Adolphe Ferrière (* 30. August1879 in Genf; † 16. Juni1960 ebenda), Pseudonym Frédéric Emmanuel, war ein schweizerischer Pädagoge und einer der Begründer der Éducation nouvelle (neue Erziehung = Reformpädagogik).
Er war der älteste Sohn von Frédéric Auguste Ferrière und dessen Ehefrau Adolphine, geborene Faber. Seine Familie war ursprünglich aus Frankreich in die Schweiz eingewandert, lebte aber schon seit rund zweihundert Jahren in deren französischsprachigem Teil. Sein Urgroßvater war Hauslehrer bei Madame de Staël und später als Lehrer und Direktor am Genfer Collège tätig gewesen. Sein Großvater war Gefängnisgeistlicher und Fürsorgeerzieher. Sein Vater war Arzt, Naturwissenschaftler und Psychologe sowie Vizepräsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Durch eine Erkrankung verlor Adolphe Ferrière ab 1893 sein Gehör zunächst teilweise, dann sukzessive und ab 1921 vollständig.
Ferrière engagierte sich für diverse pädagogische Initiativen und gründete im Jahr 1899 das Bureau international des Écoles nouvelles, eine Dokumentationsstelle für Schulreformer. Im Jahr 1902 half er bei der Gründung des ersten schweizerischen LanderziehungsheimsSchloss Glarisegg mit. Ab 1909 wirkte er als Privatdozent an der Universität Genf, von 1912 bis 1922 als Ordinarius am dortigen (noch) privaten Institut Jean-Jacques Rousseau.[2] In diese Zeitspanne fällt auch seine Tätigkeit als Lehrer am Landerziehungsheim Les Pléiades bei Blonay, wo er zwischen 1913 und 1920 wirkte. Im Jahr 1920 eröffnete er eine eigene Privatschule in Bex, die auch bis 1921 leitete.[3] Dann jedoch musste er seine praktische Lehrtätigkeit aufgrund des eingetretenen Totalverlusts seines Gehörs vollkommen aufgeben. 1921 gründete er mit Elisabeth Rotten (1882–1964) die New Education Fellowship (ab 1927: Weltbund zur Erneuerung der Erziehung)[4] und wirkte als Redakteur des Weltbund-Periodikums Pour l'ère nouvelle (für eine neue Ära). Mit ihr war er auch im International Bureau of Education in Genf tätig. Ferrière setzte sich für die Selbsttätigkeit des Schülers und dessen Mitverantwortung in einer „École active“ (aktive Schule) ein. Das Landerziehungsheim definierte er als ein Internat auf dem Lande mit einem familienähnlichen Charakter. Die persönliche Erfahrung des Zöglings betrachtete er als Basis für dessen intellektuelle Erziehung und Bildung, wobei er eine mitwirkende Handarbeit der Zöglinge im Sinne einer Arbeitsschule befürwortete. Durch diese praktische Mitarbeit führe die sittliche Erziehung zu einer weitgehenden Selbstregulierung der Schüler.[5] Ferrière verfasste zahlreiche Aufsätze und Bücher und befasste sich mit religiöser Psychologie.[6]
Franz Hilker: Adolphe Ferrière zum Gedächtnis. 1960
Hommage au pédagogue Adolphe Ferrière (1879-1960) à l'occasion du centenaire de sa naissance, Faculté de psychologie et des sciences de l'éducation, Université de Genève (Hrsg.), 1980
Hans-Ulrich Grunder: Von der Kritik zu den Konzepten, Aspekte einer Geschichte der Pädagogik in der französischsprachigen Schweiz im 20. Jahrhundert, Haag u. Herchen, Frankfurt am Main 1986
Jean Houssaye (Hrsg.): Quinze pédagogues. Idées principales et textes choisis. Jean-Jacques Rousseau, Heinrich Pestalozzi, Friedrich Fröbel, Paul Robin, Francisco Ferrer, Rudolf Steiner, John Dewey, Ovide Decroly, Maria Montessori, Anton Makarenko, Adolphe Ferrière, Roger Cousinet, Célestin Freinet, Alexander S. Neill, Carl Rogers. Fabert, Paris 2013. ISBN 978-2-84922-127-3
↑Daniel Hameline: Adolphe Ferrière (1879–1960). In: Perspectives. Revue trimestrielle d’éducation comparée. Unesco Bureau international d’éducation, Paris (Hrsg.), Vol. XXIII, No. 1–2, März/Juni 1993, S. 379–406. Auf: unesco.org, abgerufen am 15. April 2017
↑Daniel Hameline: Relater sa pratique? Les tentations d’Adolphe Ferrière (1879–1960). Entre compte rendu d’évaluation et libelle de propagande. In: Revue française de pédagogie, Vol. 153, No. 1, 2005, S. 67–80. Auf: persee.fr, abgerufen am 15. April 2017