Fred Herzog (Fotograf)

Fred Herzog (* 21. September 1930 in Bad Friedrichshall als Ulrich Herzog; † 9. September 2019 in Vancouver) war ein deutsch-kanadischer Fotograf, der vor allem für seine farbigen Straßenaufnahmen aus Vancouver bekannt wurde. Ab den 1950er-Jahren dokumentierte er das Alltagsleben der Stadt auf Kodachrome-Film – zu einer Zeit, in der die künstlerische Fotografie überwiegend in Schwarz-Weiß gehalten war. Seine Bilder zeigen Arbeiter, Neonlichter, alte Werbeschilder und belebte Straßenszenen und vermitteln so ein lebendiges Bild des urbanen Lebens. Nachdem seine Arbeiten lange Zeit wenig Beachtung fanden, erlangte Herzog ab den 2000er-Jahren internationale Anerkennung und gilt heute als Pionier der Farbfotografie.

Kindheit und Jugend

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Fred Herzog wurde 1930 als Ulrich Herzog in der württembergischen Kleinstadt Bad Friedrichshall in der Nähe von Stuttgart geboren.[1] Sein gleichnamiger Vater Ulrich arbeitete vor dem Zweiten Weltkrieg als Lehrtechniker bei der Deutschen Aluminiumzentrale, seine Mutter Erna war Hausfrau. Sie starb 1941 unerwartet an Paratyphus, einer durch Salmonellen ausgelösten Infektionskrankheit. Als auch sein Vater nur fünf Jahre später starb, begann Herzog in der Eisenwarenhandlung seiner Großeltern zu arbeiten und entdeckte gleichzeitig sein Interesse an der Fotografie.[2]

Auswanderung nach Kanada

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Granville Street, Vancouver, in einer Aufnahme von William Roozeboom aus dem Jahr 1958. Die Straße liegt in Downtown Vancouver, wo Herzog einen Großteil seiner Fotos erstellte.

1952 verließ Herzog das immer noch vom Krieg gezeichnete Deutschland.[3] Er bestieg ein Schiff nach Montreal und reiste dann mit dem Zug weiter nach Toronto. Hans-Michael Kötzle, der sich mit Herzog 2014 über dieses Thema unterhielt, berichtet, dass ein Brief eines Bekannten seines Onkels, der nach Kanada ausgewandert war und einen jungen Mitarbeiter suchte, Herzog zu diesem Schritt veranlasste.[4] In seiner ersten Zeit in Kanada nahm Herzog verschiedene Jobs an, beschäftigte sich aber auch weiterhin mit der Fotografie. Im Mai 1953 siedelte er nach Vancouver über. Weil die Kanadier ein Problem mit der Aussprache seines Vornamens hatten, nannte er sich zunächst „Fritz“ und schließlich „Fred“.[5]

Als Fotograf in Vancouver

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Noch in Toronto hatte Herzog von einem Freund die Grundlagen der medizinischen Fotografie gelernt.[6] Vier Jahre nach seiner Ankunft in Kanada nahm er dann zunächst eine Stelle als medizinischer Fotograf im St. Paul’s Hospital in Vancouver an. Zugleich begann er, das Leben auf den Straßen der Stadt mit seiner Leica M3 festzuhalten. Ab dem Jahr 1957 verwendete er dabei den Diafilm Kodachrome, der bis heute für seine hohe Schärfe, Feinkörnigkeit und lebendigen Farben bekannt ist. Lange bevor die Farbfotografie als ernsthaftes Medium galt, nutzte Herzog den im Vergleich zu Schwarz-Weiß-Filmen teuren Kodachrome-Film für seine Aufnahmen von Neonlichtern, farbigen Werbeschildern, leuchtenden Farbanstrichen und farbenfrohen Textilien in den Straßen von Vancouver.

Bildbeispiele
(externe Weblinks)

Von 1961 bis 1990 arbeitete Herzog als Direktor der Foto- und Filmabteilung am Bereich Biomedizinische Kommunikation der University of British Columbia. Einen großen Teil seiner Abende und Wochenenden verbrachte er mit dem Fotografieren von Straßenszenen in der Downtown Eastside von Vancouver. Laut eigenen Angaben fertigte er auf diese Weise insgesamt mehr als 100.000 Farbaufnahmen an.[7] Seine Bilder entstanden in der klassischen Art der Straßenfotografie: Herzog flanierte durch die Stadt und fotografierte – weitgehend unbemerkt – Menschen, die in der geschäftigen Hafenstadt ihrem Alltag nachgingen. Gleichzeitig dokumentierte er Arbeiterwohnviertel und die Innenstadt Vancouvers, bevor sie im Lauf der Jahre umgestaltet und modernisiert wurden.[8]

Erste Beachtung erfuhr Herzog auf lokaler Ebene. Von 1968 bis 1974 lehrte er Fotografie an der Kunstfakultät der Simon Fraser University und der University of British Columbia.[9] 1968 wählte die Zeitschrift artscanada eine seiner Aufnahmen als Titelfoto aus und im selben Jahr nahm er an einer Gruppenausstellung, Extensions, teil. 1972 folgte seine erste Einzelausstellung und vier Jahre später fanden einige seiner Bilder Aufnahme in den Fotoband The City of Vancouver. 1986 und 1994 nahm er an weiteren Gruppenausstellungen teil.

Internationaler Durchbruch und letzte Jahre

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Herzogs internationaler Durchbruch als weit beachteter Fotograf kam allerdings erst in den 2000er-Jahren.[10] Bis zu diesem Zeitpunkt konnten von Kodachrome-Farbdiapositiven keine ausreichend hochwertigen Abzüge angefertigt werden. Dies änderte sich mit der Verfügbarkeit von digitalen Scanverfahren und Tintenstrahldruckern, mit denen bessere Ergebnisse erzielt werden konnten als mit traditionellen Abzügen auf Ilfochrome-Fotopapier. 2007 zeigte die Vancouver Art Gallery eine umfassende Werkschau der Arbeiten Herzogs, die ihn über Nacht berühmt machte.[11] Weitere Ausstellungen in Paris, Toulouse, New York, Calgary, Berlin und Ottawa folgten und sicherten Herzog die Anerkennung als einer der Pioniere der Farbfotografie.

Bild
(externer Weblink)

Im Jahr 2010 erhielt Herzog einen Ehrendoktor der Emily Carr University of Art and Design. 2014 wurde er mit dem Audain Prize for Lifetime Achievement in the Visual Arts ausgezeichnet und im selben Jahr verwendete die kanadische Post Herzogs Foto „Bogner’s Grocery“ aus dem Jahr 1960 auf einer Briefmarke. Im Jahr 2019, rund sechs Jahre nach dem Tod seiner ebenfalls deutschstämmigen Frau Christel, starb Fred Herzog kurz vor seinem 89. Geburtstag in seiner Wahlheimat Vancouver.

In der Literatur zu Fred Herzog werden zwei Aspekte seiner Arbeit hervorgehoben. Helga Pakasaar (2009) und später auch Jeff Wall (2012) und David Campany (2016) sehen Herzogs Arbeiten als fotografische Dokumentation der städtebaulichen Veränderungen in Vancouver während einer Zeit, in der sich das Gesicht der Stadt tiefgreifend veränderte.[12] Wall verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das alte Vancouver vor 1970 von Holzhäusern, niedrig bebauten Straßenzügen und einem noch nicht vollständig verdichteten städtischen Raum geprägt war.[13] Dann, so Wall in seiner Analyse aus dem Jahr 2012, habe „eine Kombination aus Bodenspekulation, städtischer Zonierung und Umzonierung, beschleunigter Suburbanisierung sowie neuen Geschmacksstandards in Bezug auf Bautypen und Materialien […] zu der enttäuschenden Stadt geführt, in der wir heute leben.“[14] Wall konstatiert: „Herzogs einfühlsame Reportage entstand aus einem Gespür für Orte und Strukturen“.[15] David Campany greift diesen Gedanken 2016 auf und sieht in Herzog den „wachen Beobachter“, der mit „fotografischer Zurückhaltung“ und unter Verwendung einfacher Mittel Bilder von „großem sozialen und historischen Interesse“ hervorbrachte.[16] Campany resümiert: „In der Geschichte des Mediums kam kaum ein anderes Œuvre auf dem Gebiet der Fotografie der Vielfalt dieses umfassenden Stadtporträts von Herzog nahe“.[17]

Der zweite Kontext, in den Herzogs Arbeiten eingeordnet werden, ist die Geschichte der Farbfotografie. Fred Herzog selbst gab in einem 2007 veröffentlichten Interview an, die Verwendung von Farbe erleichtere es ihm, „fotorealistische“ Ergebnisse zu erzielen.[18] Claudia Gochmann (2011) greift diesen dokumentarischen Aspekt auf, weist aber darauf hin, dass Farbe in der Fotografie darüber hinaus auch eine eigene Wirkmächtigkeit entfaltet: „Obwohl Herzogs Einsatz von Farbe zunächst als ein Hilfsmittel zur Präzisierung in Dokumentarfotografien gedacht war, kann er als ein frühes Beispiel für die einzigartigen bildnerischen Qualitäten und Möglichkeiten des Mediums der Farbfotografie betrachtet werden. Sein virtuoser Umgang mit Farbe ist ein früher Beleg dafür, dass die Farbfotografie eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und dass Farbe für die Wirkung eines Fotos ebenso entscheidend ist wie dessen Komposition und Inhalt.“[19] Als Herzog in den 1950er Jahren anfing, mit Kodachrome-Farbfilm zu arbeiten, galten in der künstlerischen Fotografie Schwarz-Weiß-Aufnahmen als das Maß aller Dinge.[20] Die kostspielige und drucktechnisch anspruchsvollere Verwendung von Farbe war der Werbe- und Modefotografie vorbehalten. Selbst als Zeitschriften und Magazine im Zuge der 1960er Jahre allmählich größere Farbstrecken druckten, dominierte in der künstlerischen Fotografie immer noch Schwarz-Weiß. Die amerikanische Kunsthistorikerin Sally Eauclaire (1981) sieht erst in den Arbeiten von Fotografen wie William Eggleston, Stephen Shore und Joel Meyerowitz eine Emanzipation der Farbfotografie als autonomer Form, die in den späten 1960er Jahren einsetzte.[21] Hans-Michael Kötzle (2016) weist jedoch zu Recht darauf hin, dass Fred Herzog zu diesem Zeitpunkt schon „ein großes […] Werk in Farbe geschaffen“ hatte.[22] Aus diesem Grund, so Kötzle, müsse „mit Fred Herzog […] die Geschichte der Fotografie neu geschrieben werden.“[23]

  • Fred Herzog: Black and White. Hatje Cantz, Ostfildern 2022, ISBN 978-3-7757-5322-7.
  • Fred Herzog: Modern Color. Hatje Cantz, Ostfildern 2016, ISBN 978-3-7757-4181-1.
  • Felix Hoffmann (Hrsg.): Fred Herzog photographs. Hatje Cantz, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7757-2811-9.
  • Fred Herzog: Photographs. Douglas & McIntyre, Vancouver / Toronto / Berkeley 2011, ISBN 978-1-55365-558-9.
  • Fred Herzog: Locations. Equinox Gallery, Vancouver 2009, ISBN 978-0-9733666-1-7 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, 2009).
  • Grant Arnold / Michael Turner: Fred Herzog: Vancouver Photographs. Douglas & McIntyre, Vancouver 2007 (Katalog zur Ausstellung in der Vancouver Art Gallery, 2007).
  1. Hierzu und zum folgenden vgl. Hans-Michael Kötzle, »I wanted to show the world the way it is« – Anmerkungen zum farbfotografischen Werk des Kanadiers Fred Herzog, in: Fred Herzog: Modern Color, Ostfildern 2016, S. 302–315, hier S. 305.
  2. Ausführlicher zu Herzogs früher Begeisterung für die Fotografie Sarah Milroy, Fred Herzog: Words and Pictures, in: Fred Herzog: Photographs, Vancouver / Toronto / Berkeley 2011, S. 5–19, hier S. 10.
  3. Vgl. dazu Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 294.
  4. Kötzle, I wanted to show the world the way it is, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 305 sowie Fußnote 10 auf S. 315.
  5. Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 294.
  6. Zu diesem Aspekt vgl. Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 294, sowie Kötzle, I wanted to show the world the way it is, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 305.
  7. Taylor C. Noakes, Fred Herzog, in: The Canadian Encyclopedia vom 27. Oktober 2022, zuletzt abgerufen am 15. Februar 2025.
  8. Ausführlicher hierzu Jeff Wall, Vancouver Appearing and Not Appearing in Fred Herzog’s Photographs, in: AA Files 64 (2012), S. 15–20.
  9. Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 298.
  10. Hierzu und zum folgenden vgl. Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 299.
  11. So Noakes in seinem Eintrag zu Herzog in der kanadischen Nationalenzyklopädie.
  12. Helga Pakasaar, Fred Herzog, in: Fred Herzog: Locations, Vancouver 2009, S. 5f., sowie Wall, Vancouver Appearing and Not Appearing, passim. und Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, passim.
  13. Wall, Vancouver Appearing and Not Appearing, S. 15.
  14. „A combination of land speculation, urban zoning and rezoning, accelerating suburbanisation, as well as new standards of taste in building types and materials has resulted in the disappointing city we live in today.“, in: Wall, Vancouver Appearing and Not Appearing, S. 15.
  15. „Herzog’s affectionate reportage was made out of a feeling for places and structures.“, in: Wall, Vancouver Appearing and Not Appearing, S. 16.
  16. Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 294 und 300.
  17. Campany, Von Zeit und Ort, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 294.
  18. „Black and white and colour are equally difficult, but for average photo-realism, colour succeeds far more often.“, in: Grant Arnold, An interview with Fred Herzog, in: Grant Arnold / Michael Turner: Fred Herzog: Vancouver Photographs. Douglas & McIntyre, Vancouver 2007, S. 29.
  19. „Although Herzog’s use of colour was initially intended as a clarifying tool in documentary photographs, it can be seen as an early example of the unique pictorial qualities and possibilities of the medium of colour photography. His virtuosic handling of colour is early evidence that colour photogaphy is governed by its own principles and that colour is just as important for the impact of a photograph as its composition and content.“, Claudia Gochmann, Fred Herzog: In Colour, in: Fred Herzog: Photographs, Vancouver / Toronto / Berkeley 2011, S. 1–4, hier S. 1.
  20. Ausführlicher hierzu Kötzle, I wanted to show the world the way it is, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 306–310.
  21. Sally Eauclaire, The New Color Photography, New York 1981, S. 7.
  22. Kötzle, I wanted to show the world the way it is, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 304.
  23. Kötzle, I wanted to show the world the way it is, in: Fred Herzog: Modern Color, S. 302.