Eine Gierseilfähre (auch Gierfähre, Gierponte, Fliegende Brücke[1] oder Fliegende Fähre[2] genannt) ist ein Fährtyp, der zur Fortbewegung die Strömung des zu überquerenden Flusses ausnutzt.
Die Technik der Gierfähre (von gieren im Sinne einer Drehbewegung um die Hochachse des Schiffes) erfand der Niederländer Hendrick Heuck aus Nijmegen im Jahr 1657, um den Verkehr über die breite Waal zu erleichtern.
Eine Gierseilfähre hängt an einem langen Drahtseil, das sich kurz vor der Fähre aufteilt und an Bug und Heck der Fähre befestigt ist. Verändert sich nun die Länge der Enden zueinander, verändert sich auch der Anstellwinkel der Fähre zum Strom. Der Druck des anströmenden Wassers drängt die Fähre seitwärts. Das Drahtseil wird im Fluss verankert und für die Schifffahrt mit Bojen markiert. Damit die Fahrrinne frei bleibt, liegt der Anker für das Drahtseil nicht in deren Mitte. Alternativ kann die Schräglage gegen die Strömung auch durch entsprechend große Ruder an der Fähre erfolgen, dann ist kein aufspaltendes Gierseil notwendig. Bei einer seltenen Variante in Valakampiai wird das Ruder zu einem gierbaren Kiel unter einem symmetrischen Rumpf, der selber nicht giert.
Auch mit einem Grundseil kann eine Fähre durch die Strömung angetrieben werden. Das Seil wird über Rollen geführt, welche so angebracht sind, dass die gewünschte Lage der Fähre erfolgt. Für den Richtungswechsel werden die Rollen bzw. ihre Belegpunkte gewechselt. Für die ehemalige Ostefähre in Oberndorf wurde genau dokumentiert, wie schwierig die Aufgabe der Fährmänner war, dies im Gezeitenstrom zu tun, da das Seil auch bei Gezeitenwechsel transferiert und die Fähre gedreht werden musste.[3]
Eine andere Technik – die Rollfähre – benutzt statt eines Y-Gierseils zwei getrennte Seile, die an Laufkatzen oder Laufrollen auf einer mit Hilfe von zwei an den Ufern stehenden Pylonen hoch über dem Wasser gespannten Stahltrosse laufen, wodurch die Flussschifffahrt nicht behindert wird. Nach diesem Prinzip funktionieren die Basler Fähren und mehrere Fähren an der Weser, z. B. die von Polle. Es gibt auch Gierseil-Rollfähren mit nur einem Seil, wie bei den Donaufähren in Matting (1854 gebaut)[4] und der Solarflotte in Ulm. Der Antrieb erfolgt in Polle durch zwei, in Matting und in Ulm nur durch ein Ruder, die durch Eindrehen in die Strömung des Flusses die gewünschten Kräfte erzeugen.
Durch die Einstellung des Anstellwinkels der Fähre relativ zur scheinbaren Strömung wird mit den Seilen oder einem Ruder dafür gesorgt, dass die hydrodynamische Kraft des vom Seil gehaltenen Bootskörpers in die gewünschte Fahrtrichtung wirkt. In der Regel ist die Auftriebskomponente (L) dieser Kraft quer zur scheinbaren Strömung etwas größer als deren Widerstandskomponente (D) parallel dazu. Der Vektor der resultierenden Kraft (R) kann nunmehr in zwei senkrechte Komponenten, eine Längskomponente sowie eine Querkomponente (T), zerlegt werden. Diese Querkomponente sorgt für die motorlose Überquerung des Flusses. Ihr Betrag ist – in der zweidimensionalen Vereinfachung der dreidimensionalen Geometrie – gleich groß wie die entgegengesetzte Reibkraft der Rollen in der Luft oder der Gierseilen mit Bojen im Wasser.
Das Rollseil oder Gierseil zeigt im günstigsten Fall fast genau stromabwärts – wenige Grad fehlen, wenn die Reibung der Rollen oder der Schwimmbojen gering ist. Dann kann ein solcher Bootskörper gleich schnell queren wie die Flussgeschwindigkeit (vergleiche Kräftediagramm). Würde der Bootskörper wie bei einem Segelboot mit einem Schwert oder Kiel versorgt, wäre das Auftriebs- zu Widerstandsverhältnis (L/D) größer und eine Rollfähre könnte mit widerstandsarmen Rollen fast so schnell kreuzen wie dieses Verhältnis mal die Flussgeschwindigkeit.[5]
Nahe den Ufern ist die Strömung niedriger und die Winkel der Seile werden ungünstiger, so dass die Geschwindigkeit abnimmt. Zum Anlegen wird die Fähre fast ganz parallel zur Strömung gedreht, so dass deren starke Querkraft fast verschwindet und sie sanft zum Steg gleitet. Auf diese Weise kann die steuernde Person die Fähre auch in Flussmitte verlangsamen oder zum Stillstand bringen.
Ein Grund für die Verbreitung von Gierfähren auf Elbe, Saale, Main und Neckar zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war die Kettenschifffahrt. Kettenschleppschiffe zogen sich und angehängte Frachtschiffe entlang einer längs im Fluss liegenden Kette flussaufwärts. Die Kette wurde von den Kettenschiffen vorne vom Grund des Flusses aufgehoben, über das Deck gezogen und hinten wieder in den Fluss abgelassen. Eine Überkreuzung dieser Kette mit dem Seil vorhandener Seilfähren war nicht möglich. Daher erfolgte mit der Einführung der Kettenschifffahrt eine Umstellung dieser Fähren auf Gierseilfähren, weil dort das Seil an den Bojen befestigt ist und aufgrund der Seilspannung dicht an der Wasseroberfläche verläuft. Die Umstellung musste von den Kettenschleppschifffahrtsgesellschaften bezahlt werden.
Eine hohe Dichte an Gierfähren gibt es in Deutschland auf der Elbe und der Weser.
Die beiden Elbfähren in Barby und Breitenhagen sind mit der Saalefähre in Groß Rosenburg durch die 3-Fähren-Tour, einen 24 km langen Rundweg, verbunden.
Siehe auch die Liste der ehemaligen Ostefähren
Bis nach 2000 waren noch zwei weitere Fähren in Betrieb: Die Gierseilfähre zwischen Hehlen und Daspe wurde 2004 nach einem Brückenneubau außer Betrieb genommen und in Bodenwerder aufgelegt.[8] In Hajen (Emmerthal) verkehrte zuletzt 2011 die Fähre auf das gegenüberliegende Ufer bei Grohnde, sie wurde ersatzlos verschrottet.[9]
Auf der Donau gibt es vollständig handbetriebene Rollfähren in:
Die Donaufähre Mariaposching–Stephansposching ging nach einem Unfall am 19. April 2016 außer Betrieb[10] und wurde Anfang 2019 durch eine frei fahrende Motorfähre ersetzt.[11]
Auch auf dem Rhein wurde dieser Fährtyp zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert zur Überquerung des Stroms genutzt. Zu Beginn noch als „fliegende Brücken“ bezeichnet, gab es solche Fähren zunächst an der Mannheimer Rheinschanze (1669)[12] und in Köln mit der Deutzer Gierponte (ab 1674), später auch in Düsseldorf (ab 1689),[13] zwischen Bonn und Vilich, Koblenz und Ehrenbreitstein (siehe Fliegende Brücke (Koblenz)), Neuwied und Weißenthurm (1817) sowie zwischen Altrip und Mannheim (1891). Auch zwischen Worms-Rheindürkheim und Nordheim existierte mindestens von 1894[14] bis mindestens 1953[15] eine „fliegende Brücke“.
Heute gibt es auf dem Rhein nur noch wenige Gierseilfähren wie etwa die Rheinfähre Plittersdorf–Seltz (ab 1956). Die sich ganz in der Schweiz befindenden Basler Fähren sind nur zu Fuß benutzbar und haben wegen der nahegelegenen Rheinbrücken nur eine geringe verkehrstechnische Bedeutung. Sie werden hauptsächlich aus historischen und touristischen Gründen erhalten. Die Fähren in Basel haben keine Gierseile, sondern das Halteseil bewegt sich mittels eines Läufers an einem Tragseil, welches genügend hoch über den Rhein gespannt ist, um die Rheinschifffahrt nicht zu behindern. Bei diesen Rollfähren wird zum Umkehren der Anströmung das Halteseil mit einem Schwengel auf die jeweils andere Bootsseite gelegt und der genaue Anströmwinkel mit einem Ruder eingestellt.
Siehe auch die grenzüberschreitenden Rollfähren unter Schweiz.
Auf der Sieg ist nahe ihrer Mündung in den Rhein die Siegfähre (ab 1777) zwischen Troisdorf-Bergheim und Bonn-Geislar als älteste Einmann-Gierfähre noch in Betrieb.
In Österreich verkehren über die Donau vier Rollfähren:
Ehemalige Rollfähren:
Ehemalige Gierseilfähren:
Die meist mit Schwengel, selten mit dem V-förmigen Gierseil ausgestatteten Seilfähren sind an verschiedenen Orten in der Schweiz als Fußgängerübergänge erhalten geblieben. Oft werden sie in Naherholungsgebieten von den Gemeinden betrieben oder unterstützt. Das Führen einer Fähre bedarf spezieller Zulassungsprüfungen, um die Sicherheit zu gewährleisten. So gibt es noch folgende Seilfähren mit regelmäßigen Fährbetrieb: