beschreibt.
Jiménez de Rada stützte sich dabei auf eine angeblich von König Ramiro nach dem Sieg in Clavijo am 25. Mai 844 ausgestellte Urkunde, den Privilegio de los Votos. Diese Urkunde wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts von dem Kardinal Pedro Marcio – Geistlicher an der zu begünstigenden Kirche – in Santiago de Compostela gefälscht und ist als Quelle für das 9. Jahrhundert ohne Wert. Herbers nimmt an, dass es ein echtes Privilegio gegeben hat, ausgestellt aber von Ramiro II., auf das galicisch-leonesische Königreich beschränkt und nicht auf eine Schlachtenhilfe Jakobi bezogen.[3] Die Darstellungen der gefälschten Urkunde wurden im 13. Jahrhundert außer durch Jiménez de Rada auch von dem Chronisten Lucas von Tui übernommen und gelangten so in spätere Geschichtswerke, insbesondere in die Estoria de España (Crónica General).
Die Schlacht von Clavijo soll am 23. Mai 844 auf dem „Campo de la Matanza“ (Schlachtfeld) bei Clavijo stattgefunden haben. Der Wahrheitsgehalt dieser Angabe wurde lange diskutiert; die spanischen Historiker Gregorio Mayáns und Francisco Cerdá y Rico stellten jedoch im 18. Jahrhundert klar, dass die Schlacht wie andere fromme Fälschungen der spanischen Geschichte ins Reich der Phantasie gehört. Die schwierige Beweislage für Schlacht und Gelübde scheint aber aufgrund des unterschiedlichen Politikverständnisses im Mittelalter nur aus heutiger Sicht problematisch.
Das „Original“ der Urkunde von Ramiro I. soll 1543 im Zuge eines Rechtsstreits gegen den Ort Pedraza verlegt worden sein, als es in der Kanzlei von Valladolid vorgelegt werden sollte. Es existieren verschiedene Kopien, unter anderen die des Klosters Corias in Asturien; sie wird heute in der Biblioteca Nacional de Madrid verwahrt.[4]
Die Rolle Santiagos als Schutzpatron und das Voto de Santiago erfuhren mit ihrer Verbindung eine in sich geschlossene Koppelung: Wer die Abgabe leistete, akzeptierte den Patron, wer den Patron akzeptierte, konnte ihm die Abgabe nicht verweigern.
Die Fälschung des Votos ist jedoch auch – und möglicherweise vor allem – vor dem Hintergrund der Konkurrenz zwischen den Bischofsstädten Toledo und Santiago de Compostela zu sehen: Das junge Königreich Asturien stützte sich – abgeschnitten vom religiösen Zentrum und Metropolitensitz Toledo – auf Jakobus als Reichsheiligen[5] und förderte Santiago als neues religiöses Zentrum. Mit der Rückeroberung Toledos im Jahr 1085 war diese Rolle obsolet geworden. Das Voto war somit ein geeignetes Mittel, Santiago zu stärken, ohne offensichtlich den Vorrang Toledos als Sitz des Primas von Spanien anzugreifen.
Der materielle Vorteil aus dem Voto war beachtlich und weckte die Begehrlichkeiten anderer Kirchenvertreter, die versuchten, einen ähnlichen Segen auf ihre Institution zu lenken. So forderte etwa Gonzalo de Berceo für den heiligen Aemilianus das Kopatronat – weil dieser ebenfalls in der Schlacht interveniert habe – und für sein Kloster San Millán de la Cogolla eine vergleichbare Abgabe.[6]
Vor diesem Hintergrund ist die engagierte Reaktion der Verteidiger des jakobäischen Patronats über Spanien verständlich, als – von der Landbevölkerung unterstützt – Idee und Forderung auftauchten, das Patrozinium auf Teresa von Ávila zu übertragen: mit dem Wechsel wäre die Abgabe obsolet gewesen und das Compostelaner Domkapitel eines wichtigen Teils seiner Einkünfte verlustig gegangen.