Herglotz studierte ab 1899 an der Universität Wien Mathematik und Astronomie, wo er auch seine Jugend verbrachte, und hörte u. a. Vorlesungen bei Ludwig Boltzmann. Während seiner Studienzeit schloss er eine enge Freundschaft mit seinen Kommilitonen Paul Ehrenfest, Hans Hahn und Heinrich Tietze. 1900 ging er nach München und promovierte dort 1902 bei Hugo von Seeliger in Astronomie (mit einer Arbeit, die theoretisch die starken Helligkeitsschwankungen des neu entdeckten Planetoiden Eros erklären sollte, welche nach Herglotz aus seiner länglichen Gestalt folgten). Danach ging er 1902 nach Göttingen, wo er sich 1904 bei Felix Klein habilitierte. 1904 wurde er dort Privatdozent für Astronomie und Mathematik und 1907 außerordentlicher Professor. In seiner Göttinger Zeit begann er sich auch für die Theorie der Erdbeben zu interessieren, und in Zusammenarbeit mit Emil Wiechert, der damals Göttingen zu einem Zentrum der Erdbebenforschung ausbaute, entwickelte er die Wiechert-Herglotz-Methode zur Bestimmung der Geschwindigkeitsverteilung im Erdinnern aus den bekannten Laufzeiten von Erdbebenwellen (also ein inverses Problem). Herglotz löste dabei eine spezielle Integralgleichung (vom Abel-Typus). 1908 wurde er außerordentlicher Professor in Wien, ging aber schon 1909 als ordentlicher Professor nach Leipzig. Dort wurde er 1914 als ordentliches Mitglied in die Sächsische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. 1925 bis zu seiner Emeritierung 1947 war er wieder in Göttingen, als Nachfolger von Carl Runge auf dem Lehrstuhl für angewandte Mathematik. 1925 wurde er zum korrespondierenden und 1927 zum ordentlichen Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[1]
Herglotz leistete Beiträge auf vielen Gebieten der angewandten und reinen Mathematik. Bekannt ist der Satz von Herglotz aus der Differentialgeometrie: Auf jeder Eifläche (geschlossene konvexeFläche) des dreidimensionalen reellen Raums gibt es mindestens drei geschlossene geodätische Linien. In der angewandten Mathematik befasste er sich neben Himmelsmechanik u. a. mit den Anfang des 20. Jahrhunderts aktuellen Themen Elektronentheorie, der Speziellen Relativitätstheorie (1910), wobei er eine relativistische Elastizitätstheorie entwickelte, der Allgemeinen Relativitätstheorie sowie mit Hydrodynamik und Beugungstheorie. In der Analysis leistete er u. a. Beiträge zur Theorie der Differentialgleichungen und zur Potentialtheorie. Selbst zur Zahlentheorie leistete er Beiträge (Theorie der Dirichletreihen 1905). In der Analysis stammt von ihm ein einfacher Beweis der von Leonhard Euler gefundenen Partialbruchentwicklung der Kotangens-Funktion (Herglotz-Trick).[2]
1909[5] formulierte er (und unabhängig auch Fritz Noether) das Herglotz-Noether-Theorem für die Bewegung Born-starrer Körper in der SRT. Dabei zeigt er auch, dass die Lorentz-Transformationen den hyperbolischen Bewegungen (d. h. Isometrien des hyperbolischen Raumes) entsprechen, und klassifizierte die ein-parameter Lorentz-Transformationen in loxodromische, parabolische, elliptische, und hyperbolische Gruppen.
1911 formulierte er eine relativistische Elastizitätstheorie.[6] Dabei führte er die Lorentz-Transformation für beliebige Richtungen der Geschwindigkeit ein.[7]
Gesammelte Schriften / Gustav Herglotz. Hrsg. im Auftr. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen von Hans Schwerdtfeger. XL, 652 S., Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1979, ISBN 3-525-40720-3.
Vorlesungen über die Mechanik der Kontinua / G. Herglotz. Ausarb. von R. B. Guenther u. H. Schwerdtfeger, Teubner-Archiv zur Mathematik ; Bd. 3, 251 S. : 1 Ill., graph. Darst. ; 22 cm, Teubner, Leipzig 1985.
mit Issai Schur, Georg Pick, Rolf Nevanlinna, Hermann Weyl: Ausgewählte Arbeiten zu den Ursprüngen der Schur-Analysis. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von B. Fritzsche und B. Kirstein. Teubner-Archiv zur Mathematik ; Bd. 16, 290 S. : Ill., graph. Darst. ; Fotomechanischer Nachdr., Teubner Stuttgart Leipzig 1991, ISBN 3-8154-2012-1. Darin Herglotz: Über Potenzreihen mit positivem reellem Teil im Einheitskreis, Ber. über d. Verh. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 1911
Über die analytische Fortsetzung des Potentials ins Innere der anziehenden Massen, Preisschriften der Fürstlichen Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig, VII, 52 Seiten, mit 18 Fig. ; Teubner, Leipzig (1914).
Zur Einsteinschen Gravitationstheorie, Ber. über d. Verh. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig, S. 199–203 (1916).
Über das quadratische Reziprozitätsgesetz in imaginären quadratischen Zahlkörpern, Ber. über d. Verh. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig, S. 303–310 (1921).
Über die Wurzeln trinomischer Gleichungen, Ber. über d. Verh. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig, S. 3–8 (1922).
H.-J. Rossberg Gustav Herglotz – eine Verbindung von reiner Mathematik und mathematischer Physik, in Herbert Beckert, Horst Schumann (Hrsg.) 100 Jahre Mathematisches Seminar der Karl-Marx-Universität Leipzig, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1981.
↑Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 111.
↑Aigner, Ziegler, Das Buch der Beweise, Springer 2018, S. 207ff (Kapitel 26)
↑Herglotz, Gustav: Über die Berechnung retardierter Potentiale. In: Gött. Nachr. Nr.6, 1904, S.549 – 556 (Online).
↑Herglotz, Gustav: Über den vom Standpunkt des Relativitätsprinzips aus als starr zu bezeichnenden Körper. In: Annalen der Physik. Band336, Nr.2, 1910, S.393–415, doi:10.1002/andp.19103360208, bibcode:1910AnP...336..393H.