Hermann Otto Sasse (* 17. Juli 1895 in Sonnewalde, Niederlausitz; † 8. August 1976 in Adelaide-North Adelaide)[1] war ein bedeutender lutherischer Theologe in Deutschland und Australien.
Nach der Schule studierte Sasse Evangelische Theologie in Berlin. Die Professoren der Religionsgeschichtlichen Schule und des sogenannten Kulturprotestantismus konnten Sasse anfangs von ihrem theologischen Standpunkt überzeugen. Sasse wurde in dieser Zeit vor allem von dem alten Ernst Troeltsch geprägt. Vorerst konnte Sasse jedoch wegen des Ersten Weltkriegs sein Studium nicht beenden. Er diente als Infanteriesoldat in den Schützengräben der Westfront. Nach seinem eigenen Urteil zerbrach dort sein ganzes Weltbild. Die Theologie von Harnack und Troeltsch, ja das ganze Weltbild des auslaufenden 19. Jahrhunderts zerfiel in Verdun, Sedan und den Schlachtfeldern von Flandern. Im Reformationsjahr 1917 gelangten schließlich einige Schriften Luthers zu Sasse und auch anderen in die Schützengräben. Hier lernte er, „daß wir Gottes Wort und nicht menschliche Weisheit zu verkünden hatten“[2]. Die Wende von einer subjektiven Religiosität hin zum objektiven Wort Gottes vollzog Sasse dort. Die frühe Dialektische Theologie Karl Barths wurde zum Auslöser Sasses, sich mit Luther und der Erweckung zu beschäftigen. In vielen Punkten verlief Sasses Weg anders als der des Schweizer Theologen, aber eine gewisse Verbundenheit zu Barth blieb ihm immer.
Direkt nach dem Krieg konnte er noch 1918 sein Examen ablegen und wurde am 13. Juni 1920 in Berlin ordiniert. Zunächst war er Pfarrer in Oranienburg (1920), Templin (1921–1928)[1] und 1928 in St. Marien in Berlin (bis 1931 auch Sozialpfarrer)[3]. Dort festigten sich die Grunderfahrungen des Krieges, und er beschäftigte sich intensiv mit Luther und der lutherischen Erweckung des beginnenden 19. Jahrhunderts, vor allem mit August Friedrich Christian Vilmar, Wilhelm Löhe und dem Neuluthertum. Aber auch die Zeitgenossen Hermann Bezzel, Ludwig Ihmels und Wilhelm Zoellner hatten einen großen Einfluss auf ihn. Ebenfalls in diese Zeit fiel seine Promotion zum Dr. theol. in Berlin im Fach Neues Testament bei Adolf Deißmann. Von 1931 bis 1934 fungierte er in der Nachfolge von Johannes Schneider als Herausgeber des „Kirchlichen Jahrbuchs“.[1]
Bereits im Jahr 1933 wurde Sasse außerordentlicher Professor an der Universität Erlangen. Ein weiteres Fortkommen war jedoch durch Sasses kritische Äußerungen gegen die neue Staatsmacht nicht mehr möglich. Seine bedeutendsten Kollegen dort waren Werner Elert und Paul Althaus, die sich zur NSDAP anders verhielten und Sasse wohl auch in seiner Arbeit behinderten. Sasse hat sich in der ganzen Zeit vor 1933 in der Mitarbeit der internationalen Ökumene sehr starkgemacht. 1927 nahm er als Delegierter an der Konferenz für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) in Lausanne teil, die als eine der beiden Wurzeln für die moderne ökumenische Bewegung und des ÖRK gilt. Sasse gab im Anschluss an diese Konferenz die deutschen Berichte heraus. Auf dem 2. Vatikanischen Konzil war Sasse später als offizieller Beobachter eingeladen.
Problematischer entwickelte sich seine Mitarbeit in der kirchlichen Widerstandsbewegung gegen die nationalsozialistischen Übernahmeversuche der Kirche durch die Kirchenpartei Deutsche Christen bei den Kirchenwahlen 1932 sowie seine Zusammenarbeit mit einigen Vertretern Bekennenden Kirche. Gemeinsam mit Gerhard Jacobi gründete Sasse 1932 die „Theologische Arbeitsgemeinschaft für Kirche und Amt“, den sogenannten „Jacobi-Kreis“, in dem vorwiegend jüngere Pfarrer aus Berlin und Brandenburg mitwirkten und aus dem am 9. Mai 1933 die Jungreformatorische Bewegung hervorging; aus dieser Bewegung heraus wurde am 11. September 1933 der „Pfarrernotbund“ gegründet, in dem Sasse gleichfalls mitarbeitete.
Anfang August 1933 fungierte Sasse als einer der Hauptverfasser des Betheler Bekenntnisses neben Dietrich Bonhoeffer. Dieses betont lutherische Bekenntnis im Kirchenkampf war jedoch Karl Barth zu lutherisch und nicht gesamt-evangelisch genug; von einer 1934 durch Martin Niemöller stark überarbeiteten und herausgegebenen Fassung des Betheler Bekenntnisses distanzierten sich die ursprünglichen Hauptverfasser Bonhoeffer und Sasse.[4] Als Sasse schließlich bei der entscheidenden Vorberatung für die Barmer Theologische Erklärung 1934 krank wurde und der Text Bekenntnischarakter bekam, sah er sich nicht mehr in der Lage, in diesem Kreis mitzuarbeiten. Sasse befürchtete, dass diese Erklärung die einzelnen konfessionellen Landeskirchen in den Unionismus treiben könnte. Tatsächlich war bei einer ganzen Reihe von Vertretern (z. B. Hans Asmussen), auch der lutherischen Kirchen, eine Tendenz spürbar, den Kirchenkampf über das traditionelle Bekenntnis zu stellen. Sasse sah hier einen Verstoß gegen den Artikel 7 der Confessio Augustana, weil zur Einheit der Kirche, besonders zur Bekenntniseinheit, auch die Einheit darüber bestehen muss, was das Evangelium und die Sakramente sind. Besonders in der Frage des Herrenmahls sah Sasse einen so großen Dissens zwischen den Unterzeichnenden, dass er keine andere Möglichkeit sah, als ein gemeinsames Bekenntnis abzulehnen.
Über der Bekenntnisfrage kam es nach 1934 auch zum Bruch mit Bonhoeffer; Sasse beschuldigte Bonhoeffer des „Schwärmertums“, während Bonhoeffer Sasse einen „Bekenntnisformalismus“ vorhielt. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 ließ der offizielle Druck auf die Kirchen und somit auch auf Sasse nach. Dennoch war er seit 1934 kirchlich relativ isoliert. Zumindest für die Bayerische Landeskirche blieb Sasse weiterhin immer kritischer Warner und prägende Instanz und gab zeitweise mit Georg Merz und Christian Stoll die Zeitschrift Bekennende Kirche heraus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er schließlich doch noch ordentlicher Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte in Erlangen, wo er zuvor schon beauftragt wurde, die Professoren der Theologischen Fakultät in einem „Vertraulichen Memorandum“ zu begutachten. Von der Militärregierung wurde er bald darauf auch zum Prorektor der Universität benannt. Im Herbst 1945 erhielt Sasse nur gegen heftigen Widerstand aus der Fakultät den Lehrstuhl als Nachfolger von Hans Preuß.[5] 1948 trat Sasse aus Protest gegen die Gründung der EKD, insbesondere gegen den Beitritt der Bayerischen Landeskirche, zur Evangelisch-lutherischen (altlutherischen) Kirche über. 1949 nahm er die Berufung der Lutherischen Kirche Australiens an und emigrierte.[1] Neben Karl Mützelfeldt, der schon 1934 auswanderte, übernahm er die Lehrtätigkeit am Immanuel Seminar in Adelaide.[1] Weiterhin war er publizistisch tätig und engagierte sich für die Vereinigung der lutherischen Kirchen Australiens.
Durch zahlreiche Veröffentlichungen und die „Briefe an lutherische Pastoren“ blieb Sasse den Lutheranern in Deutschland immer verbunden und hatte nicht unerheblichen Einfluss auf sie.
Die wichtigsten theologischen Impulse lassen sich alle sehr schön an den drei großen Wendepunkten in seinem Leben erkennen. Der Erste Weltkrieg bewirkte eine erste Hinwendung zurück zur Kirche und ihrem Bekenntnis. Der Kirchenkampf verstärkte dieses Interesse und untermauerte es durch das besondere Interesse am Heiligen Abendmahl. Schließlich bewirkte die Gründung der EKD, dass Sasse auf Grund seiner gewonnenen Überzeugungen über Kirche und Herrenmahl und dem Bekenntnis zur lutherischen Kirche nicht länger in einer Kirche bleiben konnte, die die Union lutherischer, reformierter und unierter Kirchen bejahte. Bei alledem verlor Hermann Sasse jedoch nie den Blick für die ökumenische Arbeit, für die er sich immer eine wahrhaftigere Basis wünschte, als sie durch einen blinden Unionismus gegeben ist. „Hermann Sasses Lebenswerk verdankt sich dem Spannungsfeld lutherischer Konfessionalität und ökumenischer Weite.“[6]
Seit 1996 wird von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) mit Sitz in Hannover der Hermann-Sasse-Preis verliehen, der bis 2001 jährlich und seitdem zweijährlich vergeben wird. Derzeit beträgt das Preisgeld 1.500 Euro.[7][8]
Laut Satzung wird der Preis verliehen, „um damit Autoren oder Herausgeber solcher Werke zu ehren, die mit ihrer Veröffentlichung einen Beitrag zur Verbreitung lutherischer Theologie leisten“,[9] Grundlage für die Ehrung ist also eine Veröffentlichung mit evangelisch-lutherischem Profil oder evangelisch-lutherischer Thematik. Der Hermann-Sasse-Preis wird von einer zumeist siebenköpfigen Jury zuerkannt und in der Regel in Räumen der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel in Oberursel durch den Bischof persönlich überreicht. Vorsitzender der Jury für den Hermann-Sasse-Preis waren jahrelang Hartmut Günther und Armin Wenz.
Personendaten | |
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NAME | Sasse, Hermann |
ALTERNATIVNAMEN | Sasse, Hermann Otto Erich (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-australischer lutherischer Theologe |
GEBURTSDATUM | 17. Juli 1895 |
GEBURTSORT | Sonnewalde, Niederlausitz, Brandenburg |
STERBEDATUM | 8. August 1976 |
STERBEORT | Adelaide, Australien |