Die Neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens (ab 1901 „Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie“) war die wichtigste Theoriezeitschrift der SPD von 1883 bis 1923. Sie wurde begründet und bis 1917 geleitet von Karl Kautsky und Emanuel Wurm. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Zeitschrift Schauplatz bedeutender theoretischer Debatten des Marxismus und Wissenschaftlichen Sozialismus in Deutschland. Nach dem Austritt von Kautsky und Wurm aus der SPD im Jahre 1917 übernahm der bedeutende marxistische Theoretiker, Völkerkundler und Dozent an der Parteischule der SPD, Heinrich Cunow, die Chefredaktion.
Die erste Ausgabe erschien am 1. Januar 1883 mit dem angesichts des Sozialistengesetzes bewusst unpolitischen Untertitel Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Die Zeitschrift erschien anfangs als Monatsschrift, seit Oktober 1890 erschien sie wöchentlich. Drucker und Verleger war Johann Heinrich Wilhelm Dietz in Stuttgart. Miteigentümer waren Heinrich Braun und Karl Kautsky. Im Jahr 1896 lag der Umfang bei etwa 32 Seiten. Ein Heft kostete 25 Pfennige und ein Jahresabonnement 13 Mark.
Im Jahr 1901 wurde die Zeitschrift offiziell in Parteieigentum überführt. Im Jahr 1908 wurde die Zeitschrift um eine monatliche Feuilletonbeilage erweitert. Hinzu kamen einmal im Vierteljahr Ergänzungen zum Abdruck längerer Beiträgen.
Als theoretische Zeitschrift blieb die Auflage der Zeitung gering, auch wenn diese deutlich anwuchs. Die Zahl der Abonnenten stieg von 2.300 im Oktober 1883 auf 9.000 im Jahre 1910. Während des Ersten Weltkrieges brach die Auflage stark ein und lag 1921 nur noch bei 3.600 Exemplaren. Wirtschaftlich war die Zeitschrift trotz ihrer Bedeutung für den innerparteilichen Diskurs seit langem ein Zuschussunternehmen. Als Folge der Hochinflation musste das Blatt am 25. August 1923 im 41. Jahrgang sein Erscheinen einstellen.
Die Gründung der Zeitschrift wurde im Oktober 1882 von August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Karl Kautsky und J. H. W. Dietz beschlossen. Von Liebknecht stammte der Programmartikel. Darin hieß es:
Der Anspruch war anfangs jedenfalls ein offenes Forum auch für Kritiker zu sein.
Der Neuen Zeit gelang es innerhalb kurzer Zeit, politische Schwankungen und philosophischen Eklektizismus zu überwinden. Es gelang ihr bereits während des Sozialistengesetzes die Stärke der sozialistischen Bewegung zu demonstrieren und den wissenschaftlichen Sozialismus zu propagieren.
1885 schon schrieb Friedrich Engels, der anfänglich Zurückhaltung gegenüber dieser Revue übte, an August Bebel, dass die Neue Zeit einer der drei Posten sei, den der revolutionäre Flügel unbedingt zu halten und in der Legalität auszubauen habe. Zwischen 1885 und 1895 hat Engels Kautsky nicht nur beraten, sondern dem Blatt auch wichtige Artikel insbesondere von Karl Marx vermittelt. Dazu zählten dessen Briefe zur Pariser Kommune und die Kritik des Gothaer Programms. Außerdem veröffentlichte Engels selbst in dieser Zeit zahlreiche Beiträge in dem Blatt. Der bedeutendste war Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie aus dem Jahr 1886.
Auch andere ausländische Autoren aus dem Umfeld von Marx und Engels wie Laura und Paul Lafargue, Friedrich Adolf Sorge oder Eleanor Marx publizierten in der Neuen Zeit. Durch ihre Berichte über auswärtige ökonomische und historische Prozesse erhielt das Blatt einen internationalen Charakter.
Auch nach dem Ende des Sozialistengesetzes blieb die Neue Zeit nach 1890 die führende theoretische sozialistische Zeitschrift in Deutschland. Zum 10-jährigen Jubiläum stellte Franz Mehring fest:
Karl Kautsky hielt aber auch an dem Anspruch fest, die nichtintellektuellen Anhänger der Sozialdemokratie zu erreichen.
Die Neue Zeit nahm während des Revisionismusstreits eindeutig gegen Eduard Bernstein und seine Anhänger Stellung. Bereits um die Jahrhundertwende konnten diese nicht mehr in der Neuen Zeit publizieren. Die Revisionisten gründeten daher die Sozialistischen Monatshefte.
Zwischen 1908 und 1915 erschienen 21 Ergänzungshefte zur „Neuen Zeit“, darunter drei von Karl Kautsky und je zwei von Franz Mehring, Heinrich Cunow, Paul Lafargue und von Theodor Rothstein.
Die Zeitschrift gliederte sich nach der Jahrhundertwende in zwei Hauptrubriken. Die erste war überschrieben mit Zeitgeschichte und soziale Zustände. In diesem Teil erschienen Beiträge zu Politik, Wirtschaft und zu sozialen Fragen. Die zweite Rubrik war mit Sozialpolitik betitelt. Die Beiträge waren weit gefächert und reichten von der Agrarfrage, Arbeitgeberorganisationen, Alkoholprobleme, über Frauenfragen, Gewerkschaftliches, Arbeiterverhältnisse, Versicherungswesen bis hin zu Beiträgen zur Kommunalpolitik, zum Mittelstand und der Beamtenschaft. Dieser Bereich war der Umfangreichste der Zeitschrift. Neben den beiden großen Bereichen gab es weitere Rubriken wie: „Sozialismus, Sozialphilosophie und politische Ökonomie“, „Kunst und Literatur“, „Naturwissenschaft, Hygiene und Technik“ und „Geschichte, Urgeschichte und Ethnologie.“
Wichtig für die Entwicklung des Blattes wurde die Mitarbeit von Franz Mehring. Dieser war ab 1891 zunächst als Korrespondent für Berlin und politischer Chefredakteur tätig. Als Feuilletonredakteur gelang es ihm eine gewisse Selbstständigkeit gegenüber der Gesamtredaktion zu erreichen. Unter seiner Leitung gewann dieser Bereich neben dem allgemeinen Teil der Zeitschrift an Bedeutung und wurde zu einem wichtigen Werkzeug sozialistischer Kultur- und Literaturarbeit. Mehrings Artikel zur Literatur, zum Theater, zur Geschichte der Literaturwissenschaft („Lessing-Legende“ N. Z. 1891/92), zur Nationalgeschichte usw. prägten gut zwei Jahrzehnte das Gesicht des Feuilletons, ja sogar der gesamten Revue. Der Hauptteil von Mehrings grundlegenden Aufsätzen entstand für die Neue Zeit. Seinen Leitartikeln, oft auch zu Problemen der Literatur („Füll dreß jacket und Proletarierbluse“ 1892) eignete die Fähigkeit, mit aktuell-politischer Fragestellung zugleich gezielte Angriffe auf den bourgeoisen Kunstbetrieb und dessen gesellschaftliche Grundlagen zu verbinden.
Neben Mehrings eigenen Artikeln und zahlreichen kleinen Beiträgen erschienen im Feuilleton der Neuen Zeit größere marxistisch orientierte Abhandlungen. Dazu zählten Originalbeiträge von Paul Lafargues zur Romantik und zu Émile Zolas „Gold“ 1892. Hinzu kamen seit 1890 Nachdrucke von Abhandlungen von Georgi Walentinowitsch Plechanow etwa über Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Henrik Ibsen. Damit wurde das Blatt auch ein zentrales Organ einer marxistisch orientierten Literaturwissenschaft. Das Blatt nahm teilweise polemisch kritisch Stellung zur zeitgenössischen deutschen Literatur insbesondere des Naturalismus. Daneben versuchte es ältere „revolutionäre“ Autoren für die sozialistische Bewegung zu vereinnahmen. Dazu zählten etwa Heinrich Heine oder Georg Herwegh. Der Höhepunkt waren die Beiträge Mehrings zum Friedrich Schiller Jahr 1905. Daneben wurden auch neuere sozialistische Autoren gefördert und behutsam-hilfreich kritisiert (zum Beispiel: L. Jacoby, R. Schweichel, M. Kautsky, O. Krille). Einige konnten ihre Beiträge auch in der Neuen Zeit selbst publizieren.
Ein besonderes Augenmerk galt der zeitgenössischen Weltliteratur. Dabei stand vor allem die russische und nordeuropäische Literatur im Vordergrund. In dieser sah Mehring eine enge Verbindung von revolutionärer Subjektivität der Künstler und kritische Spiegelung der Klassengesellschaft. Teilweise wurden Werke von Anton Pawlowitsch Tschechow, Iwan Sergejewitsch Turgenew, Maxim Gorki oder August Strindberg vollständig oder in Auszügen abgedruckt. Demgegenüber trat die Besprechung der kritisch-realistischen deutschen Literatur zurück. Ausnahmen bildeten kleinere Rezensionen zu Hermann Hesses Peter Camenzind und Unterm Rand. Die politische und ästhetische Erziehung des Proletariats durch die N. Z. erfolgte daher vor allem über die theoretisch-politische Kritik einiger Tendenzen der deutschen zeitgenössischen Literatur und über die Aneignung der modernen Weltliteratur.
Neben Mehring traten schon um die Jahrhundertwende, gefördert von den Linken, jüngere sozialistische Schriftsteller im Bereich der marxistisch orientierten Literaturwissenschaft hervor (z. B. E. Hoernle, H. Ströbel).
Insbesondere im Feuilleton zeigten Beiträge von Paul Ernst, Friedrich Stampfer und F. Diederich auch revisionistische Auffassungen. Diese setzten sich bereits vor 1914 durch. Dies führte im Jahr 1913 dazu, dass Franz Mehring aus der Redaktion verdrängt wurde.