Franz Reuleaux

Franz Reuleaux, 1877
Unterschrift Franz Reuleaux (1829–1905)
Unterschrift Franz Reuleaux (1829–1905)

Franz Reuleaux [røˈloː] (* 30. September 1829 in Eschweiler-Pumpe; † 20. August 1905 in Charlottenburg bei Berlin) war ein deutscher Ingenieur, der auf vielen Gebieten des Maschinenbaus aktiv war. Insbesondere versuchte er, die Ingenieurwissenschaft des Maschinenbaus in eine exakte Wissenschaft umzuwandeln.

Franz Reuleaux wurde am 30. September 1829 in Eschweiler-Pumpe geboren. Er entstammte einer angesehenen und alteingesessenen belgischen Technikerfamilie. Seine Eltern waren Joseph Reuleaux (1796–1832) und dessen Ehefrau Caroline Heloise Graeser (* 1803).[1] Beide Großväter übten ebenfalls technische Berufe aus. Sein Vater gründete mit Karl Englerth und Samuel Dobbs die Maschinenfabrik Englerth, Reuleaux & Dobbs (heute Werk Ermag des EBV). Seine Brüder waren Carl (1826–1902) und Ludwig (1827–1900).

Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters zog seine Mutter mit Franz Reuleaux 1833 nach Koblenz. Dort begann er eine Maschinenbaulehre in der Eisengießerei und Maschinenfabrik Zilken.

Im Jahr 1846 fing Franz im väterlichen, inzwischen von seinem Onkel übernommenen Betrieb zu arbeiten an. 1850 bis 1852 studierte er an der Polytechnischen Hochschule Karlsruhe Maschinenbaukunde bei Ferdinand Redtenbacher (1809–1863) und wurde Mitglied der Burschenschaft Teutonia. Die Ausbildung in Karlsruhe orientierte sich an der Pariser École polytechnique, der damals richtungsweisenden Hochschule auf dem Gebiet der Technik. Redtenbacher war es wohl auch, der Reuleaux zu Studien der Philosophie bewog, die er dann in Bonn und Berlin gemeinsam mit Mathematik und Mechanik betrieb. 1854 folgte eine Tätigkeit als selbstständiger Ingenieur in der Kölner Maschinenbaufabrik Baehrens.

Das erste Kapitel des Fachbuchs Construktionslehre für den Maschinenbau, welches Reuleaux gemeinsam mit Carl Ludwig Moll verfasste, wurde schon 1853 vorabgedruckt. Es stieß aufgrund seiner klaren Gliederung und der mustergültigen Zeichnungen auf große Resonanz. Das letzte Kapitel des Werkes betrachtete sogar den Maschinenbaustil. Die Gedanken hierzu waren zwar dem Historismus verhaftet, verfolgten aber neue und nicht von der Architektur übernommene Ideen.

Reuleaux wurde mit seinen Aktivitäten auch von Gustav Zeuner bemerkt, der ihn 1856 als ordentlichen Professor zur mechanisch-technischen Abteilung des Eidgenössischen Polytechnikums Zürich holte. Das Prinzip der Einheit von Lehre und Forschung, welches in Zürich einen hohen Stellenwert besaß, kam Reuleaux sehr entgegen. So konnte er seine Studenten auch schnell begeistern. In der Züricher Zeit entstand auch das Lehrbuch Der Construkteur, welches drei Jahrzehnte lang als Standardwerk galt. Es erschien ab 1861 in fünf Auflagen und vier Sprachen. Darin sah Reuleaux die Maschinenelemente als ein selbstständiges Fach und setzte sich für so viele Normalkonstruktionen wie irgend möglich ein.

1864 folgte Reuleaux einem Ruf des Königlichen Gewerbe-Instituts Berlin. Gleichzeitig wurde er Mitglied der Technischen Deputation für das Gewerbe und vier Jahre später Direktor der Schule, die sich jetzt Königliche Gewerbeakademie nannte. Nach deren Zusammenschluss mit der Berliner Bauakademie zur TH zu Berlin im Jahr 1879 leitete er zunächst die Abteilung für Maschinenwesen, bevor er 1890/91 Rektor wurde. Zu seinen Schülern gehörten Carl von Linde, Trajan Rittershaus, Hermann Rietschel[2] und Otto Lilienthal.[3]

Reuleaux führte in den Maschinenbau die Begriffe Verbund, Zwanglauf (für Kinematik) und Austauschbau ein. Für letzteren setzte er sich sehr stark ein.

In dieser Zeit beschäftigte er sich mit der seinerzeit noch unterentwickelten Kinematik, der er mit seinem 1875 erschienenen Werk Theoretische Kinematik einen entscheidenden Impuls gab. Reuleaux nahm dort auch eine allgemeine Systematisierung der bewegten Mechanismen vor (Reuleaux’sche Getriebesystematik). Dieses Werk fand viele Bewunderer, aber auch zahlreiche Gegner: In den 1880er und 1890er Jahren entstanden viele Maschinenbau-Labore, die alle empirisch arbeiteten und sich nicht auf komplizierte Berechnungen stützten.

Ein entschiedener Vertreter dieser Richtung kam 1888 mit Alois Riedler (1850–1936) an die TH Charlottenburg, der sich als Gegenspieler von Reuleaux betätigte und sogar dafür sorgte, dass Reuleaux 1896 seine Lehrtätigkeit beendete. Seine Ideen verfolgte Reuleaux aber weiter. Ein zweiter Band seiner Kinematik erschien 1900, der dritte sollte ebenfalls folgen, konnte aber nicht mehr fertiggestellt werden. Mit den in den 1940er Jahren aufkommenden Computern gewann die Theoretische Kinematik an Bedeutung.

Grab von Reuleaux auf dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof in Berlin-Schöneberg

Franz Reuleaux starb 1905 im Alter von 75 Jahren in Charlottenburg bei Berlin. Später wurde er auf dem evangelischen Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg (Feld 302–001A-034/035) beigesetzt.[4] Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte von Franz Reuleaux seit 1992 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Die Widmung wurde im Jahr 2016 um die übliche Frist von zwanzig Jahren verlängert.[5][6]

Als Preisrichter

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Eine besondere Ehre war es für Reuleaux, bei den Weltausstellungen von 1862 (London), 1867 (London), 1873 (Wien), 1873 (Dublin) und 1876 (Philadelphia) zum Preisrichter ernannt zu werden. In seinen Briefen aus Philadelphia, die durch ihre Offenheit großes Aufsehen erregten, machte er auf Missstände innerhalb der deutschen Wirtschaft aufmerksam. Seine Feststellung Deutschlands Industrie hat das Grundprinzip „billig und schlecht“ stieß zunächst auf eine Welle der Empörung, die Forderung Konkurrenz durch Qualität fand dann jedoch Gehör.[7] Bei den Weltausstellungen in Sydney (1879) und Melbourne (1881) leitete Franz Reuleaux als Reichskommissar die deutsche Abteilung.

Als Preisrichter verhalf Reuleaux der Gasmaschine von Otto und Langen zur ersten öffentlichen Anerkennung, sorgte er doch dafür, dass sie in Paris die Goldene Medaille erhielt; auch half er bei der Patentierung dieser Erfindung. Für das Schrägwalzverfahren von Mannesmann, mit dem sich nahtlose Röhren produzieren ließen, setzte er sich in gleicher Weise ein. Ebenso unterstützte er die junge Elektrotechnik.

Weitere Aktivitäten

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In den 1880er Jahren beteiligte sich Reuleaux maßgeblich an der Schaffung eines einheitlichen Patentgesetzes. Er förderte auch das Kunstgewerbe; so befasste er sich auch intensiv mit dessen Reorganisation und stellte dafür wichtige Grundsätze und Richtlinien auf. Seine literarische Ader zeigte sich in Reisebeschreibungen und Gedichtübersetzungen – er sprach sogar Arabisch und Sanskrit. Schließlich gehörte er auch zu den Mitbegründern einer Technikphilosophie, wobei man ihm aber Eklektizismus vorwarf.

Franz Reuleaux trat 1885 dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und dem Berliner Bezirksverein des VDI bei.[8]

Gedenkstein für Reuleaux auf dem Campus der TU Berlin (ehemals TH Charlottenburg)
Ursprüngliches Denkmal (1913)

Reuleaux war Ehrenmitglied zahlreicher in- und ausländischer Gesellschaften. Die Université de Montréal und die TH Karlsruhe verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. 1862 ernannte der VDI ihn zum korrespondierenden Mitglied.[9] 1869 wurde er zum Geheimen Regierungsrat ernannt.[10] Vor der TH Charlottenburg wurde sieben Jahre nach seinem Tod ein Gedenkstein, geschaffen nach dem Entwurf des Bildhauer Johannes Röttger,[11] mit folgender Inschrift gesetzt: „Franz Reuleaux – dem Forscher und Lehrer, Ergründer des Zusammenhanges der Technik mit Wissenschaft und Leben.“ Es befindet sich (heute) auf dem zentralen Campus der TU Berlin.

Seine Vaterstadt Eschweiler machte ihn zu ihrem Ehrenbürger und benannte eine Straße nach ihm. Auch in Berlin erhielt eine Straße in Berlin-Köpenick um 1896 seinen Namen. Diese wurde jedoch um 1907 umbenannt in Westendstraße (bis 1948), dann in Fritz-Kirsch-Straße.[12]

Das Reuleaux-Dreieck ist nach ihm benannt.

Reuleaux heiratete Charlotte Wilhelmine Friederike Overbeck (1829–1882), eine Enkelin des Lübecker Bürgermeisters, Domherrn, Senators und Dichters Christian Adolph Overbeck (1755–1821). Sein Schwager war der Archäologe Johannes Overbeck, sein Schwippschwager der Anthropologe und Leibarzt des hypochondrischen Alfred Krupp, Emil Ludwig Schmidt.

Reuleaux und seine Frau hatten fünf Kinder, darunter: Die Tochter Cilla (* 18. August 1857) war unter dem Pseudonym O. Verbeck schriftstellerisch tätig; sie heiratete in erster Ehe Max Goldstein († 1884) und 1899 den Maler Hanns Fechner[13] Der Sohn Oskar Friedrich Adolph (1861–1924) war Oberstleutnant der technischen Truppen der preußischen Armee (später der Reichswehr).

Zu Reuleaux’ Enkeln zählen der Ingenieur und Industriemanager Otto Reuleaux und der Bauingenieur und Verkehrswissenschaftler Erich Reuleaux. Die Tochter seines Bruders Ludwig, seine Nichte Maria (1859–1942), heiratete den Generalstaatsanwalt Karl Jakob Preetorius (* 12. Januar 1854; † 1947)[14] und war Mutter des Graphikers und Bühnenbildners Emil Preetorius (1883–1973).

Veröffentlichungen (Auswahl)

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  • Franz Reuleaux †. In: Zentralblatt der Bauverwaltung, 25. Jahrgang, Nr. 69, 26. August 1905, S. 434–435.
  • Hans-Joachim Braun: Billig und schlecht? Franz Reuleaux’ Kritik an der deutschen Industrie und seine wirtschaftspolitischen Vorschläge 1876/77. In: Kultur und Technik, 9. Jahrgang, 1985, Heft 2, S. 106–114; deutsches-museum.de (PDF).
  • Wilhelm Hartmann: Franz Reuleaux. In: Zeitschrift für deutsche Ingenieure, 49, 1905, S. 1481 und 57, 1913, S. 162–169
  • Bragastini Roberto Contributo per una interpretazione filosofica dell’opera di Franz Reuleaux. Università degli Studi di Milano, Milan 2003
  • Moon Francis Franz Reuleaux: Contributions to 19th C. Kinematics and Theory of Machines.
  • Francis C. Moon: The Machines of Leonardo Da Vinci and Franz Reuleaux, Kinematics of Machines from the Renaissance to the 20th Century. Springer, 2007, ISBN 978-1-4020-5598-0 (englisch).
  • Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium. Ernst & Sohn, Berlin 2018, ISBN 978-3-433-03229-9, S. 492 f. und S. 498 f.
  • Wolfhard WeberFranz Reuleaux. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 453 f. (Digitalisat). (Werkverzeichnis und weitere Nachweise)
  • Hans Joachim Brun, Wolfhard Weber, Ingenieurwissenschaften und Gesellschaftspolitik Das Wirken von Franz Reuleaux in Wissenschaft und Gesellschaft, Band 1, S.284f
Commons: Franz Reuleaux – Sammlung von Bildern
Wikisource: Franz Reuleaux – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. Die Witwe heiratete später den Oberingenieur Ewald Friedrich Scholl
  2. Klaus W. Usemann: Entwicklung von Heizungs- und Lüftungstechnik zur Wissenschaft: Hermann Rietschel – Leben und Werk. Oldenbourg, München 1993, ISBN 3-486-26138-X, S. 126 f.
  3. Das erhaltene Abgangszeugnis verzeichnet die durch Reuleaux gelehrten Fächer: Maschinenelemente, Entwurf derselben, Kinematik, Regulatoren: Digitalisat im Archiv des Otto-Lilienthal-Museums
  4. Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 756.
  5. Ehrengrabstätten des Landes Berlin (Stand: November 2018). (PDF, 413 kB) Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, S. 71; abgerufen am 15. März 2019. Anerkennung und weitere Erhaltung von Grabstätten als Ehrengrabstätten des Landes Berlin. (PDF, 205 kB). Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/3105 vom 13. Juli 2016, S. 1 und Anlage 2, S. 13; abgerufen am 15. März 2019.
  6. Nachruf auf Franz Reuleaux, Berliner Tageblatt, 22. August 1905.
  7. Siehe Reuleaux, Briefe aus Philadelphia (1877), Erster Brief, S. 5.
  8. Angelegenheiten des Vereines. In: Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure. Band 29, Nr. 18, 2. Mai 1885, S. 337.
  9. Fünfte Hauptversammlung des Vereines am 3. bis 6. September 1862 in Eisenach. In: Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure. Band 6, Nr. 12, Dezember 1862, S. 575–576.
  10. Franz Reuleaux. In: Catalogus Professorum. TU Berlin, abgerufen am 17. Mai 2021.
  11. Röttger, Johannes. In: Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker. Band 28: Ramsden–Rosa. E. A. Seemann, Leipzig 1934, S. 506 (biblos.pk.edu.pl).
  12. Reuleauxstraße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
  13. Fechner, Cilla. In: Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 6. Auflage. Leipzig 1913, Band 8, S. 191 f., Digitalisat des Deutschen Textarchivs
  14. Preetorius, Karl Jakob. Hessische Biografie (Stand: 12. Januar 2024). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). Hessisches Institut für Landesgeschichte, abgerufen am 20. Juli 2024.