Lothar Wolleh (* 20. Januar 1930 in Berlin; † 28. September 1979 in London) war ein deutscher Fotograf. Bis Ende der 1960er Jahre arbeitete er als Werbefotograf, dann begann er, international bekannte Maler, Bildhauer und Aktionskünstler zu porträtieren. Insgesamt wurden dabei 109 Künstler fotografiert, darunter bekannte Persönlichkeiten wie Georg Baselitz, Joseph Beuys, Lucio Fontana, Dieter Roth, Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely, Man Ray, René Magritte, Günther Uecker, Gerhard Richter oder Christo.
Lothar Wolleh wurde als erster von vier Söhnen der alleinstehenden Arbeiterin Else Martha Wolleh in Berlin-Wedding geboren. Die Kriegsjahre verbrachte er in Berlin. Die Bombenangriffe der Alliierten, insbesondere der Tod der Familie des Onkels als auch seine Beteiligung „im letzten Aufgebot“ im Endkampf um Berlin im April und Mai 1945 hinterließen in ihm tiefe psychische Spuren.
Wolleh studierte trotz großer finanzieller Schwierigkeiten von 1946 bis 1947 in der Klasse für Elementarlehre und gegenständliche Malerei bei Ernst Rudolf Vogenauer an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Von Dezember 1947 bis Oktober 1949 lebte er in „Boys Town“ in Bad Vilbel, einem von der US-Armee unterhaltenen Lager für entwurzelte junge Deutsche, welches auf dem Ansatz von Pater Edward Flanagan basierte.
Wenige Monate nach seiner Rückkehr nach Berlin wurde er im Juli 1950 durch die sowjetische Besatzungsmacht verhaftet und durch ein Sondergericht „OSO“ (Fernurteil aus Moskau) wegen angeblicher Spionage und Diversion nach Artikel 58.6 und 58.9 des StGB der RSFSR zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt. Bis 1956 war Wolleh im Arbeitslager Workuta in der UdSSR, wo er Zwangsarbeit in einem Kohleschacht leistete. 1956 konnte Wolleh, aufgrund Konrad Adenauers erfolgreichen Verhandlungen über die Heimkehr deutscher Kriegsgefangener, nach Berlin zurückkehren.[1] Die Folter nach der Verhaftung sowie die harten Haft- und Arbeitsbedingungen im Kohleabbau hinterließen körperliche Schäden und posttraumatische Störungen.[2][3] Gleichzeitig begründete Workuta seinen ersten Kontakt mit der Fotografie und eine mythische Verehrung des Lichtes.
Nach seiner Freilassung absolvierte er von 1956 bis 1957 eine Ausbildung im Lette-Verein, einer Berufsfachschule für Fotografie, Grafik und Mode in Berlin. Ein mehrmonatiges Erholungsprogramm des Weltkirchenrats für kriegsgeschädigte Jugendliche, das ihm im Jahr 1958 einen Aufenthalt auf der schwedischen Insel Gotland ermöglichte, begründete bei ihm eine lebenslange Zuneigung zu den Menschen und der Landschaft dieser Region. Von 1959 bis 1961 studierte Wolleh an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen. Zu seinen Lehrern gehörte der Fotograf Otto Steinert.
Ab 1962 bis zu seinem Tode lebte und arbeitete er in Düsseldorf als freischaffender Fotograf. Zunächst war er vorwiegend in der Werbung tätig und wandte sich später seinem künstlerischen Werk zu. 1964 heiratete er seine Frau Karin. Sein Sohn Oliver kam 1965, seine Tochter Anouchka 1966 zur Welt. 1979 verstarb Lothar Wolleh nach einem Asthmaanfall in London, nachdem er Henry Moore porträtiert hatte. Sein Grab befindet sich auf Gotland.
Als freier Mitarbeiter für die Werbeagentur TEAM, der auch Helmut Newton angehörte, avancierte Wolleh zu einem der bekanntesten und teuersten Mode-, Werbe- und Porträtfotografen der Bundesrepublik. Zu seinen Kunden gehörten bekannte Unternehmen wie die Deutsche Bundesbahn, Tchibo oder Volkswagen. 1965 porträtierte er Ludwig Erhard für die Kampagne zur Bundestagswahl.
In den Jahren 1962 bis 1965 fotografierte Wolleh in Rom das Zweite Vatikanische Konzil. Unter Mitwirkung von Pater Emil Schmitz SJ wurde Wollehs erstes Fotobuch Das Konzil. II. Vatikanisches Konzil 1965 im Belser-Verlag veröffentlicht. 1975 illustrierte er die Botschaft des Papstes Paul VI. anlässlich des Heiligen Jahres in der Farbfotofolianten mit dem Titel der päpstlichen Bulle Apostolorum Limina (Belser-Verlag). Dieses Werk, mit seinen Unschärfen und Verwischungen, stellt eine radikale Weiterentwicklung der Wollehschen Farbfotografie dar, wie sie sich bei dem ersten Farbband Konzil andeutete.
1969 reiste Wolleh für mehrere Monate durch die Sowjetunion. Die auf dieser Reise entstandenen Fotografien fanden Eingang in den 1970 erschienenen Bildband UdSSR – Der Sowjetstaat und seine Menschen, den er zusammen mit Heinrich Böll und Valentin Katajew im Belser Verlag veröffentlichte.
Auf Anregung seines Freundes, des deutschen Malers und Objektkünstlers Günther Uecker, begann Wolleh ab 1967 systematisch insgesamt über einhundert international bekannte Maler, Bildhauer und Aktionskünstler zu porträtieren. Ab den 1970er Jahren arbeitete er kaum noch als Werbefotograf und widmete sich fast ausschließlich seiner Serie der Künstlerporträts, in der er zunächst die mit ihm bekannten Künstler der Düsseldorfer Szene fotografierte, darunter Heinz Mack, Otto Piene, Joseph Beuys und Gerhard Richter. Bald weitete sich sein Projekt aber über die Grenzen des Rheinlands auf ganz Europa aus, mit Schwerpunkten wiederum auf die ZERO Gruppe oder den Nouveau Réalisme.
Aus den daraus entstandenen Porträtserien entstanden mehrere umfangreiche Fotobuch-Projekte und Kooperationen mit Künstlern. 1970/71 entstand der Band Uecker in der Edition Artifex in einer Auflage von 530. 1972 erstellte Wolleh den Film Schwarzraum-Weißraum zu der gleichnamigen Aktion von Günther Uecker. 1978 entstand die Uecker Mappe Zum Zeichen der Schrift oder die Sprachlosigkeit mit Fotos von Lothar Wolleh, die von Uecker teilweise übermalt worden sind. Die bemalten Fotografien sind u. a. die Vorlagen für das 1979 nachfolgende Auflagenwerk gleichen Titels. 1970 fotografierte Wolleh die Aktion Filz-TV von Joseph Beuys, die von Gerry Schum auf Film beziehungsweise Video aufgenommen wurde.[1] 1972 entstand der Foto-Band Art Scene Düsseldorf, welcher durch Multiples der Künstler begleitet war.[4]
Mehrere Buch- und Kunstmappen Projekte blieben unvollendet, so ein Band zu Lucio Fontana, Jan Schoonhoven, „Art Scene Düsseldorf No. 2“ mit Arbeiten u. a. zu Dieter Roth, Stefan Wewerka, Klaus Rinke, sowie die Dokumentation über das „Trauerbankett“ der Gruppe Nouveau Réalisme anlässlich ihrer Auflösung in Mailand 1970. Der Bildband Männer der Wirtschaft, in dem Firmengründer und Manager der führenden bundesdeutschen Unternehmen porträtiert wurden, konnte wegen befürchteter Angriffe durch die Rote Armee Fraktion nicht veröffentlicht werden. Weitere Projekte waren das Unterwasserbuch, das Beuys und Wolleh gemeinsam geplant hatten und für das Wolleh die 51 formatfüllenden Bilder erstellte. Die Aufnahmen entstanden beim Aufbau der Beuys-Ausstellung im Moderna Museet in Stockholm 1971.
Zwischen 1977 und 1979 erfolgten mehrere Aufenthalte in Polen. in den Wolleh bis zu seinem Tod an den unvollendeten Foto-Bänden Die schwarze Madonna von Tschenstochau und Schloss Wawel arbeitete. In dieser Zeit entstanden auch zahlreiche Porträts der polnischen Avantgarde.[1]
Lothar Wolleh verfolgte in seinem Werk eigenwillige gestalterische Prinzipien, die seinen Porträts eine unverwechselbare Handschrift verleihen. Seine Arbeiten sind durch einen klaren, oftmals streng symmetrischen Bildaufbau präzise konzipiert und inszeniert. Die porträtierten Personen sind meist als Ganzfigur auf der senkrechten Mittelachse in der oberen Bildhälfte platziert. Oft steht die Kamera direkt am oder nahe dem Boden, wodurch dieser fast die gesamte untere Bildhälfte einnimmt und eine Sockelfunktion erfüllt. Die Bildfläche wird dabei durch eine klare Horizontlinie in zwei Teile gegliedert.[5] Als ein weiteres Charakteristikum gilt die Schwarz-Weiß-Fotografie, im Rahmen eines grundsätzlich quadratischen Formats. Insgesamt porträtierte Lothar Wolleh 109 Künstler.
Nach seinem frühen Tod gerieten das Werk und das Wirken Lothar Wollehs zunächst in Vergessenheit. Sein Sohn Oliver Wolleh übernahm die Erschließung und Verwaltung des fotografischen Nachlasses und initiierte zahlreiche Ausstellungen und Publikationen. 2005 fand in der Kunsthalle Bremen die erste große Einzelausstellung statt – der erste Schritt der bis heute andauernden Wiederentdeckung seines Werkes.
Weitere, von Lothar Wolleh porträtierte Künstler sind unter anderem Magdalena Abakanowicz, Max Bill, Pol Bury, Alexander Camaro, Christo, Sonia Delaunay-Terk, Paul Dierkes, François Dufrêne, Robert Filliou, Vic Gentils, Karl Gerstner, Gotthard Graubner, Raymond Hains, Al Hansen, Bernhard Heiliger, Dorothy Iannone, Ferdinand Kriwet, Laszlo Lakner, Adolf Luther, Heinz Mack, Claes Oldenburg, Roman Opalka, César Pelli, Martial Raysse, Hans Richter, Klaus Rinke, Ulrich Rückriem, Reiner Ruthenbeck, Jesús Rafael Soto, Daniel Spoerri, André Thomkins, Mark Tobey, Georges Vantongerloo, Stefan Wewerka, Fritz Wotruba.
posthum
Personendaten | |
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NAME | Wolleh, Lothar |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Photograph |
GEBURTSDATUM | 20. Januar 1930 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 28. September 1979 |
STERBEORT | London |