Franz Josef Degenhardt, geboren am südöstlichen Rand des Ruhrgebiets, wuchs in einer katholischen Familie auf. Als Gymnasiast wurde er nach 1945 durch den ReformpädagogenFritz Helling unterrichtet, der bis 1952 als Direktor des Jungengymnasiums lehrte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Freiburg 1952–1956 und Ablegen des ersten juristischen Staatsexamens 1956 sowie des zweiten juristischen Staatsexamens 1960 arbeitete er ab 1961 für das Institut für Europäisches Recht der Universität des Saarlandes. Er promovierte 1966 mit einer Studie über Die Auslegung und Berichtigung von Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. 1968 verteidigte Degenhardt als Rechtsanwalt in mehreren Prozessen Sozialdemokraten oder Kommunisten, die wegen Aktionen der APO angeklagt waren. 1972/73 verteidigte er Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe.[2]
Degenhardt trat bei den UZ-Pressefesten der DKP sowie bei zahlreichen Konzerten der westdeutschen Friedensbewegung auf. In mehreren Liedern setzte er sich mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Vietnamkrieg und der Gefahr eines Atomkriegs auseinander. Die Liedermacher Konstantin Wecker und Prinz Chaos II. schrieben in ihrem Nachruf auf Degenhardt: „Degenhardts Lieder in den öffentlichen Rundfunkanstalten zu spielen, war ab Ende der 70er verboten.“[4]
Degenhardt verfasste mehrere Romane mit zum Teil autobiografischen Zügen, in denen meist Rechtsanwälte oder Liedermacher die Protagonisten sind, unter anderem Brandstellen, Für ewig und drei Tage und Der Liedermacher. Sein Roman-Erstling Zündschnüre (1973) erzählt den Alltag und die Abenteuer einiger Arbeiterkinder am Ende des Zweiten Weltkriegs in der Stadt Schwelm. Er war ein großer Erfolg und wurde 1974 von Reinhard Hauff fürs Fernsehen verfilmt.[3] Sein zweiter Roman Brandstellen erzählt vom Widerstand einer Bürgerinitiative gegen einen Truppenübungsplatz der NATO. Als literarischer Anstoß diente der vergebliche Kampf der Gemeinde Klausheide gegen den NATO-Bombenabwurfplatz Nordhorn Range in den Jahren 1971 bis 1973. Der Roman wurde 1977 von der DEFA (DDR) verfilmt (Drehbuch Gerhard Bengsch, Regie Horst E. Brandt).[3] Im Kulturmaschinen-Verlag erscheint seit 2011 eine auf zehn Bände angelegte Werkausgabe seiner belletristischen Arbeiten.
Während die allgemeine Rezeption Degenhardt als politischen Autor sieht, aber seine künstlerische Würdigung oft an den Rand rückt, ergänzen J. Gundelach und A. Schalk in ihrem Beitrag in Literatur für Leser (2012) die Perspektive: Sie weisen auf die Verwurzelung Degenhardts in der Tradition der Romantik hin, speziell in der schwarzen Romantik, besonders in der Leidenschaft für die schaurige Moritat (z. B. im Lied Der Talisman vom Album Wenn der Senator erzählt). Die makabere Situation im Nachkriegsdeutschland zwischen Restauration und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bot diesbezüglich viele Ansatzpunkte, die, wie die Autoren an den frühen Liedern zeigen, von Degenhardt auf originelle Weise aufgegriffen wurden. Sie gebrauchen das Bild einer dünnen und zweifelhaft tragfähigen Grasschicht über Massengräbern, um den Umgang Degenhardts mit dieser Herausforderung zu beschreiben.
Auch wenn später die konkrete Agitation mehr und mehr bestimmend wurde, blieb dieser Aspekt untergründig in Degenhardts Werk lebendig und gewann im späteren Werk wieder mehr Platz im Vordergrund (z. B. Olle Klaas vom Album Aus dem Tiefland von 1994). Auch in den Romanen Degenhardts finden die Autoren ein hintergründiges, der Romantik angehöriges Befreiungs- und Versöhnungsmodell, welches bei Degenhardt letztlich die von ihm selbst verkündete Skepsis gegenüber Zwischentönen in der politischen Auseinandersetzung übersteht sowie sein Werk bereichert und weit über reine Agitprop-Literatur erhebt. Dies zeige sich bereits in Degenhardts ersten Romanen Zündschnüre und Brandstellen, in denen Degenhardt den dargestellten Personen z. T. facettenreich über ihre Rollen in einem politischen Lehrstück hinaus Gestalt gibt.
Die Auslegung und Berichtigung von Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften. In: Schriftenreihe des Instituts für Europäisches Recht der Universität des Saarlandes, Band 8, Kohlhammer, Stuttgart/Librairie encyclopédique, Bruxelles [Brüssel] 1969, DNB456320636 (Dissertation Universität Saarbrücken).
Rechtsanwaltsbüro Groenewold, Degenhardt, Reinhard (Hrsg.): Politische Justiz. Dokumentation über den Ausweisungsterror an Palästinensern. Association, Hamburg 1972, DNB730217558.
Band 3: Petroleum und Robbenöl, oder wie Mayak der Eskimo kam und mein verrückter Vater wieder gesund wurde. Kulturmaschinen, Berlin 2012, ISBN 978-3-940274-45-8.
Band 4: Die Misshandlung, oder Der freihändige Gang über das Geländer der S-Bahn-Brücke. Kulturmaschinen, Berlin 2012, ISBN 978-3-940274-46-5.
1964: Zwischen null Uhr null und Mitternacht. Baenkel-Songs 63 von und mit Franz Josef Degenhardt. Polyphon Musikverlag GmbH, Köln
1967: Da habt ihr es! Stücke und Lieder für ein deutsches Quartett mit Wolfgang Neuss, Hanns Dieter Hüsch und Dieter Süverkrüp (Die Texte zu der CD „Quartett 67“); Illustrationen: Eduard Prüssen. Hoffmann und Campe, Hamburg
1969: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Illustrationen: Eduard Prüssen.
1969: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Balladen, Chansons, Grotesken, Lieder mit 28 Illustrationen und Umschlaggestaltung durch Horst Janssen. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3-499-11168-3.
1970: Im Jahr der Schweine.
1974: Laßt nicht die roten Hähne flattern.
1978: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen, alle Lieder mit Noten bis 1975, rororo 5774, Reinbek bei Hamburg, ISBN 3-499-15774-8 (1984 auch als Ala Kumpanen – Sangesbrüder bei Reclam in Leipzig veröffentlicht).
1979: Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen. Alle Lieder von Franz Josef Degenhardt. Mit Zeichnungen von Gertrude Degenhardt. Ausgabe Büchergilde Gutenberg. C. Bertelsmann Verlag GmbH, München 1979, ISBN 3 7632 2369 X.
Heinz Ludwig Arnold: Väterchen Franz. Franz Josef Degenhardt und seine politischen Lieder. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1975, ISBN 3-499-11797-5; Neuauflage: Väterchen Franz und ich: Weggefährten schreiben über Franz Josef Degenhardt. Kulturmaschinen, Berlin 2012, ISBN 978-3-940274-56-4.
Adelheid Maske, Ulrich Maske: Das werden wir schon ändern. Franz Josef Degenhardt und seine Lieder. Weltkreis, Dortmund 1977, ISBN 3-88142-180-7.
Thomas Rothschild: Franz Josef Degenhardt wird 75. Antworten auf die Widersprüche des Systems. In: Folker. 6/2006.
Ingar Solty: Franz Josef Degenhardt. In: Killy Literaturlexikon. 2. vollst. überarb. Aufl. in 13 Bänden, Band 2 (Boa-Den).
Joachim Gundelach, Axel Schalk: Irgendwo bei Herne. Lehrstück und Romantik. Franz Josef Degenhardts frühe Romane. In: Literatur für Leser, Jahrgang 35, Nr. 4, 2012, S. 227–236
Ingar Solty: Der Chronist der Schmuddelkinder. Zum 75. Geburtstag von Franz Josef Degenhardt. In: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 268, 48. Jg., 5/2006, S. 448–451. (PDF)
↑Presseerklärung von zwölf Rechtsanwälten, darunter Degenhardt, vom 22. Januar 1973 zum Hungerstreik von 17 Häftlingen, dort „politische Gefangene“ genannt. In: Kritische Justiz, 6 (1973), S. 63. Nach Georg Fülberth: Geschichte der Bundesrepublik in Quellen und Dokumenten. Köln 1983, S. 364.
↑ abcIllustrierte Geschichte der deutschen Literatur in sechs Bänden, v. Anselm Salzer u. Eduard von Tunk, neu bearb. v. Claus Heinrich u. Jutta Münster-Holzlar, Bd. VI, Köln o. J., S. 292.
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