Dallapiccola wurde als Sohn eines Schulleiters geboren, begann im Alter von acht Jahren mit dem Klavierspiel und beschäftigte sich ab dem elften Lebensjahr mit Komposition. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden seine Studien 1917 unterbrochen. Seine Familie wurde für knapp zwei Jahre nach Graz deportiert und dort interniert. In dieser Zeit kam er mit der deutschen und österreichischen Oper – insbesondere der von Richard Wagner und Wolfgang Amadeus Mozart – in Kontakt.[A 1] Seine Familie kehrte 1919 nach Istrien zurück, dort konnte er seine Ausbildung fortsetzten, dazu reiste er für privaten Klavier- und Harmonielehreunterricht nach Triest. Von 1922 bis 1924 studierte Dallapiccola Klavier bei Ernesto Consolo in Florenz. Die Begegnung mit Arnold SchönbergsPierrot lunnaire festigte seinen Entschluss, eine Komponistenlaufbahn einzuschlagen, und so studierte er bis Anfang der 1930er Jahre Komposition bei Vito Frazzi auf dem Luigi Cherubini Konservatorium in Florenz. Von 1934 bis 1967 arbeitete er dort schließlich selbst als Lehrer für Klavier und Komposition. Diese Tätigkeit erlaubte es ihm, zu reisen und verschiedenste Werke und Komponisten – unter anderem Alban Berg und Anton Webern – kennenzulernen. Bis ins hohe Alter war Luigi Dallapiccola aktiv und reiste durch Europa, England, die USA and Argentinien. Er war ein geschätzter Lehrer und Dozent und unterrichtete an verschiedenen Institutionen, wie dem Berkshire Music Center in Tanglewood und dem Queens College.[1][2]
Seine Opern gelten heute als Klassiker der Moderne. Zu seinen Verdiensten zählt unter anderem die Einführung der Zwölftontechnik in Italien. Allerdings folgt diese Zwölftontechnik nicht den „traditionellen“ Regeln nach Arnold Schönberg, sondern ist eher motivisch zu verstehen[3]. Sein Kompositionsstil zeichnet sich außerdem durch einen Kontrapunkt aus, der sich an Johann Sebastian Bach und italienischen Vorbildern orientiert (Tartiniana). Bekannt wurde Dallapiccola vor allem durch die Uraufführung des Orchesterwerks mit SopransoloPartita (1930–1932). In seinem gesamten Œuvre, welches ungefähr vier dutzend Werke umfasst, nimmt die Vokalmusik die bedeutendste Stellung ein.
Obwohl er sich anfangs noch von den Großmachtsphantasien Gabriele D’Annunzios beeindruckt zeigte – er vertonte u. a. 1930 dessen „Kvarner Lied“ (ital. La Canzone del Quarnaro)[4], in welchem der Anspruch Italiens auf Istrien, Dalmatien und die adriatischen Inseln besungen wird – bezog er doch in späteren Jahren klarere Positionierungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen in seinen Werken. Beispielhaft dafür sind die antifaschistischenCanti di prigionia (1938–1941, Gesänge der Gefangenschaft)[5] und die Canti di liberazione (1951–1955, Gesänge der Befreiung).
Schwerpunkt von Dallapiccolas Schaffen war jedoch die Gattung der Oper, die er in einem sehr italienischen Sinne pflegte, indem er sich in ihr nicht von dem Brauch des Belcanto verabschiedete, sondern diesen im Lichte der Zwölftontechnik und des Kontrapunkts auf eine Weise verwendete, die lyrischer als jene Alban Bergs und Schönbergs anmutet. Dallapiccola war Leiter der das kulturelle Leben von Florenz seinerzeit mitbestimmenden „Florentiner Schule der Dodekaphonie“, der unter anderm der Gitarrist und Komponist Reginald Smith Brindle[6] angehörte.
Harald Kaufmann, Zum Verhältnis zweier Musen. Über das Wort-Ton-Problem: Dallapiccolas »Prigioniero«, Weberns Trakllied »Die Sonne«, in: Harald Kaufmann, Spurlinien. Analytische Aufsätze über Sprache und Musik, Lafite, Wien 1969.
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Fiamma Nicolodi (Hrsg.), Luigi Dallapiccola. Parole e musica, (edizione aggiornata ed ampliata), Il Saggiatore, Milano 1980.
Fiamma Nicolodi, Gusti e tendenze del Novecento musicale in Italia, Sansoni, Firenze 1982.
Dietrich Kämper: Gefangenschaft und Freiheit. Leben und Werk des Komponisten Luigi Dallapiccola. Gitarre+Laute Verlagsgesellschaft, Köln 1984, ISBN 3-88583-005-1.
Fiamma Nicolodi, Musica e musicisti nel ventennio fascista, Discanto, Fiesole/FI 1984.
Massimo Venuti, Il teatro di Dallapiccola, Suvini Zerboni, Milano 1985.
Jessica Harrison Howard, Luigi Dallapiccola’s »Prigioniero«: a music-dramatic analysis of scene 4, Ann Arbor (UMI) 1989.
Jürg Stenzl, Von Giacomo Puccini zu Luigi Nono. Italienische Musik 1922–1952: Faschismus ─ Resistenza ─ Republik, Frits Knuf, Buren 1990.
Arrigo Quattrocchi (Hrsg.), Studi su Luigi Dallapiccola, LIM, Lucca 1993, ISBN 88-7096-067-6.
Dietrich Kämper, Luigi Dallapiccolas »Canti di liberazione«, in: Hermann Danuser/Günter Katzenberger (edd.), Vom Einfall zum Kunstwerk. Der Kompositionprozess in der Musik des 20. Jahrhunderts, Laaber Verlag, Laaber 1993, pp. 287–296.
Joachim Noller, Dodekaphonie via Proust und Joyce. Zur musikalischen Poetik Luigi Dallapiccolas, in: Archiv für Musikwissenschaft 51/1994, pp. 131–144.
Julia van Hees, Luigi Dallapiccolas Bühnenwerk »Ulisse«. Untersuchungen zu Werk und Werkgenese, Gustav Bosse, Kassel 1994.
Pierre Michel, Luigi Dallapiccola, Contrechamps, Genève 1996.
Mila De Santis (Hrsg.), Dallapiccola. Letture e prospettive, Atti del Convegno Internazionale di Studi (Empoli/Firenze, 16-19 febbraio 1995), Ricordi/LIM, Milano/Lucca 1997, ISBN 88-7096-220-2.
Ute Schomerus, Ecce homo: Die Sacra Rappresentazione »Job« von Luigi Dallapiccola, Von Bockel, Hamburg 1998.
Mario Ruffini, L'opera di Luigi Dallapiccola, Catalogo Ragionato, Suvini Zerboni, Milano 2002, ISBN 88-900691-0-4.
Raymond Fearn, The music of Luigi Dallapiccola, University of Rochester Press, Rochester/NY 2003.
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Mila De Santis (Hrsg.), Ricercare. Parole, musica e immagini dalla vita e dall'opera di Luigi Dallapiccola, Ausstellungskatalog Florenz (Palazzo Pitti) 2005, Editore Polistampa, Florenz 2005, ISBN 88-8304-962-4.
Luciano Alberti, La giovinezza sommersa di un compositore: Luigi Dallapiccola, Leo S. Olschki, Firenze 2013, ISBN 978-88-222-6230-1.
Hartmut Krones, Therese Muxeneder (Hrsg.), Luigi Dallapiccola die Wiener Schule und Wien, Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold Schönberg, Böhlau Verlag 2013, ISBN 978-3-205-78822-5.
↑"Dallapiccola fühlt sich mit Graz eng verbunden: im Jahr 1917 wurde er sich als Dreizehnjähriger auf dem Galeriestehplatz des Grazer Opernhauses während einer Aufführung des Fliegenden Holländers seiner Berufung zum Komponisten bewußt." Harald Kaufmann: "Die Tortur des verheißenen Freiheit. Zur Grazer Premiere des Gefangenen von Luigi Dallapiccola und zum 60. Geburtstag des Komponisten", in: H. Kaufmann: Von innen und außen. Schriften über Musik, Musikleben und Ästhetik, hg. von Werner Grünzweig und Gottfried Krieger, Wolke, Hofheim 1993, S. 153.
↑Der österreichische Musikforscher Harald Kaufmann und Dallapiccola lernten sich 1955 beim Maggio musicale in Florenz kennen. In der Folge setzte sich Kaufmann sehr dafür ein, dass der italienische Komponist in den 1950er und 1960er Jahren regelmäßig nach Graz kam, sowohl als Interpret als auch als Vortragender. Am 24. Mai 1969 etwa hielt Dallapiccola an dem von Kaufmann gegründeten Institut für Wertungsforschung (heute: Institut für Musikästhetik) an der Akademie für Musik und darstellende Kunst (heute: Universität für Musik) seinen Vortrag „Wort und Ton in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts“. Zu Dallapiccolas erstem Besuch in Graz nach 38 Jahren (zwischen März 1917 und November 1918 wohnte die Familie Dallapiccola in Graz) im Jahr 1956 im Rahmen der Neue-Musik-Reihe Studio für Probleme zeitlich naher Musik siehe auch Harald Kaufmann: Neue Musik in Steiermark, S. 90–91.