Dayanita Singh (* 1961 in Neu-Delhi, Indien) ist eine indische Fotografin. Typisch für Singh sind Schwarzweißaufnahmen, die als Sequenzen in Buchobjekten, Schachteln oder Fotowänden organisiert sind. Sie arbeitet oft dokumentarisch und fotografiert Freunde und Weggefährten, Familien oder leere Räume.
Singh wurde 1961 als älteste von vier Schwestern in Neu-Delhi geboren.[1] Ihre Mutter Nony fotografierte viel und hielt das Familienleben in zahllosen inszenierten und idealisierten Aufnahmen fest. Die Fotografien der Mutter, in Alben geordnet oder unter Glasplatten auf Tischen präsentiert, waren fester Bestandteil des Familienalltags. Als Kind empfand Dayanita Singh das ständige Fotografieren der Mutter als lästig.[2] Dennoch entschloss sie sich als junge Frau, Fotografin zu werden, um abseits von gesellschaftlichen Erwartungen ein freies Leben führen zu können.[3]
Singh studierte in den Jahren von 1980 bis 1986 Visuelle Kommunikation am National Institute for Design in Ahmedabad im Bundesstaat Gujarat. Im Rahmen des Studiums an der renommierten Schule, die der Lehre des Bauhauses, der Moderne und der Avantgarde verpflichtet ist, besuchte sie eine Klasse für Buchgestaltung. 1986 veröffentlichte sie, noch als Studienarbeit, einen Fotoband über den indischen TablaspielerZakir Hussain, den sie jahrelang auf Tour begleitet hatte.[2] In diesem Buch wird der dokumentarische Stil sichtbar, der typisch für Singhs frühe Arbeiten ist.[1] In den abgebildeten Porträts zeigt sich Singhs Interesse an Körpern, Bewegung und menschlichen Beziehungen.[4]
1987 überredete Singh ihre Mutter, ihr mit dem für ihre Mitgift gedachten Geld ein Studium am International Center of Photography in New York zu finanzieren. So konnte Singh nach New York ziehen, um Dokumentarfotografie und Fotojournalismus zu studieren.[5] Außerdem absolvierte sie ein Praktikum bei Mary Ellen Mark.[1] In den späten 1980er Jahren arbeitete Singh als Fotojournalistin für internationale Zeitschriften wie Newsweek, The New Yorker, India Magazine, das SZ-Magazin und Time.[6] Viele dieser Arbeiten sind Schwarzweißfotografien, befassen sich mit ihrer Heimat und porträtieren die indische Mittel- und Oberklasse.
In den 1990er Jahren wandte sie sich desillusioniert[1] vom Fotojournalismus ab und begann, verstärkt eigene künstlerische Projekte zu verfolgen.[7] Zu dieser Zeit waren das hauptsächlich Bilder von Familien und von leeren Räumen. Ein Stipendium der Andrea Frank Foundation erlaubte es ihr 1997, sich weiterhin den Familienfotos zu widmen und den Familien Abzüge der Fotografien zu schenken.[5]
1989 lernte Singh während einer Reportage die Hijra Mona Ahmed kennen.[8] Ahmed, die 2017 verstarb, wurde Singhs Freundin, Muse und Wegbegleiterin. Singh fotografierte Ahmed, Ahmed arbeitete an Singhs Werken über sie mit. So verfasste Ahmed Texte zu Singhs Buch Myself Mona Ahmed, das 2001 erschien. Im Zuge dieser Publikation kam Singh in Kontakt mit dem deutschen Verleger Gerhard Steidl, mit dem sie seither regelmäßig zusammenarbeitet.[5] 2021 veröffentlichte Singh die Mona Montages, elf analoge Fotomontagen, in deren Zentrum Mona Ahmed steht.[9]
Singh versteht sich als Büchermacherin, die mit Fotos arbeitet[7] und als Archivarin.[4] Sie organisiert die für sie charakteristischen Schwarzweißaufnahmen in Teakholzgebilden, die einer Spanischen Wand gleichen, in Sammelschachteln oder in Buchobjekten. Wichtig ist ihr dabei nicht das einzelne Bild, sondern die ganze Sequenz, deren Reihenfolge flexibel bleiben soll. Sie meidet den Kunstmarkt und vertreibt ihre Werke direkt, z. B. bei Veranstaltungen, über ihre Londoner Galerie, oder als Buchobjekte.[1]
Das Fotografieren ist für Singh ein körperlicher, bewegungsorientierter Prozess. Früher habe sie meist mit einer Hasselblad-Kamera gearbeitet, die sie vor den Bauch gehalten habe, ihre Beine habe sie sozusagen als Stativ benutzt, so sei sie um das Motiv herumgetanzt und habe Augenkontakt mit den Menschen halten können, die sie fotografiert habe.[10] Sie beschrieb die Kamera auch als ihre „dritte Brust“.[1]
↑ abThomas Weski: Zur Fotografie von Dayanita Singh. In: Dr. Stephanie Rosenthal (Hrsg.): Dayanitha Singh: Dancing with my Camera. Hatje Cantz, 2022, ISBN 978-3-7757-5175-9, S.86ff.
↑Sophia Bennett, Manjit Thapp: Getting to know Dayanita Singh. In: Tate. 27. April 2022, abgerufen am 11. Mai 2024 (britisches Englisch).