York Höller

York Höller (auch in der Schreibweise York Hoeller; * 11. Januar 1944 in Leverkusen als Hans Georg Höller) ist ein deutscher Komponist und Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Tanz Köln.

Zwischen 1963 und 1970 studierte Höller an der Musikhochschule Köln bei Bernd Alois Zimmermann und Herbert Eimert Komposition sowie Klavier (u. a. bei Else Schmitz-Gohr und Alfons Kontarsky), Schulmusik und Orchesterleitung. Parallel dazu belegte er Vorlesungen in Musikwissenschaft und Philosophie an der Universität Köln. Prägende musikalische Erkenntnisse gewann er 1965 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik durch die Vorträge von Pierre Boulez. Im gleichen Jahr erlebte er die Uraufführung der Oper „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann, die einen nachhaltigen Eindruck bei ihm und deutliche Spuren in seinem ersten großen Orchesterwerk „Topic“ hinterließ. 1967 legte Höller das Staatsexamen im Fach Schulmusik ab. Danach war er ein Jahr lang als Solorepetitor am von Hans Zender geleiteten Stadttheater Bonn tätig.

Von 1969 bis 1972 war er Mitglied der Komponistenvereinigung Gruppe 8 Köln. 1971 folgte er einer Einladung Karlheinz Stockhausens, eine elektronische Komposition im Studio für elektronische Musik des WDR zu realisieren. In diesem Kontext lernte Höller auch die elektronischen Werke Stockhausens gründlich kennen, was gewisse Einflüsse auf seine weiteren kompositorischen Projekte ausübte.

Mit seinen Werken erlangte er schnell internationale Bekanntheit. Ab Mitte der 1970er Jahre arbeitete Höller auf Einladung von Pierre Boulez auch am Pariser Forschungsinstitut IRCAM, anlässlich dessen offizieller Eröffnung im Oktober 1978 sein instrumental/elektronisches Ensemblewerk „Arcus“ uraufgeführt wurde. Dieses und weitere instrumentale und elektronische Klänge verbindende Werke prägten in den nachfolgenden Jahren Höllers Stil und wurden an vielen Spielstätten in Europa und den USA aufgeführt. Internationale Spitzenorchester und -ensembles (u. a. in Amsterdam, Berlin, Bordeaux, Chicago, den Haag, Florenz, Hamburg, Helsinki, Kopenhagen, Lissabon, London, Los Angeles, Montreal, München, New York, Oslo, Paris, Prag, Rom, Saratow, Seoul, Stockholm, St. Petersburg, Venedig, Warschau und Wien) sowie renommierte Dirigenten wie Daniel Barenboim, Pierre Boulez, Semyon Bychkov, Peter Eötvös, Michael Gielen, Ingo Metzmacher, Francois Xavier Roth, Markus Stenz, Lothar Zagrosek und Hans Zender nahmen sich seiner Musik an.

Besonderes Aufsehen erregte 1989 die Uraufführung seiner Oper Der Meister und Margarita nach dem gleichnamigen Roman von Michail Bulgakow an der Pariser Oper. Auch die nachfolgenden Produktionen in Köln und Hamburg präsentierten erneut sein Opus maximum, das laut „Opernwelt“ zu einem „Meisterwerk der Moderne herangereift“ sei, und für das er den renommierten Rolf-Liebermann-Preis der Hamburger Körber-Stiftung erhielt.

Zwischen 1976 und 1990 lehrte Höller als Dozent für Analyse und Musiktheorie an der Musikhochschule Köln. Danach war er von 1990 bis 1999 künstlerischer Leiter des Studios für elektronische Musik am WDR. Auf seine Initiative hin wurde das Studio weitgehend digitalisiert und eine Reihe namhafter Komponisten aus dem In- und Ausland zur Arbeit in das Studio eingeladen (dessen Betrieb allerdings räumungsbedingt im Jahr 2001 eingestellt wurde).

1993 folgte er einem Ruf der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin als Professor für Komposition. Als Nachfolger Hans Werner Henzes wechselte er 1995 in gleicher Funktion an die Musikhochschule Köln., wo er im Jahre 2009 emeritiert wurde. Außerdem hielt Höller an einigen europäischen und amerikanischen Hochschulen Gastvorträge und Kompositionskurse. Dies ist ihm heutzutage allerdings nicht mehr möglich, da seine Mobilität – bedingt durch ein seit vielen Jahren existierendes Augenleiden, das schließlich die Erblindung zur Folge hatte – stark eingeschränkt ist.

Seit 1991 ist York Höller Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und seit 2006 Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg.

Stilistische Merkmale

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Höllers Kompositionsstil hat sich seit seinen als „Opus eins“ titulierten „Fünf Stücken für Klavier“ aus dem Jahr 1964 kontinuierlich entwickelt und gewandelt. Die ersten „Fünf Stücke für Klavier“ stehen in der Tradition von und Auseinandersetzung mit Schönberg und Webern. Eine einzige Zwölftonreihe liegt allen fünf Stücken zugrunde. Sein erstes Orchesterwerk Topic aus dem Jahr 1967 weist noch starke Einflüsse seines Lehrers Bernd Alois Zimmermann auf, zeigt aber eine virtuose Handschrift in der Beherrschung des großen Orchesterapparates.

Aber bereits mit seiner „Sonate für Klavier“ (Sonate informelle) aus dem Jahr 1968 entwickelte Höller einen eigenen Personalstil. Nach der Lektüre von Theodor W. Adornos Essay vers une musique informelle wandte sich Höller mit diesem Werk von der seriellen Musik ab und der freien Atonalität zu. Mit Tangens (1973) schrieb Höller ein richtungsweisendes Werk zur Verwendung von „Live-Elektronik“. Er kombinierte den natürlichen Klang von Instrumenten (Klavier, Violoncello) mit den elektronischen Klängen zweier analoger Synthesizer.

Bei seinem Studienaufenthalt 1974/75 in Paris fand Höller Anregung zu einer eigenen Kompositionstheorie. Initiiert durch das Anhören Gregorianischer Gesänge bei einem Besuch der Kathedrale Notre Dame entwickelte er die Idee der „Klanggestalt“. Wie in einem „genetischen Code“ ist in Höllers Klanggestalt mitunter bereits die gesamte Disposition eines Werkes enthalten. „Die 12 Halbtöne der Oktave sind nur noch als Ausgangspunkte für die Bildung komplexer Gestalten zu betrachten. Diese wiederum sollten nicht als starre, geschlossene und unveränderliche, sondern als flexible, offene und transformierbare Gebilde verstanden werden. Um solche handelt es sich bei meinen ‚Klanggestalten‘“.[1]

In der Folge sind zahlreiche Werke Höllers nach der Idee der Klanggestalt entstanden. Typisch für diese lange Schaffensperiode ist das Werk Mythos für 13 Instrumente, Schlagzeug und elektronische Klänge (4-Kanal-Tonband). Der Titel bezieht sich nicht auf irgendeine Begebenheit aus dem weiten Feld der überlieferten Mythologien, sondern ist durchaus im ursprünglichen Sinn als „Rede“ oder „Erzählung“ zu verstehen. Die Musik selbst, so der Komponist, soll durchweg als absolute Musik gehört werden. Das 4-Kanal-Tonband ist ein mitkomponierter, integraler Teil des Ganzen. Der Klang der Instrumente wird durch die elektronischen Klänge ins sagenhaft Mythische überhöht.

Höller hat fünf Kriterien für sein Schaffen aufgestellt: Echtheit, Unverwechselbarkeit, Klischeefreiheit, Prägnanz und Schlüssigkeit. In den letzten Jahren wendet sich der Komponist, bedingt auch durch den fast vollständigen Verlust seiner Sehkraft, wieder der rein instrumentalen Komposition zu.

York Höller erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a.

Der französische Kulturminister ernannte ihn 1986 zum Chevalier dans l’Ordre des Arts et des Lettres.[4]

1964 Fünf Stücke für Klavier
1965 (rev. 1974) Diaphonie (Hommage à Béla Bartók) für zwei Klaviere
1966 Drei Fragmente für Streichquartett
1966 Herbsttag nach Rainer Maria Rilke für Sopran, Flöte, Harfe, Cembalo, Celesta und Streichquartett
1967 (rev. 1970) Topic für großes Orchester
1968 1. Sonate für Klavier (Sonate informelle)
1968/69 Sonate für Violoncello solo
1969 Epitaph für Jan Palach für Violine und Klavier
1970/1984 1. Konzert für Klavier und Orchester
1971/72 Horizont quadrophone elektronische Musik (4-Kanal-Tonband)
1972/74 Chroma für großes Orchester und analoge Live-Elektronik
1973 Tangens für Violoncello, elektrische Gitarre, elektronische Orgel/Klavier und zwei Analog-Synthesizer
1975/76 Klanggitter für Violoncello, Klavier, Synthesizer und Tonband
1977 Antiphon (1. Streichquartett) für Streichquartett und quadrophones Tonband (4-Kanal-Tonband)
1978 Arcus für 17 Instrumente, Schlagzeug und quadrophones Tonband
1979/80 (rev. 1989/1995/2003) Mythos Klanggedicht für 13 Instrumente, Schlagzeug und quadrophones Tonband
1979 Moments Musicaux für Flöte und Klavier
1979/80 (rev. 1983) Umbra für großes Orchester und quadrophones Tonband
1981 Résonance für kleines Orchester und Computerklänge (quadrophones Tonband)
1982 Bartokiana 6 kleine Klavierstücke für junge Spieler
1982 Pas de trois für Viola, Violoncello und Kontrabass
1982 Schwarze Halbinseln für großes Orchester, vokale und elektronische Klänge (auf quadrophonem Tonband)
1983 Traumspiel Klanggedicht für Sopran, großes Orchester und elektronische Klänge auf 8-Kanal-Tonband, nach dem gleichnamigen Schauspiel von August Strindberg
1983/84 1. Klavierkonzert in zwei Sätzen für Klavier und Orchester
1984 Improvisation sur le nom de Pierre Boulez für 15 Instrumente
1984 Magische Klanggestalt für großes Orchester
1984–89 Der Meister und Margarita Oper in zwei Akten nach dem gleichnamigen Roman von Michail Bulgakow
1986 2. Sonate für Klavier (Hommage à Franz Liszt) in zwei Sätzen
1989 (rev. 1997) Fanal für Trompete und kleines Orchester
1990–92 Pensées 2. Konzert für Klavier, großes Orchester, digitale Live-Elektronik und Tonband
1991 Margaritas Traum konzertante Szenenfolge aus der Oper „Der Meister und Margarita“ nach Michail Bulgakow für Sopran, großes Orchester und quadrophones Tonband
1991–93 Aura für großes Orchester
1993 Pas de deux für Violoncello und Klavier
1994/95 Tagträume sieben Klanggedichte für Violine, Violoncello und Klavier
1995–2003 Monogramme 14 Charakterstücke für Klavier
1996 Partita für zwei Klaviere
1996 Double für großes Orchester und zwei MIDI-Harfen
1996 Gegenklänge für 18 Instrumente
1996 (rev. 2015) Widerspiel Konzert für zwei Klaviere und Orchester
1997 2. Streichquartett
1998/99 Aufbruch für großes Orchester
1999–2000 Der ewige Tag für gemischten Chor, großes Orchester und Live-Elektronik
2000/01 Ex Tempore für neun Instrumente
2001 Trias für Altsaxophon, Klavier und Schlagzeug
2001–2006 Sphären sechs Klangbilder für großes Orchester und Live-Elektronik
2002/03 Klangzeichen für Bläserquintett und Klavier
2003 Widmung zum 60. Geburtstag von Daniel Barenboim für Violine und Klavier (unveröffentlicht)
2004 Scan für Flöte solo
2005 Feuerwerk für 16 Instrumente
2006 Fluchtpunkte für fünf Instrumente
2007/08 Zwiegestalt für Klavier und Streichquartett
2009/10 Mouvements für Violoncello und Klavier
2010 3. Sonate für Klavier
2010 Solo Play / Duo Pla ein Stück für Klavier zu zwei oder zu vier Händen
2011 Doppelspiel 5 Stücke für Klavier zu 4 Händen
2011 Aufschwung con tenuto für Klarinette, Viola und Klavier
2011/12 Konzert für Violoncello und Orchester
2012 Für Tamara für Klavier
2012 Crossing für Ensemble und Live-Elektronik
2013 Voyage für großes Orchester und Live-Elektronik
2013 Mikroludien 5 Klavierstücke für junge Spieler
2014/15 Ausklang und Nachtecho für kleines Orchester
2015 Weit entfernt und doch so nah Hommage an Ludwig van Beethoven für Klavier
2016/17 Konzert für Viola und Orchester
2018 Kondukt zum Andenken an Bernd Alois Zimmermann, für 8 Instrumente
2018/19 Assonanzen-Quintett für Bassettklarinette und Streichquartett
2018/19 Beethoven-Paraphrase für kleines Orchester
2019 3. Streichquartett -
2020 Entree für 11 Blechbläser
2020/21 Doppelkonzert für Violoncello, Klavier und kleines Orchester
  • Gestaltkomposition oder Die Konstruktion des Organischen. In: Neuland II, 1981/82, S. 140–143.
  • Fortschritt oder Sackgasse? Kritische Betrachtungen zum frühen Serialismus. Saarbrücken 1994.
  • Reinhold Dusella (Hrsg.): Klanggestalt – Zeitgestalt. Texte und Kommentare 1964–2003. Boosey und Hawkes (Texte), Bote und Bock (Noten), Berlin 2004, ISBN 3-7931-1697-2 und ISMN M-2025-2231-8
  • Ralf Gerhard Ehlert: Die Verwendung elektronischer Klänge in der Musik York Höllers. Magisterarbeit. Köln 1989, 2001: Musikwissenschaftliches Institut der Universität Köln.
  • Rainer Nonnenmann: York Höller. In: Hans-Werner Heister, Walter-Wolfgang Sperrer (Hrsg.): Komponisten der Gegenwart. München, 2005, yorkhoeller.de (PDF; 126 KB)

Einzelnachweise

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  1. York Höller in einem Vortrag 1998, veröffentlicht in: York Höller: Klanggestalt – Zeitgestalt. Boosey & Hawkes, S. 119.
  2. Villa Massimo | Stipendien. Abgerufen am 22. August 2019.
  3. York Höller wins 2010 Grawemeyer Award for Sphären- boosey.com (englisch)
  4. York Höller Biographie. York Höller, abgerufen am 31. Juli 2010.