Das Jahr 1906 war für ihn von zwei zentralen Begegnungen geprägt: Einerseits fand er über Saladin Schmitt Zugang zu Stefan George.[2][3][4] Andererseits lernte er zu Beginn des Sommersemesters seinen Lebensgefährten Ernst Glöckner kennen. Beide begriffen ihre Liebe als „großes Mysterium“[5] und feierten ihren „Du-Tag“ mit Beethoven-Musik und Thomas Mann-Lektüre.[6] Das Werben Georges um Glöckner führte zu einem Dreiecksverhältnis, weil Glöckner an Bertram festhielt.[7]
1918 erschien Bertrams Buch Nietzsche – Versuch einer Mythologie, mit dem er in literarisch interessierten Kreisen schnell bekannt wurde; 1919 habilitierte er sich auf Anraten seiner Lehrers Berthold Litzmann mit diesem Buch in Bonn für das Fach der Neueren Literaturgeschichte. Vom Einfluss auf Thomas Mann während jener Zeit zeugen die erhaltenen Briefe Manns an Bertram (256 Schriftstücke im DLA Marbach) sowie Manns nahezu gleichzeitig erschienenen Betrachtungen eines Unpolitischen, deren Entstehung durch einen intensiven Gedankenaustausch begleitet wurde.[8] Im Januar 1922 erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Neuere Literaturgeschichte an der Universität Köln, nachdem eine Berufung Josef Nadlers gescheitert war.
Dem französischen Schriftsteller Maurice Barrès antwortete Bertram 1921 auf dessen Vorlesungsreihe Le génie du Rhin, in der Barrès in die Bestrebungen zur Ablösung des Rheinlands eingriff, mit der 1922 auch als Buch erschienenen Polemik Rheingenius und Génie du Rhin[9] sowie dem im gleichen Jahr erschienenen Gedichtzyklus Der Rhein.[10] Dem Gegensatz von Norden und Süden sowie der Ungleichheit der Völker verlieh er im Zyklus des Nornenbuchs (1925)[11] Ausdruck. Der dem Andenken seines im gleichen Jahr verstorbenen Freundes Ernst Glöckner gewidmete Zyklus Griecheneiland (1934) modifizierte die Abwertung des Südens etwas.[12] Der Literaturwissenschaftler Günter Hess urteilt über diese Dichtungen: „Am Beispiel des Literarhistorikers und Dichters Ernst Bertram, dessen problematischer Natur man noch nicht gerecht geworden ist, weil man ihn nach dem Zerbrechen der Freundschaft mit Thomas Mann allzu schnell abfertigte, wäre zu zeigen, wie das Ringen um eine neue deutsche Mythologie, trotz ihrer gnadenlosen Esoterik und ihres Scheiterns, in der Nachfolge Nietzsches und Wagners, Hölderlins und Georges wenigstens Spuren von literarischer Bedeutung hinterlassen kann. […] Die Spruchdichtung des Anti-Historikers Bertram, der durch die Ereignisse der Jahre 1918/19 tief verstört und verletzt ist, versucht die historische Situation zu bewältigen, indem er in seinen Gedichtzyklen das Panorama der Geschichte als »Bildwerdung« neuer Möglichkeiten interpretiert.“[13]
Der Nationalliberale Bertram lehnte die Weimarer Republik ab; so blieb er 1929 kurzfristig der von der Universität veranstalteten Verfassungsfeier fern, nachdem Beamten die Teilnahme an der wenige Wochen vorher angesetzten Kundgebung gegen den Versailler Friedensvertrag durch das preussische Kultusministerium verboten worden war.[14] Die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten begrüßte Bertram mit seiner zu Beginn des Sommersemesters am 3. Mai 1933 im Rahmen seiner Vorlesung gehaltenen Ansprache Deutscher Aufbruch[15]. In die Abläufe der Kölner Bücherverbrennung versuchte er steuernd einzugreifen und scheint am 17. Mai 1933 daran teilgenommen zu haben. Bei der Bonner Verbrennung am 10. Mai 1933 zitierte der Volkskundler Hans Naumann (Mediävist) aus Bertrams Zyklus Wartburg[16] das Gedicht „An die Jugend“ mit den Versen: „Verwerft, was euch verwirrt, / Verfemt, was euch verführt! / Was reinen Willens nicht wuchs, / In die Flammen mit was euch bedroht“.[17]
Im September 1945 kam eine städtische Entnazifizierungskommission zu dem Schluss, dass Bertram „als ein Mann ausgewiesen“ (ist), „der zu den Ernährern des Nationalsozialismus gehört“.[17] 1946 wurde Ernst Bertram des Lehramts enthoben, 1950 nach einer Überprüfung des Entnazifizierungsverfahrens jedoch rehabilitiert und emeritiert.[18] Als Hochschullehrer war er nicht mehr tätig. Bertram wurde auf seinen Wunsch an der Seite seines Lebensgefährten Ernst Glöckner in Weilburg an der Lahn bestattet.
Bertram ist zeitlebens auch als Lyriker in Erscheinung getreten. Die meisten seiner Gedichtbände (unter anderen Der Rhein, Straßburg, Patenkinderbuch, Griecheneiland) erschienen im Insel Verlag. Außerdem schrieb er verschiedene sogenannte „Spruchdichtungen“, d. h. aufeinander folgende und in einem gewissen Zusammenhang stehende Aphorismen (Der Wanderer von Milet, Sprüche aus dem Buch Arja, Deichgrafensprüche), die in dieser Form in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts eine Einzelstellung besitzen.
Erika Gerlach: Ernst Bertram. In: Wuppertaler Biographien 1. Folge. Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals Band 4, Born-Verlag, Wuppertal 1958, S. 11–18.
Norbert Oellers: Ernst Bertram – mit dem Strom und gegen ihn. In: Moderne und Nationalsozialismus im Rheinland. Hrsg. von Dieter Breuer und Gertrude Cepl-Kaufmann. Schöningh, Paderborn u. a. 1997, S. 213–227.
Friedemann Spicker: 3.5 Ernst Bertram. In: ders.: Studien zum deutschen Aphorismus im 20. Jahrhundert (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Band 79). Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2000, S. 80–89 in der Google-Buchsuche.
Peter Sprengel: Räuber des Lichts? Ernst Bertram und Gerhart Hauptmann. Mit einer Dokumentation ihrer Beziehung 1913–1938, in: George-Jahrbuch 10 (2014), S. 179–208.
Jan Steinhaußen: „Aristokraten aus Not“ und ihre „Philosophie der zu hoch hängenden Trauben“. Nietzsche-Rezeption und literarische Produktion von Homosexuellen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: Thomas Mann, Stefan George, Ernst Bertram, Hugo von Hofmannsthal u. a.Königshausen & Neumann, Würzburg 2001 (= Epistemata; Reihe Literaturwissenschaft, 326) ISBN 3-8260-1977-6
↑Vgl. Ernst Bertram, Zur sprachlichen Technik der Novellen Adalbert Stifters. Ruhfus, Dortmund 1907 (Teildruck), S. 67 (Lebenslauf).
↑Robert Boehringer: Mein Bild von Stefan George – Teil 1, zweite, ergänzte Auflage, Helmut Küpper vormals Georg Bondi, Düsseldorf/München 1967, S. 154
↑Robert Boehringer (Hrsg.) & Georg Landmann (Hrsg.): Stefan George – Friedrich Gundolf, Briefwechsel, Helmut Küpper vormals Georg Bondi, München/Düsseldorf 1962, S. 231
↑Hajo Jappe: Ernst Bertram. Gelehrter, Lehrer und Dichter. Bouvier, Bonn 1969, S. 311, Anm. 1.-2.
↑Hajo Jappe: Ernst Bertram. Gelehrter, Lehrer und Dichter. Bouvier, Bonn 1969, S. 30
↑Hajo Jappe: Ernst Bertram. Gelehrter, Lehrer und Dichter. Bouvier, Bonn 1969, S. 35
↑Thomas Karlauf, Stefan George. Die Entdeckung des Charismas, München 2007, S. 382
↑Jens Rieckmann: Erlösung und Beglaubigung. Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen und Ernst Bertrams Nietzsche: Versuch einer Mythologie, in: MLN - Modern Language Notes (MLN) 90/2 (1975), S. 424–430.
↑Ernst Bertram: Rheingenius und Génie du Rhin. Cohen, Bonn 1922
↑Ernst Bertram: Der Rhein. Ein Gedenkbuch. Zweite Auflage. Georg, München 1924
↑Ernst Bertram: Das Nornenbuch. Insel, Leipzig 1925
↑Günter Hess: Siegfrieds Wiederkehr. Zur Geschichte einer deutschen Mythologie in der Weimarer Republik, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 6 (1981), S. 112–144, hier: S. 125–126.
↑Historisches Archiv der Universität zu Köln, Zugang 28/138.
↑Ernst Bertram: Deutscher Aufbruch. Eine Rede vor studentischer Jugend, in: Deutsche Zeitschrift (Der Kunstwart) 46 (1933), S. 609–619.
↑Ernst Bertram: Wartburg. Spruchgedichte. Insel-Verlag, Leipzig 1933, S. 66
↑ abZitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 44. Die Rede wurde gedruckt, siehe Hans Naumann und Eugen Lüthgen: Kampf wider den undeutschen Geist. Reden, gehalten bei der von der Bonner Studentenschaft veranstalteten Kundgebung wider den undeutschen Geist auf dem Marktplatz zu Bonn am 10. Mai 1933. Bonn 1933
↑Die Akten der Verfahren gegen Bertram in Historisches Archiv der Universität zu Köln, Zugang 571/11.
↑Stadtbibliothek Wuppertal: Teilnachlass Ernst Bertram: B – 6: Treudienst-Urkunde: Anerkennung für 25-jährige Treue Dienste durch den Staatsminister und der Präsidialkanzlei des Führers Theissner, 13. November 1939