Hans Zender (* 22. November 1936 in Wiesbaden; † 23. Oktober 2019 in Meersburg)[1] war ein deutscher Dirigent und Komponist.
Hans Zender absolvierte an den Musikhochschulen in Frankfurt und Freiburg Meisterklassen in den Fächern Komposition, Klavier und Dirigieren. Schon zu Studienzeiten arbeitete er als Kapellmeister an den Städtischen Bühnen Freiburg und wurde bereits im Alter von 27 Jahren Chefdirigent der Oper Bonn (1964–1968).
Von 1969 bis 1972 war er Generalmusikdirektor in Kiel, 1971 bis 1984 Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken und von 1984 bis 1987 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und 1984 bis 1986 Generalmusikdirektor des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg.[2] Danach war er Chefdirigent des Radio Kamer Orkest des Niederländischen Rundfunks (heute Radio Kamer Filharmonie) und Erster Gastdirigent der Opéra National, Brüssel, sowie von 1999 bis 2010 ständiger Gastdirigent des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg.
Von 1988 bis 2000 war Zender Professor für Komposition an der Frankfurter Musikhochschule.
2004 gründete das Ehepaar Zender die „Hans und Gertrud Zender-Stiftung“. Diese vergibt in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Musica Viva München und BR-Klassik des Bayerischen Rundfunks seit 2011 alle zwei Jahre Preise, die der Förderung und Unterstützung der Neuen Musik dienen sollen.[3]
2005/06 war er Composer-in-residence des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin und Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Er war Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg, der Akademie der Künste Berlin und der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Zender starb im Oktober 2019 im Alter von 82 Jahren an seinem Wohnort Meersburg am Bodensee. Dort wohnte er in seinen letzten Jahren mit seiner Frau Gertrud im „Glaserhäusle“, das einmal dem Philosophen Fritz Mauthner gehört hatte.[4]
Zenders jahrzehntelange internationale Dirigententätigkeit hat sich durch Wagemut und Breite des Repertoires ausgezeichnet. Seine Diskographie reicht von Bach bis Lachenmann, Mozart bis Feldman, Bruckner bis Yun, Riehm bis Rihm. Er liebte Schubert, Mendelssohn und Debussy, engagierte sich für Messiaen, Nono, Varèse und Bernd Alois Zimmermann, verlor dabei Reger und Hindemith nicht aus dem Blick; er engagierte sich für die „New York School“ und war Vorkämpfer der Musik Giacinto Scelsis. Zender sympathisierte sowohl mit Komponisten musikalischer „Architektur“ als auch mit Non-Konstruktivisten. Zender gastierte bei Festivals in Berlin und Wien, dirigierte „Parsifal“ bei den Bayreuther und Dallapiccolas „Ulisse“ bei den Salzburger Festspielen.
Hans Zenders kompositorische Tätigkeit ist einerseits nicht ohne seine Einsichten als Interpret denkbar, andererseits von großer Eigenständigkeit. Er schrieb in den frühen sechziger Jahren zunächst zwölftönige und serielle Musik, die er in seinen Drei Rondels nach Mallarmé (1961) und den Drei Liedern nach Gedichten von Joseph von Eichendorff (1964) mit Prinzipien der mittelalterlichen Isorhythmie verband. Bald entstanden Partituren, die schon im Titel variable und offene Formen signalisierten (Schachspiel, 1969; Modelle, 1971–1973).
Anfang der 1970er Jahre war Zender mit seinen Cantos – einer Werkreihe, die bis zu seinem Lebensende (Logos-Fragmente = Canto IX) sein Werk durchzog – bei der Nummer V angekommen. Das Denken in schöpferischen Zyklen ist typisch für Zender: andere seiner Werkserien heißen – im Ober- oder Untertitel – Hölderlin lesen (fünf Kompositionen), Kalligraphien (ebenfalls fünf) oder Lo-Shu (sieben). Der letztgenannte Zyklus gehört zur Gruppe der vom Komponisten abkürzend und nicht ohne Selbstironie so genannten „japanischen“ Stücke. Zender war auf Gastspielreisen mit fernöstlichem Denken in Berührung gekommen, einem vom Zen-Buddhismus herrührenden Zeitempfinden, das, auf die Musik übertragen, den Verzicht auf die abendländischen Traditionen strenger Werklogik zugunsten voneinander unabhängiger, nicht-linearer „Momentformen“ und den stärkeren Einbezug kontemplativer Strecken nahelegt – allerdings ohne Zugeständnisse an einen asiatischen Folklorismus.
Die Dialektik von strengem Formbewusstsein und einer „musique informelle“ im Sinne von Adorno ist eine Konstante in Zenders Musikdenken. Er hat vor allem darüber nachgedacht, wie man heute noch komponieren kann, ohne sich (oder andere) zu wiederholen. Heute, das heißt in einer Zeit nach der Postmoderne, in der Mottos wie „anything goes“ ebenso viel Freiheit gebracht wie Unheil gestiftet hatten. Einheitliche Zeitstile oder Ästhetiken scheinen mit einer solchen Unwiderruflichkeit suspendiert, dass Zender zu dem Schluss kommt, Kunstausübende müssten sich heute radikaler und gründlicher als je zuvor neu und selbst definieren.
Zu seiner persönlichen Neudefinition gehört der Entwurf einer mikrotonalen „gegenstrebigen Harmonik“, einer Art Harmonielehre, die die Oktave nicht in zwölf, sondern in 72 Kleinstintervalle dividiert. Die daraus resultierende subtile harmonische Farbigkeit kennzeichnet auch seine großangelegten, kantatenhaften „Opera magna“: die Vertonung des alttestamentlichen Hohelieds (Shir Hashirim; 1995–1997) und die Logos-Fragmente (2006–2009), eine Raumklangmusik als biblische und gnostische Texte deutende „Archäologie des Bewusstseins“.
Zender bezog zahlreiche Anregungen aus den „Schwesterkünsten“ und der Philosophie. Er hat sich mit Texten von Joyce, Pound, Hölderlin, Meister Eckhart, Luther, Cervantes, Shakespeare, Michaux, Juan de la Cruz, T.S. Eliot, Hugo Ball, japanischen Lyrikern wie Ikkyū und Bashō und immer wieder mit der Bibel kompositorisch auseinandergesetzt, berief sich auf philosophische Gedanken von Heraklit bis Derrida, Platon bis Picht.
Seine intellektuelle Regsamkeit machte ihn zu einem besonders geschichtsbewussten Künstler, den es, vergleichbar Bernd Alois Zimmermann, zu pluralistischen, mehrdimensionalen Konzepten drängte. Seine drei Werke fürs Musiktheater bieten komplexe Verschränkungen von Räumen, Zeiten und theatralischen Aktionen: Stephen Climax (1979/84) bringt simultan den Säulenheiligen Simeon und Stephen Daedalus aus Joyce’ „Ulysses“ auf die Bühne und durchquert anspielungsreich die Musikhistorie; Don Quijote de la Mancha (1989/81) ordnet „31 theatralische Abenteuer“ nach Cervantes in einer Art raffinierten Baukastenprinzips, und die „Indianeroper“ Chief Joseph (2005) ist eine Parabel auf die Unfähigkeit westlicher Zivilisationen zur Akzeptanz des Fremden.
Eine Gattung hat Zender geradezu erfunden: die „komponierte Interpretation“, die instrumental-gedankliche Umwandlung und Neudeutung bedeutender Musik der Vergangenheit. Schuberts „Winterreise“ (1993), Schumann-Phantasie (1997) und 33 Veränderungen über 33 Veränderungen (2011) verbinden Liebeserklärungen ans Original mit dialektischem „Weiterdenken“ in die Neuzeit: historische Abstände werden aufgehoben und gleichzeitig klargemacht, Konturen geschärft und verschleiert, Formen dekonstruiert und neugeschaffen. Diese schöpferischen Veränderungen sind imstande, nachdrücklich auf die einstmals beunruhigende Wirkung der Originale hinzuweisen und damit auf die im heutigen „Musikbetrieb“ allzeit lauernde Gefahr, große Musik zu verharmlosen und zum Genussmittel zu degradieren.
Der Essayist Hans Zender widmete sich musikexegetischen und -philosophischen Fragen, wobei seine Rhetorik an Schärfe gewann, wenn er den Malaisen und Miseren von Kunstbetrieb und -politik oder den deprimierendsten Äußerungen des globalen Unterhaltungsdeliriums zu Leibe rückte. Eine umfangreiche Sammlung seiner Texte erschien 2004 unter dem Titel Die Sinne denken; weitere Schriften: Waches Hören (2014), Denken hören, Hören denken (2016, 2020), Mehrstimmiges Denken (2019).
Werke
Biographien
Personendaten | |
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NAME | Zender, Hans |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Dirigent und Komponist |
GEBURTSDATUM | 22. November 1936 |
GEBURTSORT | Wiesbaden |
STERBEDATUM | 23. Oktober 2019 |
STERBEORT | Meersburg |