Das Festival von Avignon (Festival d'Avignon) ist ein Theater-, Tanz- und Gesangsfestival in der südfranzösischen Stadt Avignon. Es wurde 1947 von Jean Vilar gegründet und findet jährlich in den drei letzten Juli-Wochen statt. Ab 1971 wurde es von dem damals 35-jährigen Paul Puaux mit einem Generationenwechsel der Intendanten bis 1979 fortgeführt. Seitdem hat es die Rechtsform eines Vereins in der Trägerschaft der Stadt, vertreten durch den Bürgermeister.
Neben den „In“-Aufführungen im Papstpalast, dem Karmeliterkloster und anderen Spielorten, die von öffentlichen Einrichtungen gefördert werden, gibt es auch hunderte von „Off“-Aufführungen, in denen private Theatergruppen und Einzelpersonen ihre Werke in Hinterhöfen, auf der Straße etc. zeigen. Während des Festivals herrscht ein reges Treiben in den Straßen – besonders sehenswert: die Rue des Teinturiers, Place de l’horloge und der Platz vor dem Papstpalast (Palais des Papes).
Dieses immer wieder – auch von Streiks des Bühnenpersonals – neu strukturierte Zusammenspiel herkömmlicher und neuer Inszenierungen hat das Theater in Frankreich und Europa stark beeinflusst. Das choreographische Balletttheater z. B. bekam hier seine Startchance.
Im Rahmen einer Ausstellung für moderne Kunst im Jahr 1947, die in der großen Kapelle des Papstpalastes stattfand, haben der Kunstkritiker Christian Zervos und der Dichter René Char Jean Vilar vorgeschlagen die „semaine d’art dramatique“ zu kreieren und zu organisieren. Jean Vilar war Schauspieler, Regisseur und Leiter einer Theatertruppe.
Zunächst lehnte Jean Vilar dieses Projekt ab, da er an der technischen Durchführbarkeit zweifelte und der Bürgermeister von Avignon ihn nicht wie erwartet unterstützte. Die Regierung wollte den Wiederaufbau der Stadt und deren Kultur nach den Bombardierungen im April 1944 fördern. Deswegen gab sie ihr Einverständnis zur finanziellen Unterstützung des Festivals und gestattete die Benutzung des Hofes des Papstpalastes. Jean Vilar konnte nun „Une semaine d’Art en Avignon“ vom 4. bis 10. September 1947 ins Leben rufen. 4800, davon 2900 zahlende Besucher erschienen zu diesem Festival. Es fand an drei Plätzen statt: in dem Ehrenhof des Papstpalastes, im Theater und in „le Verger d’Urban V“. Es gab sieben Aufführungen der drei Werke: La Tragédie du roi Richard II von Shakespeare, La Terrasse de midi von Maurice Clavel und L’Histoire de Tobie et de Sara von Paul Claudel. Aufgrund des Erfolges, organisierte Jean Vilar die „Semaine d’art dramatique“ auch im folgenden Jahr. Er bezog erneut das Werk La Tragédie du roi Richard II (Richard II.) von Shakespeare ein. Außerdem fügte er die Werke La Morte de Danton (Dantons Tod) von Georg Büchner und Shéhérazade (Scheherazade) von Jules Supervielle, der alle drei Werke inszenierte, hinzu.
Einige der nennenswerten, teilnehmenden junge Talente waren Jean Négroni, Germaine Montero, Alain Cuny, Michel Bouquet, Jean-Pierre Jorris, Silvia Montfort, Jeanne Moreau, Daniel Sorano, Maria Casarès, Philippe Noiret, Monique Chaumette, Jean Le Poulain, Charles Denner, Jean Deschamps sowie Georges Wilson. Gérard Philipe, der aus der Filmbranche bekannt ist, begab sich 1951 zum Théâtre National Populaire (TNP) und wurde eine Ikone durch seine Rollen als Cid in Le Cid und der des Prinzen Friedrich von Homburg in Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin von Heinrich von Kleist.
Trotz sehr heftiger Kritiken wurde das Festival zunehmend erfolgreicher; Vilar wurde als Stalinist, Faschist, Populist und Kosmopolit bezeichnet. Die stellvertretende Direktorin des Festivals und der Musik Jeanne Laurent stand hinter Vilar von 1951 bis 1963. In diesem Jahr wurde er von Georges Wilson ersetzt. Die Schriftstellerin Elisabeth Barbier wirkte jahrelang an der Organisation des Festivals mit.
Auch die Regisseure Jean-Pierre Darras (1953), Gérard Philipe (1958) und Georges Wilson (1953) wurden zu den Festspielen eingeladen. Ab 1964 hatte Vilar keine weiteren Stücke neu inszeniert. Schon ab 1954, unter dem Namen Festival d‘Avignon und mit einem Stück von Vilar, bestärkte sich die Idee des Volkstheaters und der Dezentralisierung des Theaters durch die Schaffung des TNP. Durch die Volksbindung, Jugendbewegungen und die Integration weltweiter Netzwerke konnte das Theater wiederbelebt werden. Sein Publikum wurde so zu Lesungen, Diskussionen zu diversen Stücken, kultureller Politik etc. eingeladen. Im Jahr 1965, hat die Theatertruppe von Jean-Louis Barrault vom Odéon-Theater (l’Odéon-Théâtre de France) Numance präsentiert. Dies stellte den Anfang großer Veränderungen dar. Ab 1966 wurde z. B. die Dauer der Veranstaltung auf einen Monat verlängert.
Das Festival war allzeit ein Spiegelbild der Entwicklung des Theaters. So wurde ab 1966 parallel zu der Veranstaltung mit etablierten Dramen, Theatern und diversen Schaustücken auch das nicht-offizielle und unabhängige Festival „Off“ eingeführt. Dieses wurde durch André Benedetto und Bertrand Hurault initiiert. Vilar leitete das Festival bis zu seinem Tod im Jahr 1971. In diesem Jahr wurden achtunddreißig Stücke dargeboten.
Die Bewegungen im Mai 1968 resultierten darin, dass am 22. Festival d’Avignon keine französischen Theaterstücke aufgeführt wurden. Dies war die Hälfte von den geplanten 83 Veranstaltungen.
Von 1971 bis 1979 leitete Paul Puaux, trotz Kritik, das Festival d'Avignon. Er weigerte sich den Titel des Direktors anzunehmen und bevorzugte den bescheidenen Titel des Administrators. Er erweiterte die Anzahl der Künstler mit neuen internationalen Einflüssen: Merce Cunningham, Mnouchkine, Besson. Außerdem waren diese Jahre die Geburtsstunde des „Off“ mit Stücken von Antoine Vitez und Bob Wilson.
Er beendete sein Amt 1979. Nach ihm wurde Bernard Faivre d'Arcier ernannt.
Im Jahr 1980 übernahm Bernard Faivre d'Arcier die Leitung des Festivals d'Avignon. In seiner Zeit als Festival-Direktor (1980–1984 und 1993–2003) und in der Phase von Alain Crombecque (1985–1992) wurde das Management professionalisiert und der internationale Ruf des Festivals erweitert.
Seit der Gründung im Jahr 1947 als La semaine d’Art dramatique wurden viele Änderungen vorgenommen:
Im Jahr 2003 fand ein Streik der Unterhaltungsbranche statt gegen die Reform der Vergütungssysteme Assedic. Dieser führte zur Absage des Festivals. Eigentlich waren 750 verschiedene Veranstaltungen geplant.
Nach ihrer Ernennung im Januar nahmen Hortense Archambault und Vicent Baudriller die Organisation des Festivals in die Hand. 2008 wurden sie für vier Jahre erneut gewählt. Die beiden veranlassten den Umzug des Pariser Büros nach Avignon und organisierten das Programm, das sich jedes Jahr auf ein oder zwei andere Künstler spezialisiert. So luden sie Thomas Ostermeier im Jahr 2004, Jan Fabre im Jahr 2005, Josef Nadj im Jahr 2006, Frédéric Fisbach im Jahr 2007, Valerie Dréville und Romeo Castellucci im Jahr 2008, Wajdi Mouawad im Jahr 2009, Olivier Cadiot und Christoph Marthaler im Jahr 2010, Boris Charmatz im Jahr 2011, Simon McBurney im Jahr 2012 und Dieudonné Niangouna & Stanislas Nordey im Jahr 2011 ein.
Olivier Py wurde am 2. Dezember 2011 vom Vorstand zum neuen Direktor des Festivals d’Avignon ernannt. Er trat sein Amt am 1. September 2013 an.
Am 20. März 2014 präsentierte er der Presse das Programm des 68. Festival d’Avignon in La Fabrica (4.–27. Juli 2014). Bei dessen Programm legte er besonders Wert auf folgende Aspekte:
Das Jahr 2014 war ein schwieriges Jahr für den neuen Direktor:
Am 5. Juli 2021 wurde der Portugiese Tiago Rodrigues (* 1977) – damals künstlerischer Leiter des Teatro Nacional D. Maria II – zum Direktor des Festivals ab dem 1. September 2022 ernannt. Die Amtszeit beträgt vier Jahre und kann einmal verlängert werden.[3]
Im Jahr 2004 brachten Hortense Archambault und Vincent Baudriller, Co-Direktoren des Festival d’Avignon, zum Ausdruck, dass es notwendig sei, einen Ort für Proben und einen Rückzugsort für die Künstler zu etablieren. La Fabrica, ein Gebäude, das von der Architektin Maria Godlewska gestaltet wurde, wurde im Juli 2013 eröffnet. Dieses Projekt, das vom Staat (Ministerium für Kultur und Kommunikation) und den lokalen Behörden (der Stadt Avignon, dem Conseil Général du Vaucluse und der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur) unterstützt wurde, kostete ca. 10 Millionen Euro. Die geographische Lage zwischen den Stadtvierteln Champfleury und Monclar galt den Initiatoren als beste Voraussetzung für die Integration benachteiligter Personen in das Projekt. Außerdem wurden künstlerische Projekte initiiert, die sich speziell an Jugendliche richten.
Die Fabrica besteht aus:
2014 wurden zwei Theaterstücke in der Fabrica aufgeführt: Orlando ou l’impatience von Olivier Py und Henri VI. von William Shakespeare, bearbeitet und inszeniert von Thomas Jolly.
2015 wurden drei internationale Theaterstücke an diesem Ort gezeigt:
Im Jahr 1995 besuchten 58.000 Zuschauer das Festival. Darunter waren fast die Hälfte aus dem Großraum Avignon und den benachbarten Regionen. Knapp 8 % waren Ausländer. Der Rest bestand aus Besuchern der übrigen Regionen Frankreichs. Die Anzahl der besuchten Vorführungen und die Aufenthaltsdauer der Besucher steigt mit der geographischen Distanz. 1995 war die durchschnittliche Aufenthaltsdauer 3 Tage in Avignon, und die Besucher schauten sich durchschnittlich zwei Vorstellungen an. Eine Studie der Université d’Avignon et des Pays de Vaucluse hat in den späten 1990er und frühen 2000er Jahre festgestellt, dass ein Drittel der Besucher Einwohner der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, 23 % aus Paris und 36 % aus den restlichen Regionen Frankreichs kommen. Der erste Besuch der Veranstaltung erfolgt im Durchschnitt mit 29 Jahren.
Im Jahr 1968 wurde eine umfassende Studie über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Veranstaltungen durchgeführt. Danach wurden 1967 insgesamt durch den Ticketverkauf, Programmvertrieb und Verpflegung 923.000 Francs erwirtschaftet. Dies waren ca. 32 Francs pro Besucher. Je weiter die Entfernung des Wohnortes ist, desto höher sind die Kosten für die Zuschauer. Im Durchschnitt bezahlten die Einwohner Avignons 18 Franken. Die Besucher, die aus der Region stammten bezahlten durchschnittlich 26 Franken, die ausländischen Zuschauer gaben ca. 42 Franken aus. Das Festival wird mit 487.600 Franken vom Département du Vaucluse und 167.600 Franken von der Commune d’Avignon subventioniert.
Im Jahr 2002 wurde eine Untersuchung durch Arbeit das Institut d'Etudes politique de Bordeaux angefertigt, die ein besonderes Augenmerk auf die Geschäftsführung und die Finanzierung mit öffentlichen und privaten Geldern legte.
In den 1960er Jahren betrug das Budget noch eineinhalb Millionen Francs. Danach stieg es dann rapide an. Im Jahr 1985 waren es 20 Millionen Francs, im Jahr 1990 40 Millionen Francs, im Jahr 1995 46 Millionen Francs und im Jahr 2000 waren es 53 Millionen französische Francs. Im Jahr 1967 entfielen 66 % der Ausgaben auf Löhne und Gehälter, 20 % auf Einkäufe und 3 % auf Steuern. Im Jahr 1995 verteilte sich das Budget wie folgt: 22 % für Personalausgaben, 26 % für die Einkäufe und 21 % für Steuern.
Das Festival wird von der Stadt Avignon, dem Département Vaucluse und der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur unterstützt. Daneben gibt es einige öffentliche Einrichtungen, die die Veranstaltung unterstützen: Kulturorganisationen aus Spanien, Italien, Belgien, den Niederlanden und Japan, France Culture, die französische Vereinigung für künstlerische Aktion (l’Association francaise d’action artistique), ADAMI, die Stiftung Beauxmarchais, SACEM, die EDF-Stiftung und ANPE.
Das Festival wird durch eine Reihe von Sponsoren unterstützt. Dies umfasst Teile der Finanzierung, aber auch logistische und betriebliche Unterstützung. Im Jahr 2014 förderte das lokale Unternehmertum die Veranstaltung mit insgesamt 150.000 € (zwischen 3.000 € und 10.000 € pro Unternehmen). Außerdem beteiligten sich große internationale Unternehmen (z. B. BMW, EDF, SNCF, Total, Vivendi etc.), indem sie künstlerische, soziale und umweltbewusste Projekte des Festivals unterstützen.
Im Maison Jean Vilar befindet sich das Archiv zur Arbeit von Jean Vilar, darunter alle 3.000 Stücke seit Beginn des Festival d'Avignon in 1947. Dieses Haus befindet sich in Avignon (8 Rue de Mons, Montée Paul-Puaux).
Darüber hinaus gibt die Gesellschaft Jean Vilar das Heft „Les Cahiers Jean Vilar“ heraus, das an den Gründer des Festivals sowie die Stellung des Theater in der Gesellschaft und die Herausforderung an die Kulturpolitik erinnern soll.
Auf der Webseite reseau-canope.fr kann man ein Netzwerk zur pädagogischen Unterstützung finden. Sie richtet sich an Bildungseinrichtungen, Lehrer, Schüler, Studenten und Familien. So werden zum Beispiel Dokumentationen speziell für junge Zuschauer gezeigt, damit sie ein Verständnis für die Veranstaltung bekommen.
Auf dieser Webseite für das zeitgenössische Theater können digitale Ressourcen aus der internationalen Theaterszene abgerufen werden. Es besteht eine große Datenbank mit vielen Texten, Artikeln, audiovisuellen Aufzeichnungen und Theaterstücken.
2023 Rébecca Chaillon: Carte noire nommée désir[4]
In der „Maison Jean Vilar“ in Avignon sind viele Inszenierungen dokumentiert.