Henriette Amalie Lieser

Henriette Amalie Lieser (geb. 4. Juli 1875 in Wien; gest. 4. oder 5. November 1943 im KZ Auschwitz;[1] genannt Lilly Lieser) war eine Mäzenin der Kunstszene Wiens.

Palais Lanna in der Argentinierstraße 20

Lilly Landau war eine Tochter des wohlhabenden jüdischen Ehepaares Albert (1829–1909) und Fanny, geborene Menkes (1845–1890). Sie heiratete im November 1896 den Mitgesellschafter der Ersten Österreichischen Hanfspinnerei und Seilerwarenfabrik Brüder Lieser & Co und Kaiserlichen Rat Justus Lieser (8. März 1868 in Fürth – 18. Juni 1927 in Neuda)[2], mit dem sie zwei Töchter, Helene (1898–1962) und Annie (1901–1972) hatte. Die Ehe wurde 1905 geschieden. Helene war 1920 die erste Frau in Österreich, die in Staatswissenschaften promoviert wurde. Annie war von 1929 bis 1943 mit dem österreichischen Staatsbeamten Hans Sidonius Becker verheiratet.

Zwischen 1910 und 1915 war Lilly Lieser mit Alma Mahler befreundet, ihre Sommerhäuser in Breitenstein grenzten aneinander. Sie reisten gemeinsam nach Scheveningen, und Lilly unterstützte Alma bei einer Abtreibung. Lieser förderte unter anderem den Komponisten Arnold Schönberg, den sie durch Alma Mahler kennengelernt hatte, und ließ ihn zwischen 1915 und 1918 mietfrei in ihrem Haus in der Gloriettegasse 43 in Wien-Hietzing leben, sie selbst wohnte noch in ihrem Stadtpalais Argentinierstraße 20[3]. Schönberg erhielt darüber hinaus von ihr 500 Kronen[4] monatlich und im Juni 1916 um 3.600 Mark ein Harmonium aus dem Berliner Musikhaus Carl Simon.

1925 unterstützte sie Alban Berg bei der Drucklegung der Partitur zu seiner Oper „Wozzeck“ finanziell, Berg ließ das Werk dann allerdings mit der faksimilierten Widmung: „Alma Maria Mahler zugeeignet“ erscheinen.

Nach dem „Anschluss Österreichs“ wurden das Vermögen der Kunstsammlerin, zu dem Möbel, Meissner Porzellan, Teppiche und Gobelins, ein Bechstein- und ein Blüthner-Flügel und Bilder des 15. und 16. Jahrhunderts, u. a. von Maurice Utrillo, gehörten sowie ihr Immobilienbesitz „arisiert“. Ihren Töchtern gelang die Flucht nach England und Amerika. Lilly Lieser wurde am 11. Jänner 1942 nach Riga deportiert.[5]

In Joshua Sobols Simultandrama Alma - A Show Biz ans Ende tritt Henriette Amalie Lieser als Alma Mahlers Freundin „Lilly Leiser“ auf und debattiert mit ihr ihre Rolle bei der Drucklegung von Alban Bergs „Wozzeck“.

Das unvollendete „Bildnis Fräulein Lieser“ (1917) von Gustav Klimt zeigt mutmaßlich entweder eine ihrer Töchter oder ihre Nichte. 1925 befand es sich in Lilly Liesers Haus in der Argentinierstraße 20[6] und wurde bei einer Ausstellung in der Neuen Galerie von Otto Kallir gezeigt.[7] Der weitere Verbleib ist ungeklärt. Nach dem Auftauchen des verschollen geglaubten Gemäldes 2023 schlossen die derzeitigen Eigentümer freiwillig eine Vereinbarung im Sinne der Washingtoner Erklärung mit den Erben der Familie Lieser.[8] Im April 2024 wurde das Bildnis Fräulein Lieser im Auktionshaus im Palais Kinsky um 30 Millionen Euro versteigert.[9]

Commons: Lilly Lieser – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Bildnis Fräulein Lieser – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Mäzeninnen in der Österreichischen Musikzeitschrift 10/2008 (PDF)

Einzelnachweise

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  1. Brief von Gertrude Schneider vom 19. Juli 2014 im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. (PDF-Dokument 942 kB)
    Die auf einem überholten Wissensstand beruhenden Angaben zu Ort und Todesdatum (3. Dezember 1943 im Ghetto Riga – laut Eintrag für Henriette Lieser in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer der Gedenkstätte Yad Vashem, abgerufen am 31. Januar 2024.) widersprechen den historischen Tatsachen: dieses Ghetto wurde bereits am 2. November 1943 geräumt.
  2. Neuda, Standort der Fabrik, gehörte damals zu Pöchlarn, heute liegt es im Gemeindegebiet von Golling an der Erlauf
    (Todesfälle.). In: Neues Wiener Tagblatt, 21. Juni 1927, S. 8 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nwg
    Todesanzeigen. In: Neue Freie Presse, 21. Juni 1927, S. 18 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nfp
    Grabstein am Alten israelitischen Teil des Wiener Zentralfriedhofes
  3. Josef Lenobel (Hrsg.): Das Buch der Häuser und Hausbesitzer Wiens. 4. Bezirk. Josef Lenobel Verlagsbuchhandlung, Wien/Leipzig 1908, S. 15 (unpag.)
    Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger 1908, 50. Jg., Zweiter Band S. 655
    Stein der Erinnerung - Lilly Lieser im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
  4. Das entspricht laut dem Historischen Währungsrechner der OeNB etwa 2.000 € (Stand 2023).
  5. Eintrag zu Lieser Henriette im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
  6. Die Beschreibung des schwarz-weiß Fotos im Bildarchiv Austria lautet: Reproduktion nach einem unvollendeten Gemälde (1917/18) von Gustav Klimt. Anmerkung im Inventarbuch: "1925 in Besitz von Frau [Henriette] Lieser, IV., Argentinierstrasse 20.", Personenzuschreibung nicht geklärt, siehe auch: Alice Strobl, Gustav Klimt. Die Zeichnungen, 4. Bde., Salzburg 1980-1989, Nr. 2588, hier Zuschreibung an: Margarethe Constanze Lieser., Damenbildnis in Originalrahmung. Abgerufen am 6. Februar 2024
  7. APA: Wiederentdecktes Klimt-Gemälde aus 1917 in Wien präsentiert. Abgerufen am 25. Jänner 2024
  8. Olga Kronsteiner: Klimts verschollenes "Fräulein Lieser" in Privatbesitz wieder aufgetaucht. In: Der Standard, 25. Jänner 2024. Abgerufen am 6. Februar 2024
  9. Susanne Rakowitz: „Bildnis Fräulein Lieser“: 30 Millionen Euro: Klimt-Bild bleibt weit unter den Erwartungen. In: Kleine Zeitung. 24. April 2024, abgerufen am 24. April 2024.