Xavier Villaurrutia (* 27. März 1903 in Mexiko-Stadt; † 25. Dezember 1950) war ein mexikanischer Schriftsteller, Dichter und Dramatiker. Er gehörte zur Dichtergruppe der Contemporáneos.
Xavier Villaurrutia wurde in Mexiko-Stadt am 27. März 1903 in einer bürgerlichen Familie geboren, die eine besondere Neigung zur französischen Kultur pflegte, eine Vorliebe, die seine Erziehung, seine literarischen Interessen und sein eigenes Werk prägte. Villaurrutia gehörte zur Dichtergruppe der „Contemporáneos“. 1936 schrieb Villaurrutia das Drehbuch zum Film Vámonos con Pancho Villa von Fernando de Fuentes, der einer der erfolgreichsten Filme der lateinamerikanischen Filmgeschichte wurde. Der argentinische Verlag Sur veröffentlichte 1938 die erste Ausgabe von Nostalgia de la muerte, in der zum größten Teil die Gedichte zusammengetragen werden, die er in den letzten 10 Jahren abgefasst hatte. Um 1940 schrieb Villaurrutia das Vorwort zu mehreren Übersetzungen der Werke Paul Valérys, Rainer Maria Rilkes und Paul Morands. In dieser Zeit entstand auch das Drehbuch für Cinco fueron escogidos.
Am 25. Dezember 1950 starb Villaurrutia an einem Herzinfarkt. Wenige Tage später sprach man von Selbstmord. Die Tatsachen sind bis heute nicht geklärt.
Xavier Villaurrutia hinterließ ein schmales, aber komprimiertes dichterisches Werk, das vollständig zu seinen Lebzeiten publiziert wurde.
Als Herzstück dieses Werks gelten die Nocturnos. Die ersten zehn dieser ab 1929 entstandenen Nachtstücke wurden bereits 1933 in kleiner Auflage erstveröffentlicht. Die Betitelung von Gedichten als „Nocturno“ geht möglicherweise auf Villaurrutias editorische Beschäftigung mit dem Werk der Sor Juana Inés de la Cruz (1649–1695) zurück.[1]
In dem 1938 in Buenos Aires bei Sur verlegten Band Nostalgia de la muerte, der Villaurrutias Ruf als Dichter des Nächtlichen begründete, wird dieser Nukleus der frühen Nocturnos um acht zwischen 1933 und 1937 verfasste Nachtstücke erweitert, die einen zweiten Abschnitt des Bandes bilden. Es sind diese Otros Nocturnos, namentlich die längeren, komplexer aufgebauten „Nocturno de los ángeles“, „Nocturno rosa“ und „Nocturno mar“, in denen Villaurrutias Dichtung zur vollen Reife gelangt.[2]
1946 ließ der Dichter die beiden Gruppen der Nokturnen in einer – wohl als endgültige Fassung konzipierten – Neuauflage von Nostalgia de la muerte um einen dritten, Nostalgias überschriebenen Teil ergänzen. Dieser besteht aus sieben Poemen ähnlicher Tonalität und Thematik, die bereits 1941 in kleiner Auflage erstveröffentlicht worden waren. Die Nostalgias kulminieren in der abschließenden „Décima muerte“, einer dem Mentor Ricardo de Alcázar gewidmeten Dezime, in welcher der Tod – das im Spanischen weibliche „muerte“ – personifiziert und „obsessiv beschworen“ wird.[3]
1948 erschien mit Canto a la primavera y otros poemas (dt. „Gesang auf den Frühling“) ein schmaler Band von Einzelgedichten unterschiedlicher Form, darunter Sonette, Dezimen, Epigramme, Epitaphe und ein Madrigal. Es handelte sich um die letzte Publikation zu Lebzeiten des Dichters, der zwei Jahre später unter nicht vollständig geklärten Umständen aus dem Leben schied.
Octavio Paz erkannte, dass Villaurrutia bereits in seinen Jugendgedichten ein feines Gespür für den Rhythmus der Sprache zeigte, ebenso wie sein Talent, Bilder zu schaffen, die zerbrechlich feine Beziehungen zwischen den Sinneseindrücken des Auges und des Gehörs offenbaren. Das Interesse, das diesen Werken heute entgegengebracht wird, nährt sich also von der Neugier um die Anfänge eines späteren Meisters. So ist bereits in den Jugendwerken die Suche nach ausgefallenen Bildern und Metaphern erkennbar.
Die reife Dichtung Villaurrutias, wie sie sich in den Otros Nocturnos (1938) und in den Nostalgias des Bandes Nostalgia de la muerte (1946) präsentiert, gilt als gewagter, direkter, weniger verschlüsselt als alles zuvor Veröffentlichte. Nicht erst die Persionifizierung des Todes als eine unerreichbare Geliebte in der „Décima muerte“ – die homosexuelle Orientierung des Dichters tritt hier nur scheinbar in den Hintergrund – legt eine Deutung der titelgebenden „Sehnsucht nach dem Tod“ als ein „amouröses Sehnen“ nahe.
Wie Octavio Paz in seinem Essay Xavier Villaurrutia en persona y en obra[4] ausführt, lebt der gesamte Werkkomplex der Nocturnos und Nostalgias von der engen Nachbarschaft der Assoziationsfelder von „Tod“ und „Schlaf“ und ihrer Verquickung mit dem Bereich des Erotischen.[5] In Villaurrutias Dichtung der Einsamkeit und der Schlaflosigkeit, so Paz weiter, werde jedoch primär die Unerfüllbarkeit des erotischen Sehnens thematisiert: Die erotische Obsession erscheint als eine „Leidenschaft, deren sichtbarste Merkmale der Zorn sind, die Dürre, die Impotenz, die Sprödigkeit“.[6]
In dieser pessimistischen Deutung des Villaurrutiaschen Œuvres als Dichtung eines „unfruchtbaren Liebens“ artikuliert sich freilich auch Paz‘ Distanzierung vom „anti-sozialen“ Ästhetizismus und Skeptizismus des Contemporáneos-Kollektivs.[7] Einer solchen Deutung wäre nicht zuletzt die außergewöhnliche sprachliche Schönheit und hypnotische Eindringlichkeit dieser Dichtung entgegenzuhalten.
Für Héctor Domínguez-Ruvalcaba[8] bildet Xavier Villaurrutias Leiden an der Unvereinbarkeit seiner Homosexualität mit dem Leben in der „kulturell rückschrittlichen“ post-revolutionären mexikanischen Gesellschaft, vor allem aber mit seinem christlichen Glauben – der Dichter entstammte einem tief spirituellen Umfeld und war praktizierender Katholik – den Schlüssel zu jeder tieferen Einsicht in sein dichterisches Werk. Einzig seine Dichtung als eine Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Ver- und Entbergung habe dem in zunehmender Isolation lebenden Dichter einen gesellschaftlich akzeptierten Weg geboten, von seinem „schuldbehafteten“ Verlangen zu sprechen. Sowohl in der Rede von diesem Verlangen (span. „deseo“) als einer Wunde (span. „herida“), als auch im in den „Nocturnos“ und „Nostalgias“ ohne Unterlass geäußerten Wunsch nach Rückzug, einerseits in die verlassenen Räume des Nächtlichen, andererseits – ultimativ – in den Raum des Todes, sieht Domínguez-Ruvalcaba Indizien, die neben einer solchen Deutung auch die These vom Freitod des Dichters am Weihnachtsabend des Jahres 1950 zu stützen vermögen.
Das gesamte Poetische Werk ist in dem Band Sehnsucht nach dem Tod – Nostalgia de la muerte, übersetzt von Curt Meyer-Clason, herausgegeben von Alberto Pérez-Amador Adam, Aachen 2007 zweisprachig gesammelt, ISBN 978-3-89086-651-2
Alternative Übersetzungen einiger Gedichte finden sich in der 1978 erschienenen Anthologie „Avantgarde und Revolution. Mexikanische Lyrik von López Velarde bis Octavio Paz.“[9]
Die dramatischen Werke sind unter anderen:
1955 wird der Premio Xavier Villaurrutia de escritores para escritores geschaffen.
Personendaten | |
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NAME | Villaurrutia, Xavier |
KURZBESCHREIBUNG | mexikanischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 27. März 1903 |
GEBURTSORT | Mexiko-Stadt |
STERBEDATUM | 25. Dezember 1950 |