Klaus Wagenbach

Klaus Wagenbach (* 11. Juli 1930 in Berlin-Tegel; † 17. Dezember 2021 in Berlin) war ein deutscher Verleger und Autor. Er war Gründer und langjähriger Inhaber des Wagenbach-Verlages.[1] Nach 38 Jahren übergab er im Jahr 2002 die Leitung an seine Frau Susanne Schüssler.[2]

Klaus Wagenbach war der zweite Sohn des Geschäftsführers des Bundes Deutscher Bodenreformer, Bankangestellten und späteren CDU-Politikers Joseph Wagenbach und dessen Frau Margarete, geb. Weißbäcker, einer Telefonistin.[3]

Wagenbach absolvierte ab 1949 eine Buchhandelslehre in den Verlagen Suhrkamp und S. Fischer. Sein Lehrmeister und Herstellungsleiter Fritz Hirschmann im S. Fischer Verlag machte ihn mit der Literatur von Franz Kafka bekannt und weckte sein lebenslang anhaltendes Interesse für diesen Autor.[4] Ab 1951 studierte er Germanistik, Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Frankfurt und wurde 1957 bei Josef Kunz über Franz Kafka promoviert. Danach wurde Klaus Wagenbach Lektor im Modernen Buchclub Darmstadt, ab Ende 1959 Lektor für deutsche Literatur im S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. Nachdem dieser von Holtzbrinck aufgekauft und Wagenbach entlassen worden war, gründete er in Berlin 1964 seinen eigenen Verlag, der sich die Prinzipien „Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus“ zum Ziel setzte und von 1970 bis 1973 als Kollektiv organisiert war.

Für den Sender Freies Berlin (SFB) realisierte Wagenbach die Schulfunk-Reihe Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert, die schließlich mit der Entlassung Wagenbachs endete.[5] Für die SPD nahm er zur Bundestagswahl 1965 am Projekt Wahlkontor der SPD teil.

Er wurde in den 1960er Jahren zu einer bekannten Persönlichkeit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der Studentenbewegung. Nachdem er 1965 als Verleger von Wolf Biermann die persönlich vorgetragene Forderung des späteren DDR-Vize-Kulturministers Klaus Höpcke abgelehnt hatte, keine weiteren Auflagen des Buches Drahtharfe von Biermann zu drucken, erhielt Wagenbach ein Lizenz-, Ein- und Durchreise-Verbot für die DDR,[5] das bis 1972 (Brandt-Verträge, Transitabkommen) andauerte.

Signatur Klaus Wagenbach

Wagenbach setzte 1970 den fingierten Buchvertrag auf, der eine der Voraussetzungen für die gewaltsame Befreiung von Andreas Baader aus der Haft war; unter Hinweis auf ein angebliches Buchprojekt wurde ein Treffen mit Ulrike Meinhof außerhalb der Haftanstalt gestattet, bei dem Andreas Baader die Flucht gelang. Wagenbach erhielt neun Monate auf Bewährung.[6]

Der Rotbuch Verlag spaltete sich 1973 ab. Bei mehreren Strafprozessen wurde Wagenbach durch den damaligen Berliner Anwalt Otto Schily verteidigt. Er wurde 1974, unter anderem wegen der Veröffentlichung eines RAF-Manifests, zu neun Monaten Gefängnis, auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt wegen „Aufforderung zur Bildung einer kriminellen Vereinigung, zur erschwerten und einfachen Sachbeschädigung, zum Diebstahl, zur Körperverletzung sowie zum Hausfriedensbruch“.[7] 1975 wurde er wegen Beleidigung und übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 1800 DM verurteilt,[8] weil er die Ermordung Benno Ohnesorgs durch den Polizisten Karl-Heinz Kurras sowie die Erschießung des Georg von Rauch als „Mord“ bezeichnet hatte.[5] Wagenbach hielt im März 1972 für seinen engen Freund, den italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli, die Grabrede;[9] am 15. Mai 1976 sprach er am Grab von Ulrike Meinhof.

Von 1979 bis 1999 betreute er als Mitherausgeber auch den Freibeuter, eine literarisch anspruchsvolle und linksorientierte Vierteljahresschrift mit Themenheften zu Kultur und Politik. Von 1968 bis 1987 gab er zudem, unter anderem mit Michael Krüger, den Tintenfisch, ein Jahrbuch zur deutschen Literatur, sowie von 1970 bis 1978 – überwiegend mit Wolfgang Dreßen – das Sozialistische Jahrbuch/Jahrbuch Politik heraus.

1989 gehörte er zu den Initiatoren des Artikel 19 Verlag, ein Gemeinschaftsverlag, der Die satanischen Verse von Salman Rushdie in deutscher Übersetzung herausbrachte.[10]

Als Verleger veröffentlichte er u. a. Liebesgedichte von Erich Fried und hunderte von Büchern aus und über Italien. Er erhielt eine Honorarprofessur für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin und war Kafka-Spezialist. Viele Jahre trug er selbstironisch den Ehrentitel „Kafkas dienstälteste, lebende Witwe“,[11][12] da er neben seiner Forschung auch die weltweit größte Sammlung an Fotografien zu Kafka aufweisen konnte.[13] Im Jahr 2002 übergab er die Verlagsleitung an seine Frau Susanne Schüssler. Ab 2010 zog er sich auch mehr und mehr von der Lektoratsarbeit im Verlag zurück. Er war Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.

Er war von 1954 bis 1977 mit Katharina Wagenbach-Wolff verheiratet (drei Töchter) und von 1986 bis zu ihrem Tod (1991) mit Barbara Herzbruch. Ab 1996 war er in dritter Ehe mit Susanne Schüssler verheiratet und hatte mit ihr eine Tochter.[3] Wagenbach lebte am Savignyplatz in Berlin und in der Toskana.[14] Er starb im Dezember 2021 im Alter von 91 Jahren in Berlin.[15] Im April 2022 wurde er in der Gemeinde Torrita di Siena beigesetzt.[16]

Ehrungen und Auszeichnungen

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Veröffentlichungen

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(Mit-)Herausgeberschaft (Auswahl)

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  • 2010: Julian Doepp: Leben mit Kafka. Klaus Wagenbach im Gespräch mit Julian Doepp. Redaktion: Herbert Kapfer (Gespräch) Bayerischer Rundfunk; Erstsendung: 18. Dezember 2010, Länge: 40′57″ Minuten

Interviews

Video- und Hördateien

Einzelnachweise

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  1. Verlag Klaus Wagenbach - Der unabhängige Verlag für wilde Leser - Verlag Klaus Wagenbach - Verlag Klaus Wagenbach. Abgerufen am 22. Juli 2022.
  2. Christian Thiel: Verlegerinnen. Das Paradies liegt auf dem Schreibtisch. (Memento vom 6. März 2014 im Internet Archive) In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Juli 2005
  3. a b Klaus Wagenbach bei Who’s Who Germany, The People-Lexicon, abgerufen am 11. Februar 2024.
  4. Sandra Kegel: Der hat sich eingeschlichen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juli 2010.
  5. a b c Willi Winkler: „Kann ich mal bei dir pennen?“ Im Gespräch: Klaus Wagenbach. In: Süddeutsche Zeitung, 29. Mai 2009.
  6. Willi Winkler: Er verlegte die Programmschrift der RAF. In: Tages-Anzeiger, 22. Dezember 2021.
  7. Dieter E. Zimmer: Verurteilt: der Verleger Wagenbach – Neun Monate. In: Die Zeit, Nr. 24/1974.
  8. ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG) (Hrsg.): Schwarze Texte. Politische Zensur in der BRD – 1968 bis heute gegen linke Buchläden, Verlage, Zeitschriften und Druckereien. Edition ID-Archiv im IISG, Amsterdam 1989, ISBN 3-89408-002-7, S. 14 (Reihe: Dokumente der Gegenöffentlichkeit)
  9. Klaus Wagenbach: Der Verlag Klaus Wagenbach. In: Rita Galli (Hrsg.): Ausgerechnet Bücher. Einunddreissig verlegerische Selbstporträts. Ch. Links Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-86153-167-4, S. 103.
  10. Christof Meueler: Wo die wilden Leser wohnen. In: Neues Deutschland. 20. Dezember 2021, abgerufen am 29. August 2022.
  11. wohl auch in Anspielung auf Ilse Ester Hoffe, die im Alter von 101 Jahren verstorbene Sekretärin und Lebensgefährtin von Max Brod
  12. Roland Wiegenstein: „Franz Kafka – Biographie einer Jugend“ von Klaus Wagenbach. (Memento vom 14. November 2011 im Internet Archive) In: Die Berliner Literaturkritik, 20. Juni 2006.
  13. Volker Weidermann: Sammler und Verleger Klaus Wagenbach. Kafkas Welt in einem Kästchen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. April 2008
  14. Am Savignyplatz. Dokumentarfilm, Deutschland, 2012, 43:34 Min., Buch und Regie: Caterina Woj, Produktion: rbb, Reihe: „Berliner Ecken und Kanten“, Erstsendung: 2. Juni 2012, Filminformationen von der Regisseurin.
  15. Stefan Hauck: Verleger-Legende: Klaus Wagenbach ist tot, boersenblatt.net, veröffentlicht und abgerufen am 20. Dezember 2021.
  16. Platz nach Klaus Wagenbach benannt. boersenblatt.net, abgerufen am 21. Juli 2022.
  17. Inge Feltrinelli setzte sich bei italienischen Staatsbeamten für diese Anerkennung von Wagenbach ein: Wir tanzten auf allen Festen. Listig und frei: Zum 80. Geburtstag des Verlegers Klaus Wagenbach. In: Die Zeit, Nr. 28/2010
  18. Laudatio von Botschafter Claude Martin (Memento vom 28. September 2007 im Internet Archive) (PDF, 3 S.) Französische Botschaft in Berlin
  19. Die Gesellschaft, Johannes-Bobrowski-Gesellschaft, abgerufen am 10. März 2015
  20. Literaturhaus Wien: Mitglieder. Abgerufen am 22. Juli 2022.