Das Bestiarium ist außergewöhnlich wegen seiner aufwendigen Illustrationen, die reichlich mit Blattgold überzogen sind, und wissenschaftlich bedeutsam wegen des Reichtums seiner kodikologischen Daten und seiner engen Verwandtschaft mit dem Bestiarium von Ashmole. Das Buch blieb unvollendet, so dass Skizzen und detaillierte Anweisungen für seine Kolorierung und Zusammenstellung erhalten sind.[1]
Die Bilderhandschrift mit der Bezeichnung No.518 Liber de bestiarum natura wurde erstmals im Jahr 1542 im Bestandsverzeichnis der Old Royal Library im Palace of Westminster erwähnt.[2] Sie enthält selbst auch einen Stempel der Bibliothek, die nach der Klösterauflösung durch König Heinrich VIII. wesentlich vergrößert wurde.[1]
In einem Bibliothekskatalog der Marischal College Library in Aberdeen von 1726 wurden erstmals Beschädigungen bzw. Textentnahmen vermerkt. Das Bestiarium von Aberdeen hat große Ähnlichkeiten mit dem Bestiarium von Ashmole (MS. Ashmole 1511), das in der Bodleian Library der Universität Oxford deponiert ist.[2] Trotz Unterschieden in mehreren Darstellungen wird vermutet, dass die Bilderhandschriften aus derselben Hand stammen, wenn sie auch zu verschiedenen Zeiten entstanden.[3]
Die genaue Entstehungsgeschichte und Herkunft des Bestiariums vor 1542 kann nicht eindeutig belegt werden. Xenia Muratova schlägt aufgrund eines Vergleichs mit einer Gruppe verwandter Manuskripte eine Herkunft in den nordöstlichen Midlands vor.[4] Andere Forscher haben es mit der augustinischenBridlington Priory in Verbindung gebracht oder für eine südöstliche Herkunft plädiert.[1]
Die Zeder (fol. 34r) könnte einen Hinweis auf sein Mäzenatentum und seine Funktion geben. In anderen Bestiarien weist dieses Bild oft auf den Mäzen oder Widmungsträger hin. Hier wird eine Frau gezeigt, die eine Taube hält; es könnte sich um die Jungfrau Maria, Ekklesia oder die Weisheit handeln. Außergewöhnlich sind die starken Abnutzungserscheinungen am oberen Rand, als ob ein Leser das Buch häufig umgedreht hätte, um es einem Publikum, vielleicht Generationen von Laienbrüdern in einem Kloster, zu zeigen.[1]
Der Altertumsforscher M. R. James teilte Anfang des 20. Jahrhunderts die ihm bekannten Bestiarien auf Grund ihrer inhaltlichen Zusammensetzungen in vier Familien ein. Das Bestiarium von Aberdeen ist demnach eines der etwa 20 bekannten Exemplare der sogenannten Zweiten Familie(Second Family), die während des 12. Jahrhunderts entstanden sind.[5] Zur Ersten Familie gehörte die allegorische Naturlehre Physiologus und die Etymologiae von Isidor von Sevilla. Das Aberdeen-Bestiarium hat im Vergleich dazu fast die doppelte Anzahl von Kapiteln, mit Zusatzmaterialien u. a. aus De mirabilibus mundi von Solinus und Hexaemeron von Ambrosius, und ist nach den Kategorien von Isidor gegliedert.[6]
Die Ausgestaltung ist eindeutig romanisch, üppig und kraftvoll, mit einer Vorherrschaft satter Blau- und Rottöne und charakteristischen weißen Hervorhebungen. Obwohl der Figurenstil aus dem späten 12. Jahrhundert stammt, erinnert der anmutige schwarze Umriss der Tiere an frühere Bestiarien (z. B. Cambridge, U. Lib., MS. Ii.4.26). Die Abbildungen des Aberdeen- und Ashmole-Bestiariums (Oxford, Bodleian Lib., MS. Ashmole 1511) sind eng miteinander verwandt, obwohl die Ashhmole-Figuren länglich, elegant und eher gotisch sind. Ein Vergleich von Majestas Domini (Aberdeen fol. 4v und Ashmole fol. 8v) verdeutlicht die unterschiedlichen Stile. Beide Bücher scheinen im selben Skriptorium von einer unbekannten dritten Version kopiert worden zu sein. Die sowohl während als auch nach der Anfertigung entstandenen Einstechlöcher zum Kopieren der Illustrationen deuten darauf hin, dass sein Skriptorium ein wichtiges Zentrum für die Bestiariumsproduktion war.[1]
Die auf Latein verfasste Handschrift enthält 103 Folia auf Pergament und misst 30,2 × 21 cm.[7]
Das Bestiarium von Aberdeen beginnt mit einem Schöpfungszyklus ganzseitiger Miniaturen, welcher mit der Benennung der Tiere durch Adam und einer Majestas Domini abschließt.[1] Es ist eines der wenigen Bestiarien, die die Schöpfungsgeschichte miteinbeziehen.
Die Beschreibung zu jedem Tier wird durch ein Porträt oder eine erzählende Illustration eingeleitet.[1] Außerdem enthält es Texte und Bilder über Vögel, die aus dem De avibus von Hugh von Fouilloy übernommen wurden.[6]
Nach der Zählweise von Blättern (Folium) in der Handschriftkunde steht im Folgenden recto, abgekürzt r, für Vorderseite und verso, abgekürzt v, für Rückseite.
fol.7r: Incipit liber de naturis bestiarium (Anfang des Buches über die Natur der Tiere)
fol.7r: De leonibus. (Panthera leo; Löwe) (Physiologus, Kap. 1; Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,2,3–6)
fol.8r: Tigris. (Panthera tigris; Tiger) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Book XII,2,7)
fol.8v: De Pardo. (Panthera pardus; Leopard) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,2,10–11)
fol.9r: De Panthera. (Panthera; Panther) (Physiologus, Kap. 16; Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,2,8–9)
Verglichen mit dem Ashmole-Bestiarium fehlen nach fol.9v die Seiten, auf denen folgende Tiere aufgeführt wären: die Antilope(Antalops), das Einhorn(Unicornis), der Luchs(Lynx), der Greif(Gryps) und ein Abschnitt über den Elefanten(Elephans).
fol.15v: De leucrota.(Leucrota) (Solinus, Collectanea rerum memorabilium, lii, 34)
Verglichen mit dem Ashmole-Bestiarium fehlen nach fol.15v die Seiten, auf denen folgende Tiere aufgeführt wären: Krokodile(Crocodilus), der Mantikor(Mantichora) und ein Abschnitt von dem Parandrus(Parandrus).
fol.16r: De parandro. (Fabeltier; Parandrus) (Solinus, Collectanea rerum memorabilium, xxx, 25)
fol.21r: De vervece. (Ovis gmelini aries; Bock) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,10–11)
fol.21r: De agno. (Ovis gmelini aries; Lamm) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,12; Ambrosius, Sechstagewerk, Buch VI, 28)
fol.21r: De hyrco. (Capra aegagrus hircus; Hausziege) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,14)
fol.21v: Hedus. (Capra aegagrus hircus; Ziegenjunge) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,i,13)
fol.21v: De apro. (Sus scrofa; Wildschwein) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,27)
fol.21v: De iuvenco. (Bos taurus; Hausrind) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,i,28)
fol.21v: Taurus. (Bos taurus; Bulle) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,29)
Verglichen mit dem Ashmole-Bestiarium fehlen nach fol.21v zwei Seiten, auf denen folgende Tiere aufgeführt wären:
der Ochse(Bos), das Kamel(Camelus), das Dromedar(Dromedarius), der Hausesel(Asinus), der Wildesel Onager(Onagro) und ein Teil des Abschnitts über das Pferd(Equus).
fol.22r: De equo part. (Equus caballus; Pferd) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,41–56; Hugh von Fouilloy, III, xxiii)
fol.22v: De equo part. forts.
fol.23r: Mulus. (Hybride; Maultier) (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XII,1,57–60)
M. R. James (Hrsg.): The bestiary, being a reproduction in full of the ms. LI. 4. 26 in the University Library, Cambridge: with supplementary plates from other manuscripts of English origin, and a preliminary study of the Latin bestiary as current in England. Oxford University Press, 1928, S. 59, 74.
Florence McCulloch: Mediaeval Latin and French Bestiaries. University of North Carolina Press, Chapel Hill 1962.
Xenia Muratova: Beasts and Birds of the Middle Ages. In: Willene B. Clark, Meradith T. McMunn (Hrsg.): Workshop Methods in English Late Twelfth-Century Illumination and the Production of Luxury Bestiaries. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1989, ISBN 0-8122-8147-0, S. 53–63.
Franz Unterkircher: Bestiarium. Die Texte der Handschrift MS Ashmole 1511 der Bodleian Library Oxford in Lateinischer und Deutscher Sprache. Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz 1986, ISBN 3-201-01310-2.
↑ abcdefgAberdeen Bestiary. In: Colum P. Hourihane (Hrsg.) The Grove Encyclopedia of Medieval Art and Architecture. Oxford University Press, 2013. Abgerufen am 22. November 2020 bei Oxford Reference (Beschränkter Zugriff)
↑Xenia Muratova: The Bestiaries, an Aspect of Medieval Patronage. In: S. Macready, F. H. Thompson (Hrsg.): Art and Patronage in the English Romanesque, London 1986, S. 118–144.
↑Florence McCulloch: Mediaeval Latin and French Bestiaries. Überarbeitete Auflage. University of North Carolina Press, Chapel Hill 1962, S.36.
↑ abWhat is a Bestiary? University of Aberdeen, abgerufen am 9. November 2019 (englisch).
↑Manuscript: Univ. Lib. MS 24. In: The Medieval Bestiary. David Badke, 16. Januar 2011, abgerufen am 6. November 2019 (englisch).