Henry Lehrman besuchte eine Handelsakademie in Wien und absolvierte anschließend seinen Militärdienst als k.u.k. Leutnant auf der Festung Przemyśl.[1] 1908 wanderte er ohne Englischkenntnisse in die Vereinigten Staaten aus, wo er die Landessprache im personal-contact system erlernte.[2] Er arbeitete vorerst in New York als Straßenbahnkontrolleur und besuchte in seiner Freizeit kleine Theater, deren künstlerische Leistung ihn jedoch wenig beeindruckte. Er begann sich nun für die szenischen Möglichkeiten des Films zu interessieren.
1909 beschloss er, in die Filmbranche einzutreten. Um seine Anstellungschancen zu erhöhen, behauptete er, als er sich bei den New Yorker Biograph-Studios vorstellte, er habe in Frankreich Erfahrungen bei der damals weltgrößten Filmgesellschaft Pathé gesammelt. David Wark Griffith, damals einer der Verantwortlichen bei Biograph, bemerkte zwar den Schwindel, gab Lehrman aber dennoch eine Chance als Komparse. In Anspielung auf den Schwindel verpasste er Lehrman auch den Spitznamen Pathé. Da sich Lehrman bewährte, bekam er auch erste größere Rollen und sogar Regieaufgaben zugesprochen.
1913 wechselte Lehrman auf Empfehlung des Stummfilmstars Mabel Normand zu der von Mack Sennett neu gegründeten Keystone Production nach Kalifornien, wo Schauspieler und Komparsen für Parodien und Slapstick-Filme gesucht wurden. Dort erhielt der talentierte Komiker Lehrman bald größere Rollen. Er wurde engster Mitarbeiter Sennetts und stieg zum „Top Director“ der „Comedy Unit“, also zum obersten Regisseur der Komödienabteilung, auf. Als solcher führte er nun Regie bei vielen Einaktern („onereeler“) der Keystone, darunter auch die ersten vier Filme Charlie Chaplins. Unter Lehrmans Regie war Chaplin in Kid Auto Race at Venice zum ersten Mal in der Rolle des Tramps zu sehen. Bei der Zusammenarbeit mit Sennett – beide führten einige Male gemeinsam Regie – gab es jedoch Schwierigkeiten, da Lehrman bei Slapstick-Filmen einen temporeicheren, groteskeren Stil bevorzugte, während Sennett mehr für einen langsameren Rhythmus eintrat. Da es kaum geschriebene Drehbücher für die Einakter gab, mussten die Meinungsverschiedenheiten am Set beglichen werden. Lehrman verließ Keystone schließlich im Februar 1914.
In der Folge arbeitete er kurz bei Universal Studios mit Ford Sterling für Fred BalshofersSterling Comedies, gründete aber im Oktober 1914 – als Tochtergesellschaft der Universal – eine eigene, auf Komödien spezialisierte, Filmgesellschaft: die L-KO Motion Picture Company (L-KO steht für Lehrman-Knockout). Diese stellte rund 300 hochklassige Einakter und Specialties in der beliebten Art der frühen Filme Mack Sennetts her. Dies brachte ihm posthum auch den Vorwurf der Filmhistoriker ein, den Stil Sennetts einfach kopiert zu haben. Zur Zeit der L-KO-Produktionen war Sennett aber bereits von seinem Originalkonzept abgewichen, wodurch ihm auch die erfrischende Qualität seiner ersten Produktionen verloren ging, die Lehrman hingegen zu sichern wusste.[2]
Nach Universal arbeitete Lehrman kurzzeitig für Carl LaemmlesIMP und Kinemacolor, bis er 1917 von William Fox als Produktionsleiter für die Sunshine Comedies eingestellt wurde. Ebenfalls bei Fox inszenierte er 1918 die Lloyd Hamilton/Virginia-Rappe-Filmserie mit den Titeln Wild Woman and Tame Lions, A Higher Driver's Last Kiss und Twilight Baby.
Ab 1919 war Lehrman in einer Beziehung mit der Schauspielerin Virginia Rappe. Sie spielte in zumindest vier Filmen Lehrmans mit: His Musical Sneeze, A Twilight Baby, Punch of the Irish und A Game Lady. 1921 kam Rappe, die inzwischen seine Verlobte war, bei einer ausschweifenden Party des beliebten Komikers Roscoe „Fatty“ Arbuckle im Hotel St. Francis in San Francisco ums Leben. Lehrman machte ihn in der Folge für Rappes Tod verantwortlich. Eine aufsehenerregende Pressekampagne und zwei Prozesse zerstörten die Karriere Arbuckles. Der Skandal diente 1923 James Cruze als Vorlage zu seinem Film Hollywood.
Folgend eine Auswahl aus über 400 Filmen mit Beteiligung von Henry Lehrman mit Angabe der Art der Beteiligung in Klammer. „S“ steht für Schauspiel, „R“ für Regie, „sup“ für Supervisor und „D“ für Drehbuch. 1909–1931 alles Kurzfilme
↑„gemäß alten amerikanischen Zeitungsartikeln“, Angaben nicht verifiziert; In: Rudolf Ulrich: Österreicher in Hollywood. Neuauflage, Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2004, S. 288.
↑ abRudolf Ulrich: Österreicher in Hollywood. Neuauflage, Verlag Filmarchiv Austria, Wien 2004, S. 288.