Schnittke war Sohn des jüdischen, aus Frankfurt am Main stammenden Journalisten Harry Schnittke und der wolgadeutschen Deutschlehrerin Marie Vogel. Er war der Bruder des Schriftstellers Viktor Schnittke. 1946 begann Alfred Schnittke in Wien, wo sein Vater bis zur Demobilisierung aus der Roten Armee 1948 als Kriegsberichterstatter bei der Österreichischen Zeitung tätig war, seine musikalische Ausbildung mit Privatstunden bei der österreichischen Klavierlehrerin Charlotte Ruber. Die Familie kehrte nach Moskau zurück, wo Alfred Schnittke von 1949 bis 1953 die Musikschule „Oktoberrevolution“ (Moskowskoje musykalnoje utschilischtsche imeni Oktjabrskoi rewoljuzii) besuchte und seine Ausbildung von 1953 bis 1958 am Moskauer Konservatorium bei Jewgeni Golubew und Nikolai Rakow fortsetzte. Am Konservatorium übernahm er 1961 bis 1972 eine Lehrtätigkeit. Ab 1973 widmete er sich nur noch der Komposition.
Nach anfänglichen Versuchen mit Kompositionstechniken wie Aleatorik und Serialismus wandte sich Schnittke einer polystilistischen Kompositionsweise zu, die sich auf Charles Ives, Luciano Berio und Bernd Alois Zimmermann beruft. Erste Aufmerksamkeit im Westen erzielten seine Werke bei den Tagen für Neue Musik in Donaueschingen 1966. 1985 erlitt er einen Schlaganfall, infolge dessen er kurzzeitig klinisch tot war; dieser „setzte in ihm nochmals ungeheure Schaffenskräfte frei – gut die Hälfte seiner wichtigsten Werke entstand in den 13 ihm noch verbleibenden Jahren, in denen ihn noch drei weitere Schlaganfälle in den Jahren 1991 und 1994 immer wieder an der Arbeit hinderten“.[1] Auch nach seinem vierten Schlaganfall konnte er noch eine 9. Symphonie schreiben, ehe er dann im Jahre 1998 im Alter von 63 Jahren starb.[1]
1990 siedelte Schnittke, nachdem er über 40 Jahre in der Sowjetunion gelebt und gearbeitet hatte, mit seiner Familie nach Hamburg über, wo er an der Musikhochschule eine Professur für Komposition übernahm. Er wohnte von 1992 bis zu seinem Tod in Hamburg-Eppendorf, Beim Andreasbrunnen 5, wo heute eine Gedenktafel angebracht ist.
Schnittke konvertierte zum Christentum und sein mystischer Glaube beeinflusste seine Musik.[2]
Er hatte einen Sohn, Andrej Schnittke (1965–2020), der zunächst neben ihm beigesetzt, aber später nach Hamburg-Ohlsdorf umgebettet wurde. Andrej Schnittke war ebenfalls Komponist und Rockmusiker sowie Fotograf und Fotodesigner. Er lieferte u. a. für Werke seines Vaters elektronische Musikteile, so für dessen Filmmusiken Der Meister und Margarita (Musik zum Spielfilm von Juri Kara nach dem Roman von Michail Bulgakow, 1993) sowie Die letzten Tage von St. Petersburg (Musik zum Stummfilm von Wsewolod Pudowkin, 1927), das musikalische Bühnenwerk HOMMAGE AN SCHIWAGO (musikalisches Gleichnis frei nach Motiven des Romans Doktor Schiwago von Boris Pasternak) und Schnittkes letzte Oper Historia von D. Johann Fausten.
Auf der Suche nach seiner kompositorischen Identität schrieb Schnittke anfänglich viel szenische Musik und Filmmusik. Die 2. Violinsonate von 1968 markiert den Beginn dieses neuen Kompositionsstiles, gleichzeitig begab sich Schnittke aber auch kompositorisch auf eine mit jedem Werk neu entstehende Reise nach Klängen und Konzepten. Gleich seine 1. Sinfonie (1972–74) betitelte er selbst als „Un-Sinfonie“; sie ist ein auskomponiertes Fragezeichen in gigantischen Ausmaßen und behandelt die Suche nach einer zeitgemäßen sinfonischen Form des 20. Jahrhunderts. Gestische und theatralische Elemente, ein weiteres wichtiges Merkmal von Schnittkes Musik, sind hier ebenso einbezogen wie traditionelle Formen und Stile, selbst Jazz wird als „Möglichkeit“ inszeniert, es ist eine sinfonische Apokalypse. John Neumeier verwendete diese Musik zu seinem Ballett Endstation Sehnsucht nach Tennessee Williams.
Alfred Schnittke hat etwa 70 Filmmusiken komponiert. Seit etwa 2001 wird dies von einem zunehmend größeren Publikum wahrgenommen, was in erheblichem Maß das Verdienst des Dirigenten des Rundfunk-Sinfonie Orchesters Berlin, Frank Strobel, sein dürfte. Strobel hat seit dieser Zeit die Filmmusik zu unter anderem Agonia, Die Kommissarin, Clowns und Kinder, Der Meister und Margarita, Rikki-Tikki-Tavi und Sport, Sport, Sport aufgenommen. Dies war durchaus im Sinne von Alfred Schnittke, der seine Filmmusiken als gleichwertig neben den „ernsten“ Kompositionen sah. 2005 und 2006 wurde dies mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ gewürdigt.
Concerto grosso Nr. 1 für zwei Violinen, Cembalo, Präpariertes Klavier und Streicher (1977) (weitere Version, in der die beiden Soloviolinen durch Flöte und Oboe ersetzt werden, durch den Komponisten (1988))
Concerto grosso Nr. 2 für Violine, Cello und Orchester (1981–82)
Concerto grosso Nr. 3 für zwei Violinen und Kammerorchester (1985)
Concerto grosso Nr. 4. (= 5. Sinfonie) (1988)
Concerto grosso Nr. 5 für Violine und Orchester (1991)
Concerto grosso Nr. 6 für Klavier, Violine und Streicher (1993)
Amrei Flechsig und Stefan Weiss (Hrsg.): Postmoderne hinter dem Eisernen Vorhang. Werk und Rezeption Alfred Schnittkes im Kontext ost- und mitteleuropäischer Musikdiskurse, Hildesheim: Olms 2013 (Ligaturen. Musikwissenschaftliches Jahrbuch der HMTH 6), ISBN 978-3-487-15015-4.
Christian Storch: Der Komponist als Autor. Alfred Schnittkes Klavierkonzerte. (= Schriftenreihe der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar 8). Böhlau, Köln / Wien / Weimar 2011, ISBN 978-3-412-20762-5.
Amrei Flechsig, Christian Storch (Hrsg.): Alfred Schnittke: Analyse, Interpretation, Rezeption. (= Schnittke-Studien 1). Olms, Hildesheim / Zürich / New York 2010, ISBN 978-3-487-14464-1.
Amrei Flechsig: Requiem auf die Sowjetunion: Alfred Schnittkes Leben mit einem Idioten. In: Osteuropa. 59 (2009), Heft 4, ISSN0030-6428, S. 109–118.
Melanie Turgeon: Composing the sacred in Soviet and Post-Soviet Russia. History and Christianity in Alfred Schnittke’s Concerto for Choir. VDM, Saarbrücken 2009, ISBN 978-3-639-03333-5.
Peter J. Schmelz: Such freedom, if only musical. The beginning of unofficial Soviet music during the thaw. Oxford University Press, Oxford 2009, ISBN 978-0-19-534193-5.
Christian Storch: Tanz an die verstorbene Mutter? – Der B-A-C-H-Walzer in Alfred Schnittkes Klavierquintett. In: L’art macabre. (= Yearbook of the Europäische Totentanzvereinigung 9). ed. Uli Wunderlich, Düsseldorf 2008, S. 201–212.
Victoria Adamenko: Neo-Mythologism in Music: From Scriabin and Schoenberg to Schnittke and Crumb. (= Interplay 5). Pendragon Press, Hilldale 2007, ISBN 978-1-57647-125-8.
Maria Kostakeva: Im Strom der Zeiten und der Welten. Das Spätwerk von Alfred Schnittke. Pfau, Saarbrücken 2005, ISBN 3-89727-279-2.
Boris Belge: Klingende Sowjetmoderne. Eine Musik- und Gesellschaftsgeschichte des Sozialismus. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2018, ISBN 978-3-412-51066-4.
Über Schnittke-Aufführungen des Dresdner Kreuzchores, in: Matthias Herrmann (Hrsg.): Dresdner Kreuzchor und zeitgenössische Chormusik. Ur- und Erstaufführungen zwischen Richter und Kreile, Marburg 2017, S. 124–126, 129, 281–282, 321 (Schriften des Dresdner Kreuzchores, Bd. 2).
Gavin Dixon: The Routledge handbook to the music of Alfred Schnittke. Routledge, London 2022, ISBN 978-0-367-22246-8.
Die Sinfonien 0–9 und weitere Kompositionen sind beim schwedischen Label BIS erschienen, die 9. Sinfonie auch bei ECM. Einige der Filmmusiken wurden durch Frank Strobel aufgenommen und sind bei CPO bzw. Capriccio erschienen. Viele der Sinfonien und Konzerte wurden von den russischen Dirigenten Gennadi Roschdestwenski und Waleri Polianski eingespielt und sind u. a. bei Chandos erschienen. Im Februar 2015 erschien bei Pentatone die Sinfonie Nr. 3 mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) unter Vladimir Jurowski als SACD.
Eine Auswahl von Kammermusik (Streichtrio, Klavierquartett, "Stille Musik" für Violine und Cello, Streichquartett Nr. 2) ist im Rahmen der Lockenhaus-Collection (Vol. 9) 1992 bei Philips unter der Nummer 434 040-2 erschienen.
↑„Faust“ in der Musik. Neuvertonungen und Klassiker. In: Sikorski. Nr.2. Internationale Musikverlage, Hamburg 2012, S.5 (sikorski.de [PDF; abgerufen am 10. April 2012]).