Nach voraufgegangener Promotion 1928 habilitierte sich Herbert Gerigk 1932 mit einer Arbeit über Giuseppe Verdi. Es war die erste bedeutende musikwissenschaftliche Gesamtdarstellung Verdis in Deutschland und erschien in der Reihe „Die großen Meister der Musik“.
Gerigk trat zum 1. Mai 1932 in die NSDAP (Mitgliedsnummer 1.096.433)[1] und 1933 in die SA ein. Anschließend war er Kreiskulturwart in Danzig.[2] Seit 1935 arbeitete er im NS-Staat als „Leiter der Hauptstelle Musik im Amt Rosenberg“.[2] 1935 trat er der SS bei (SS-Nummer 272.595).[3]
Gerigk übernahm die Planung der Musikpolitik Alfred Rosenbergs und war auch für deren Durchführung im Amt Rosenberg zuständig, mit dem Ziel, die jüdischen Vertreter des Musiklebens aus ihren Stellungen zu entfernen und die Ausbreitung der Neuen Musik zu unterdrücken. Seit 1937 war er Herausgeber der Zeitschrift Die Musik.
Gerigks bekanntestes Werk war das antisemitischeLexikon der Juden in der Musik, das er in Zusammenarbeit mit Theophil Stengel, Referent der Reichsmusikkammer, herausgab. Das Nachschlagewerk sollte Veranstalter von der „versehentlichen“ Aufführung von Werken „jüdischer“ und „halbjüdischer“ Komponisten abhalten, alle jüdischen Musikausübenden erfassen, hauptsächlich aber fest in der deutschen Musiktradition stehende Komponisten wie etwa Felix Mendelssohn Bartholdy und Gustav Mahler durch Lügen und bewusst falsche Quellenauslegung diffamieren und abwerten.
Auch während des Zweiten Weltkrieges nahm Gerigk eine führende Rolle in der Verfolgung der Juden ein. Er leitete das Amt Musik im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) und insbesondere den Sonderstab Musik, der in den besetzten Ländern die Plünderung von Kulturgut und den Transport nach Deutschland durchführte.[4] Allein im besetzten Frankreich raubten Gerigks Fahnder in zwei Jahren 34.500 jüdische Häuser oder Wohnungen aus, darunter die von Emmerich Kálmán, Darius Milhaud, Fernand Halphen, Arno Poldes, Gregor Piatigorski, Wanda Landowska.[5] Angesichts der Vernichtungsmaschinerie des Holocaust schrieb er 1942: „Die Frage muß aufgeworfen werden, ob es im Zeichen der Liquidierung des Judentums in Europa angebracht ist, jüdische Mischlinge als Kulturschaffende in irgendeiner Form zuzulassen.“[6]
1943 wurde er Hauptschriftleiter der von Rosenberg geleiteten Zeitschrift Musik im Kriege, 1944 wurde er zum SS-Hauptsturmführer im Sicherheitsdienst befördert.[3][2]
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich Gerigk nie für seine Mittäterschaft beim Holocaust vor Gericht verantworten. Zwar stand seine nationalsozialistische Vergangenheit einer akademischen Laufbahn entgegen; er war jedoch bei den Dortmunder Ruhr-Nachrichten als Musikkritiker tätig. 1953 versuchte er, mithilfe der CDU und FDP Kulturdezernent in Bochum zu werden, scheiterte aber.[7] 1954 veröffentlichte er das Fachwörterbuch der Musik im Verlag von Bernhard Hahnefeld, der schon das „Lexikon der Juden in der Musik“ herausgegeben hatte. Als Wörterbuch der Musik war es im Jahr 1983 als Sonderausgabe für den Gondrom Verlag erneut im Handel. Bezeichnend ist beispielsweise die Sichtweise des Autors zu Stichwörtern wie Jazz oder Rock ’n’ Roll („Negermusizieren“).
Gerigk wurde auf dem Dortmunder Ostenfriedhof beigesetzt.
Musikgeschichte der Stadt Elbing. Teil I: Bis zum Ausgang der polnischen Zeit. In: Elbinger Jahrbuch. Heft 8, 1929, ZDB-ID 541860-4, S. 1–104, (Königsberg, Universität, phil. Dissertation, vom 18. November 1929).
Giuseppe Verdi (= Die großen Meister der Musik.). Athenaion, Potsdam 1932.
Vergreisung oder „Fortschreitende Entwicklung“? Bemerkungen zum Hamburger Musikfest 1935. In: Die Musik. Jahrgang 27, Halbjahresband 2, Heft 10, Juli 1935, S. 721–727.
als Herausgeber: Meister der Musik und ihre Werke. Bong, Berlin 1936.
Das Ende des Allgemeinen Deutschen Musikvereins. Rückblick auf das Tonkünstlerfest in Darmstadt und Frankfurt a. M. In: Die Musik. Jahrgang 29, Halbjahresband 2, Heft 10, Juli 1937, S. 696–702.
Puccini (= Schriftenreihe des Amtes Kulturgemeinde der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“.). Max Hesse, Berlin o. J.
Anja Heuss: Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion. Winter, Heidelberg 2000, ISBN 3-8253-0994-0 (Zugleich: Frankfurt (Main), Universität, Dissertation, 1999).
Thomas Phleps: „Ein stiller, verbissener und zäher Kampf um Stetigkeit“ – Musikwissenschaft in NS-Deutschland und ihre vergangenheitspolitische Bewältigung. In: Isolde von Foerster, Christoph Hust, Christoph-Hellmut Mahling (Hrsg.): Musikforschung. Faschismus. Nationalsozialismus. Referate der Tagung Schloss Engers (8. bis 11. März 2000) (Are-Edition. 2065 = Musik im Metrum der Macht. 1). Are-Musik-Verlag, Mainz 2001, ISBN 3-924522-06-5, S. 471–488, (staff.uni-giessen.de (Memento vom 7. November 2017 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt Linktext fehlt.).
Rainer Sieb: Der Zugriff der NSDAP auf die Musik. Zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei. Osnabrück 2007, Kap. 2.1.1–2.1.3, (Osnabrück, Universität, Dissertation, 2007; urn:nbn:de:gbv:700-2007091013).
Willem de Vries: Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940–45. Dittrich, Köln 1998, ISBN 3-920862-18-X.
Eva Weissweiler: Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik und seine mörderischen Folgen. Dittrich, Köln 1999, ISBN 3-920862-25-2 (enthält neben einer Entstehungs- und Wirkungsgeschichte eine Faksimileausgabe des Lexikons von Gerigk und Stengel).
Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation (= rororo. 818/820). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1966.
↑ abErnst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 179.
↑Willem de Vries: Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940–45. Dittrich, Köln 1998, ISBN 3-920862-18-X, S. 43.
↑Günther Schwarberg: Dein ist mein ganzes Herz. Die Geschichte des Fritz Löhner-Beda, der die schönsten Lieder der Welt schrieb, und warum Hitler ihn ermorden ließ. Steidl, Göttingen 2000, ISBN 3-88243-715-4, S. 175.
↑Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945 (= Fischer. 16048, Die Zeit des Nationalsozialismus.). Aktualisierte Ausgabe, 2. Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 180.
↑Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 180.