Innsbruck, ich muss dich lassen, MelodieMelodie und Text bei Georg Forster 1539
Innsbruck, ich muss dich lassen ist ein deutsches Lied. Text und Melodie erschienen erstmals im vierstimmigen Chorsatz von Heinrich Isaac (um 1450–1517). Es gilt als sicher, dass die Melodie von ihm selbst stammt. Sie ist vor allem durch zahlreiche geistlicheKontrafakturen bis heute präsent. Der Textdichter ist unbekannt. Ältere Angaben, wonach der Text von Kaiser Maximilian I. verfasst worden sein soll, werden von der Fachliteratur ins Reich der Legende verwiesen.[1][2][3]
Der Text ist ein Abschieds- und Trauerlied des Sängers an seine „Buhle“, da er Innsbruck verlassen und in die Fremde („Elend“) muss. Er verspricht ihr Treue und empfiehlt sie dem Schutz Gottes.
Auch wenn Heinrich Isaac die bedeutendste Phase seines Lebens in Innsbruck verbrachte, ist eine Verortung des Liedes in seiner Biografie rein spekulativ.
Die Erstdrucke der Melodie liegen in zwei vierstimmigen Sätzen vor. Bei dem einen (Fassung A), gedruckt 1541, wird sie im Kanon von Tenor und Sopran gesungen (Tenorlied), beim anderen (Fassung B), gedruckt 1539, vom Sopran (Diskantlied).[5][6]
Die früheste textliche Erwähnung des Liedes findet sich auf einem Einblattdruck aus dem Jahre 1498,[7] jedoch ist keinerlei Notenmaterial aus dieser Zeit (also noch zu Isaacs Lebzeiten) erhalten.
Die Melodie hat einen relativ geringen Tonumfang. Ihr wehmütiger Charakter entsteht vor allem durch die Zeilenschlüsse mit Seufzermotiv und die häufige Berührung der Terz. Expressiv ist das große Schlussmelisma auf das Textwort „Elend“.
Melodiefassung GL 213Melodiefassung im EGMelodiefassung GL 101 (Bach)
Die älteste geistliche Textfassung des Liedes ist das Sterbelied O Welt, ich muss dich lassen von einem unbekannten Verfasser (Nürnberg um 1555; EG 521; GL 510).[3] Weitere sind:
Dabei ist das Melisma der letzten Zeile regelmäßig verkürzt und durch Verlängerung der Textzeile um zwei Silben für den Gemeindegesang erleichtert, wodurch eine einzigartige Strophenform entstand.[9] Verbreitet war und ist neben der Originalmelodie (GL 213) auch eine zwischen gerader und ungerader Taktart wechselnde frühbarocke Fassung (durchgehend im EG) und eine zum Viervierteltakt ausgeglichene Melodieversion (GL 101). Diese liegt den berühmten Bearbeitungen von Johann Sebastian Bach in der Matthäus- und Johannespassion („Ich bin’s, ich sollte büßen“; „Wer hat dich so geschlagen“) und seiner Kantate In allen meinen Taten zugrunde.
Kurt Drexel: „Innsbruck, ich muß dich lassen“. Zur nationalsozialistischen Rezeption des „Innsbruckliedes“. In: Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer im Umfeld von Kaiser Maximilian I. Bericht über die vom 1. bis 5. Juli 1992 in Innsbruck abgehaltene Fachtagung (= Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft, Band 16). Helbling, Innsbruck 1997, ISBN 3-85061-077-2, S. 281–286.
Andrea Lindmayr-Brandl: „Innsbruck, ich muß dich lassen“. Eine Rezeptionsgeschichte des Isaakschen Liedsatzes. In: Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer im Umfeld von Kaiser Maximilian I. Bericht über die vom 1. bis 5. Juli 1992 in Innsbruck abgehaltene Fachtagung (= Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft; Band 16). Helbling, Innsbruck 1997, ISBN 3-85061-077-2, S. 255–280.
Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Noetzel, Wilhelmshaven 2007, ISBN 978-3-7959-0850-8, S.428–429.
Hans Joachim Marx (Hrsg.): Die Orgeltabulatur des Clemens Hör (Ms. Zürich, Zentralbibliothek, Z. XI. 301) (= Schweizerische Musikdenkmäler 7). Bärenreiter, Basel 1970, S. 41, Inßbrugk Ad Equales.
Heinrich Rietsch: Heinrich Isaac und das Innsbrucklied. In: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters für 1917, 24. Jahrgang. Peters, Leipzig 1918, S. 19–38.
Walter Salmen: Innsbruck, ich muß dich lassen: Die Wandlungen einer populären Hofweise vom 16. zum 20. Jahrhundert. In: Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer im Umfeld von Kaiser Maximilian I. Bericht über die vom 1. bis 5. Juli 1992 in Innsbruck abgehaltene Fachtagung (= Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft; Band 16). Helbling, Innsbruck 1997, ISBN 3-85061-077-2, S. 245–253.
Martin Staehelin: Heinrich Isaac und die Frühgeschichte des Liedes „Innsbruck, ich muß dich lassen“. In: Martin Just, Reinhard Wiesend (Hrsg.): Liedstudien. Festschrift für Martin Osthoff zum 60. Geburtstag. Schneider, Tutzing 1989, ISBN 3-7952-0613-8, S. 107–119.
Ispruck ich mus dich lossen / ade socius (anon.), (Signatur: Universitätsbibliothek Basel – F X 21): Tenor-Stimmbuch (doi:10.7891/e-manuscripta-13849, fol. 67v), Basel(?) 1529–1579 [die restlichen Stimmbücher sind nicht erhalten]
Inßbrugk Ad Equales (anon.), Orgeltabulatur des Clemens Hör, ca. 1535–1540, Signatur: Zentralbibliothek Zürich – Ms Z XI 301, fol. 26v–27r [handgeschriebener Anhang zu einem medizinischen Druck; siehe Abschnitt Literatur]
Fassung A als Kontrafaktur Christe secundum der Missa carminum
2 Stimmbücher, Leipzig ca. 1555 (Signatur: Universitätsbibliothek Leipzig – MS Thomas 51): Tenor (fol. 127v), Bassus (fol. 145v) [Diskant- und Altus-Stimmbücher nicht erhalten; Abschrift aus Rhaus Opus Decem Missarum quatuor vocum[11]]
Chorbuch, vielleicht Süddeutschland, Österreich oder Sachsen ca. 1509–1550 (H. Ysac, Signatur: Nationalbibliothek der Tschechischen Republik – MS 59 R 5117): fol. 125v und 126r
2 Stimmbücher (Diskant und Tenor), Sachsen? Bartfeld (=Bardejov=Bártfa)? 3. Viertel 16. Jhdt und später (Signatur: Széchényi-Nationalbibliothek, Budapest – Mus. ms. Bártfa 20/a–b) [Altus- und Bassus-Stimmbuch nicht erhalten; wohl Abschrift vom Jenaer Chorbuch 36[12]]
Isbrück ich my dych lassen (anon.), Westfalen(?) nicht vor 1544 (Signatur: Varnhagensche Bibliothek – IV 36 F124): Nr. 148 [Stimmbücherfragmente, verwendet als Einbandmaterial einer Inkunabel, nur Bassus von diesem Stück erhalten, Abschrift aus Forsters Frische Teutsche Liedlein[14]]
Insbruckh ich muß dich lassen (anon.), zwei Stimmbücher (Altus und Vagans), Deutschland 2. Hälfte des 16. Jhdt (Signatur: Biblioteka Jagiellońska, Krakau – Berlin MS mus. 40272): Altus fol. 30r [Stimmbücher für Cantus, Tenor und Bass sind nicht erhalten, das Stück fehlt im Vagans, da nur vierstimmig]
Isbruck, Jch muß (anon.), stark verzierende Lautentabulatur, ohne Provenienz 1570–1580(?) (Signatur: Österreichische Nationalbibliothek – Mus. Hs. 19259): S. 12 (fol. 4r) [moderne Notation]
Jßbrüg jch (anon.), Liederbuch des Ambrosius Kettenacker, vier Stimmbücher,[15] Basel um 1510, Signatur: Universitätsbibliothek Basel F X 10 (doi:10.7891/e-manuscripta-2683, fol. 5v) [nur Bassus-Stimmbuch erhalten]
Isprugkh ich mues dich laßen, Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 343 (fol. 107v), Heidelberg nach 1547 [5 Strophen; bis auf die ersten zwei Zeilen völlig anderer Text]
↑Theo Mang, Sunhilt Mang (Hrsg.): Der Liederquell. Noetzel, Wilhelmshaven 2007, ISBN 978-3-7959-0850-8, S.428–429.
↑ abMichael Fischer: 521 – O Welt, ich muss dich lassen. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band9. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-50332-6, S.85–91.
↑Ein liedlin von sant Anna vnnd Joachim, Jn dem thon. Yßpruck ich muoß dich lassen. Augsburg ca. 1498, Signatur: Bayerische Staatsbibliothek – Einbl. III,42.
↑Konrad Ameln: „Herr Gott laß dich erbarmen“: Ein mißachtetes Kirchenlied im Ton „Innsbruck, ich muß dich lassen“. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, Band 34, 1992/93, S. 95–97; JSTOR:24207755.
↑Thomas Noblitt: A Reconstruction of Ms. Thomaskirche 51 of the Universitätsbibliothek Leipzig (olim III, A. α. 22-23). In: Tijdschrift van de Vereniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis Deel. 31, 1981, No. 1, S. 18 f.; JSTOR:938983.
↑Alfred Wendel: Eine studentische Musiksammlung der Reformationszeit: die Handschrift Misc. 236 a-d der Schermar-Bibliothek in Ulm. Koerner, Baden-Baden 1993, ISBN 3-87320-585-8, S. 81 ff.
↑Alfred Wendel: Eine studentische Musiksammlung der Reformationszeit: die Handschrift Misc. 236 a-d der Schermar-Bibliothek in Ulm. Koerner, Baden-Baden 1993, ISBN 3-87320-585-8, S. 84.
↑Martin Staehelin: Heinrich Isaac und die Frühgeschichte des Liedes „Innsbruck, ich muß dich lassen“. S. 117, Anm. 14; Luzia Knobel: Ambrosius Kettenacker. In: Gemeinde Lexikon Riehen.