John Neumeier

John Neumeier (* 24. Februar 1939[1] in Milwaukee, Wisconsin) ist ein US-amerikanischer Tänzer, Choreograf und Ballettdirektor.

Der für seine Ballettchoreografien international anerkannte und ausgezeichnete Neumeier war von 1973 bis 2024 als Ballettdirektor und Chefchoreograf des Hamburg Ballett und seit 1996 auch als Ballettintendant an der Staatsoper in Hamburg, aber auch an anderen Orten als Gastchoreograf, tätig. Er war zudem Direktor der von ihm begründeten Ballettschule in Hamburg.

Leben und Wirken

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Biographie über die russische Ballettlegende Vaslav Nijinsky in der örtlichen Stadtbibliothek weckte sein Interesse für den Tanz und beschäftigte ihn sein Leben lang mit dem Leben und Wirken Nijinskys.[2] Den ersten Ballettunterricht erhielt Neumeier in seiner Heimatstadt. Danach folgten Lehrjahre in Kopenhagen und an der Royal Ballet School in London. Schließlich kehrte er nach Milwaukee zurück und erwarb an der dortigen Marquette University den akademischen Grad eines Bachelor of Arts in den Fächern „Englische Literatur“ und „Theaterwissenschaft“. Als er 1963 in London tanzte, sahen ihn dort u. a. auch Marcia Haydée und Ray Barra. Weil diese beiden erkannten, welch großes Potenzial in dem jungen Talent steckte, legten sie ihrem Direktor John Cranko nahe, ihn für das Stuttgarter Ballett zu engagieren. Dieser Truppe gehörte er bis 1969 als Tänzer (später Solist) an und schuf seine ersten Choreografien.

Ulrich Erfurth berief ihn nach Frankfurt am Main, wo er von 1969 bis 1973 Ballettdirektor war. Neumeier erregte in dieser Zeit bereits durch seine Neudeutung bekannter Handlungsballette Aufsehen (Der Nussknacker, Romeo und Julia und Daphnis und Chloë). 1973 holte ihn August Everding nach Hamburg. Seitdem ist er Leiter des Hamburg Ballett an der Hamburgischen Staatsoper, das unter seiner Direktion zu einer der führenden deutschen Ballettkompanien wurde.[3]

1978 gründete er dort die Ballettschule des Hamburg Ballett, deren Direktor er ebenfalls ist. Als Vorbild diente ihm dabei die Stuttgarter Ballettschule. Neumeier ist Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg und der Akademie der Künste Berlin.

Maurice Béjart choreografierte im Jahr 1984 für Neumeier und Marcia Haydée (Neumeier widmete ihr seine Kameliendame) als Tänzer Les Chaises nach Ionescos Die Stühle. Das Stück wurde auf Tourneen u. a. in New York, Zürich, Buenos Aires, São Paulo, Rio de Janeiro, Tel Aviv, Tokio, Berlin, Essen, Dresden, Paris und Kopenhagen gezeigt.

Als Gastchoreograf war Neumeier u. a. wiederholt beim American Ballet Theatre in New York (u. a. Getting Closer 1999), beim Royal Ballet in London (Lento zur Wiedereröffnung des Royal Opera House), beim Tokyo Ballet in Tokio (Seasons – The Colors of Time zum 35-jährigen Bestehen 2000), am Mariinsky-Theater in St. Petersburg (Sounds of Empty Pages, Alfred Schnittke gewidmet, 2001 als erster westlicher Choreograf seit 100 Jahren), den Ballettkompanien der Staatsopern Wien und Dresden, beim Bayerischen Staatsballett in München, beim Ballett der Deutschen Oper in Berlin, beim Stuttgarter Ballett, beim Königlich Dänischen Ballett in Kopenhagen (u. a. Die kleine Meerjungfrau 2005 Uraufführung zur Eröffnung des Opernhauses/200. Geburtstag Hans Christian Andersen), beim Königlich Schwedischen Ballett in Stockholm, beim Finnischen Nationalballett, für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, beim Royal Winnipeg Ballet und beim National Ballet in Kanada, beim American Ballet Theatre, beim Ballet du XXième siécle in Brüssel, beim Ballet de l’Opéra de Paris, beim Ballet des Grand Théâtre de Genève in Genf und beim San Francisco Ballet tätig.

Ein Sommernachtstraum, Choreografie von John Neumeier, Patryk Walczak als Puck (2013)

Zu seinen bekanntesten Werken als Choreograf gehören Romeo und Julia (1971), Ein Sommernachtstraum (1977), Kameliendame (1978), Medea (1990), Sylvia (1997), Matthäus-Passion (1981), Messias (1999), Endstation Sehnsucht (1983), Odyssee (1995), König Artus (1982) und Illusionen – wie Schwanensee (1976), Nijinsky (2000), Die Möwe (2002). 2006 entstand Parzival – Episoden und Echo mit Musik von John Adams, Richard Wagner und Arvo Pärt.[4]

Auch wenn der Schwerpunkt von Neumeiers Schaffen dem abendfüllenden Handlungsballett gilt, hat er sich gelegentlich gerne auch anderer Bühnenwerke angenommen. So inszenierte er beispielsweise Othello von Giuseppe Verdi an der Bayerischen Staatsoper und Orpheus und Eurydike von Christoph Willibald Gluck sowie das Musical West Side Story von Leonard Bernstein an der Hamburgischen Staatsoper. Neumeier richtete Ballett-Werkstätten ein, die in der Regel viermal, einschließlich einer Benefiz-Ballett-Werkstatt[5], während einer Spielzeit stattfinden.

Im Jahr 2006 begründete Neumeier die Stiftung John Neumeier mit dem Ziel, seine Tanz- und Ballettsammlung und sein Lebenswerk für die Stadt Hamburg zu sichern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.[6] 2022 wurde bekannt, dass ab August 2024 der argentinische Choreograf Demis Volpi als Intendant des Hamburger Balletts die Nachfolge Neumeiers antreten werde.[7]

Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 untersagte er im Juli 2023 eine weitere Aufführung seines Balletts Kameliendame am Bolschoi-Theater in Moskau.[8]

Neumeier war eng befreundet mit dem 1993 verstorbenen österreichischen Schauspieler Werner Pochath. Am 21. Dezember 2018 heiratete er seinen langjährigen Lebenspartner, den Herzchirurgen Hermann Reichenspurner.[9]

Nachdem die Kirchengemeinde Neumeiers ihm 2009 zum 70. Geburtstag gratuliert hatte, behauptete Neumeier gegenüber der Fachzeitschrift Dance Magazine, 1942 geboren worden zu sein.[10][11] 2017 gab er dann als tatsächliches Geburtsjahr 1939 an.[1]

Auszeichnungen (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Choreographien (Auswahlliste)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Haiku (1966, Stuttgart)
  • Separate Journeys (1968, Schwetzingen)
  • Brandenburg 3 (1970, Frankfurt)
  • Der Feuervogel (1970, Frankfurt)
  • Romeo und Julia (1971, Frankfurt)
  • Der Nussknacker (1971, Frankfurt)
  • Der Kuss der Fee (1972, Frankfurt)
  • Daphnis und Chloe (1972, Frankfurt)
  • Dämmern (1972, Frankfurt)
  • Le sacre (1972, Frankfurt)
  • Désir (1973, Hamburg)
  • Nacht (1973, Stuttgart)
  • Dritte Sinfonie von Gustav Mahler (1975, Hamburg)
  • Hamlet Connotations (1976, New York)
  • Illusionen – wie Schwanensee (1976, Hamburg)
  • Rückert-Lieder (1976, Hamburg)
  • Der Fall Hamlet (1976, Stuttgart)
  • Josephs Legende (1977, Wien)
  • Vierte Sinfonie von Gustav Mahler (1977, London)
  • Ein Sommernachtstraum (1977, Hamburg)
  • Dornröschen (1978, Hamburg)
  • Die Kameliendame (1978, Stuttgart)
  • Vaslaw (1979, Hamburg)
  • Matthäuspassion (1981, Hamburg)
  • Artus-Sage (1982, Hamburg)
  • Tristan (1982, Hamburg)
  • Giselle (1983, Hamburg)
  • Endstation Sehnsucht (1983, Stuttgart)
  • Sechste Sinfonie von Gustav Mahler (1984, Hamburg)
  • Othello (1985, Hamburg)
  • Wie es euch gefällt (1985, Hamburg)
  • Shall we dance? (1986, Hamburg)
  • Fratres (1986, Stuttgart)
  • Magnificat (1987, Orange/Paris)
  • Peer Gynt (1989, Hamburg)
  • Seven Haiku of the Moon (1989, Tokio)
  • Fünfte Sinfonie von Gustav Mahler (1989, Hamburg)
  • Des Knaben Wunderhorn (1989, Hamburg)
  • Medea (1990, Stuttgart)
  • Fenster zu Mozart (1991, Hamburg)
  • Requiem (1991, Salzburg)
  • A Cinderella Story (1992, Hamburg)
  • Zwischenräume – Neunte Sinfonie von Gustav Mahler (1994, Hamburg)
  • Odyssee (1995, Athen/Hamburg)
  • Yondering (1996, Hamburg)
  • Opus 100 – For Maurice (1996, Lausanne)
  • Vivaldi oder Was ihr wollt (1996, Hamburg)
  • Sylvia (1997, Paris)
  • Bernstein Dances (1998, Hamburg)
  • Messias (1999, Hamburg)
  • Nijinsky (2000, Hamburg)
  • Winterreise (2001, Hamburg)
  • Die Möwe (2002, Hamburg)
  • Tod in Venedig (2003, Hamburg)
  • Die kleine Meerjungfrau (2005, Kopenhagen)
  • Parzival – Episoden und Echo (2006, Baden-Baden)
  • Weihnachtsoratorium (2007, Wien)
  • Le Pavillon d’Armide (2009, Hamburg)
  • Purgatorio (2011, Hamburg)
  • Liliom (2011, Hamburg)
  • Tatjana (2014, Hamburg)
  • Das Lied von der Erde (2015, Paris)
  • Duse (2015, Hamburg)
  • Turangalîla (2016, Hamburg)
  • Anna Karenina (2017, Hamburg)
  • Beethoven-Projekt (2018, Hamburg)
  • Die Glasmenagerie (2019, Hamburg)
  • Ghost Light (2020, Hamburg)
  • Beethoven-Projekt II (Premiere am 29. Mai 2021, Hamburg)
  • Hamlet 21 (Premiere am 13. Juni 2021, Hamburg)
  • Dornröschen (Neufassung) (Premiere am 19. Dezember 2021, Hamburg)
  • Die Unsichtbaren (Premiere am 16. Juni 2022, Hamburg)
  • Dona Nobis Pacem (Premiere am 4. Dezember 2022, Hamburg)
  • Epilog (Premiere am 30. Juni 2024, Hamburg)

Dokumentarfilme

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • John Neumeier au travail. Dokumentarfilm, Frankreich 1990, 68 Min, Regie: André S. Labarthe
  • John Neumeier – Ein Leben für den Tanz. Dokumentarfilm, Deutschland, 2000, 43:30 Min., Buch und Regie: NN, Produktion: BR-alpha[19]
  • Nijinsky & Neumeier. Eine Seelenverwandtschaft im Tanz. Fernseh-Dokumentation, Deutschland, 2009, 88 Min., Regie: Annette von Wangenheim, Produktion: WDR[20]
  • Horst Koegler: John Neumeier – Bilder eines Lebens. Edel Verlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-941378-72-8.
  • John Neumeier: In Bewegung. Collection Rolf Heyne, München 2008, ISBN 978-3-89910-403-5, (Autobiographie).
  • John Neumeier: Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach – Photographien und Texte zum Ballett von John Neumeier. Albrecht Knaus Verlag, München 1983, ISBN 978-3813504255.
  • John Neumeier: Traumwege. Verlag Christians, Hamburg 1980, ISBN 3-7672-0666-8.
Commons: John Neumeier – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Ballettintendant Neumeier klärt Verwirrung um Geburtsdatum. Archiviert vom Original am 19. Februar 2017; abgerufen am 18. Februar 2017.
  2. „Nijinsky & Neumeier. Eine Seelenverwandtschaft im Tanz“ (Memento vom 11. April 2010 im Internet Archive), arte, 2009
  3. Die dienstältesten Füße Deutschlands. Er verkörpert die männlichen Genie-Gestalten mit historischem Verstand. (Memento vom 7. März 2016 im Internet Archive) In: FAZ vom 20. Februar 2012, Seite 30, Artikel-Anfang.
  4. Irmela Kästner: Späte Läuterung eines andere Ritter häutenden Ritters. In: Die Welt, 12. Dezember 2006.
  5. Fast immer zugunsten von Hamburg Leuchtfeuer: http://www.hamburg-leuchtfeuer.de/2018/05/03/john-neumeiers-benefiz-ballett-werkstatt-in-der-hamburgischen-staatsoper/.
  6. Die Stiftung - Seite der Stiftung John Neumeier, aufgerufen am 13. März 2013.
  7. NDR: Hamburg Ballett: Demis Volpi folgt 2024 auf John Neumeier. Abgerufen am 20. Oktober 2022.
  8. Die letzte Verbindung sueddeutsche.de, 13. Juli 2023.
  9. Tanz ins Eheglück: John Neumeier (79) heiratet Herzchirurgen (59), focus.de vom 21. Dezember 2018, abgerufen am 21. Dezember 2018
  10. Stefan Grund: Neues von John Altmeier. In: Die Welt, 7. April 2009.
  11. Horst Koegler: Diaghilew: Halbzeit der Festivitäten rund um den Erdball. (Memento des Originals vom 15. Oktober 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tanznetz.de In: Tanznetz.de, 17. Juni 2009.
  12. Stiftung Bibel und Kultur - Auszeichnungen. Abgerufen am 27. Dezember 2019.
  13. Höchster polnischer Kulturorden für John Neumeier in: Berliner Zeitung vom 21. März 2013, S. 23
  14. derStandard.at - Musiktheaterpreis: Sweeney Todd der Volksoper beste Produktion. APA-Meldung vom 8. Juni 2015, abgerufen am 8. Juni 2015.
  15. Kyoto-Preis für John Neumeier, deutschlandradiokultur.de, 19. Juni 2015
  16. John Neumeier. Erhält den Erich-Fromm-Preis in FAZ vom 28. Januar 2017, Seite 11
  17. Michel-Tafel für Hamburgs Ballettchef Neumeier, nachtkritik.de vom 20. April 2023, abgerufen am 21. April 2023
  18. John Neumeier als Ehrenmitglied der Hamburgischen Staatsoper ausgezeichnet. In: tanznetz.de. 30. Juni 2023, abgerufen am 30. Juni 2023.
  19. Inhaltsangabe von musik heute
  20. Inhaltsangabe (Memento vom 11. April 2010 im Internet Archive) von arte