Biller wurde als Kind russisch-jüdischer Eltern in Prag geboren. Die Familie wohnte dort in der Straße Krkonošská 3 im Stadtteil Vinohrady in einem Jugendstilhaus.[1] Im April 1971, zwei Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, emigrierte er als Zehnjähriger zusammen mit der Mutter Rada Biller, dem Vater Semjon-Jevsej Biller (1931–2017)[2] und der Halbschwester,[3] der Journalistin und Schriftstellerin Elena Lappin, nach Westdeutschland. Seine Jugend verbrachte er im HamburgerGrindel, wo die Familie in der Hartungstraße lebte.[4] Biller legte das Abitur mit einem Notendurchschnitt von 3,0 ab.[5] Er studierte in Hamburg und München Literaturwissenschaft und schloss sein Studium 1983 bei Wolfgang Frühwald mit einer Magisterarbeit über das Bild der Juden im Frühwerk Thomas Manns ab.
Nach einer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München schrieb Biller für Tempo, den Spiegel, Die Zeit und Faces. Seine Tempo-Kolumne trug den Titel 100 Zeilen Hass und machte ihn als Provokateur bekannt. Der Titel der Kolumne geht auf Tempo-Chefredakteur Markus Peichl zurück, mit dem Biller ein monatliches Honorar von 700 Mark aushandelte. Ein Angebot, als Tempo-Korrespondent nach New York zu gehen, lehnte Biller ab.[6] Er erhielt später ein Honorar von über 4000 Mark.[5] Die Kolumnen erschienen 2017 als Buch bei Hoffmann und Campe mit einem Nachwort von Hans Ulrich Gumbrecht. 2004 erschien das Album Tapes mit Stücken, die Biller auf Deutsch, Englisch und Tschechisch singt und mit der Gitarre begleitet.
Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb er bis 2019 die satirische Kolumne Moralische Geschichten. Eine der Hauptfiguren, Dudek Kohn, ist ein erfolgloser jüdischer Schriftsteller, dessen siebenjährige Tochter Rosa immer bessere Ideen hat als er. Billers zweite Kolumne heißt Über den Linden und handelt von ihm selbst und seinen Begegnungen mit Freunden und Künstlern in Berlin. Sie erscheint regelmäßig in der Zeit. Von Oktober 2015 bis Dezember 2016 war er Teilnehmer in der Neuauflage des Literarischen Quartetts im ZDF.[7][8]
Im März 2022 gab Biller nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bekannt, die Schriftstellertätigkeit aufgeben zu wollen, da ihm das Schreiben angesichts des Krieges sinnlos erscheine und er doch nichts gegen den Kriegsterror eines einzelnen Serienmörders und seiner Hunderttausenden Helfershelfer ausrichten könne. In Kiew, Cherson und Odessa sei wieder einmal der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, nur dass diesmal die Russen angefangen hätten.[15][16] Zusammen mit anderen Schriftstellern unterzeichnete er im Mai 2022 einen offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Aufforderung, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.[17] 2023 erschien Billers vor dem Überfall verfasster Roman Mama Odessa.[18]
Nachdem Biller auf Einladung des Literaturkritikers Hubert Winkels beim Münchner Autorenworkshop „Sage und Schreibe“ eine Erzählung über seine Mutter gelesen hatte, wurde der Kiepenheuer & Witsch-Lektor Helge Malchow auf ihn aufmerksam.[5] Billers erster Erzählband Wenn ich einmal reich und tot bin (1990) stieß auf geteilte Kritiken,[19] ebenso der zweite, Land der Väter und Verräter (1994).[20] Auch seine weiteren Veröffentlichungen riefen kontroverse Reaktionen hervor.[21] 1991 rief er im Essay Soviel Sinnlichkeit wie der Stadtplan von Kiel die deutschsprachigen Schriftsteller dazu auf, realistischer zu schreiben und mit den „Altavantgardisten und Literaturnomenklaturisten“ zu brechen.[22]
Über seinen Roman Die Tochter (2000) urteilte Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett, Biller besitze ein journalistisches, aber kein episches Talent. Die Sendung sei laut Biller „das Todesurteil für das Buch“ gewesen, da die Buchverkäufe anschließend stark zurückgingen.[5] Reich-Ranicki sagte in der Sendung einen häufig zitierten Satz, der im Roman nicht enthalten ist: „Ich ficke, du fickst, wir alle ficken, wir müssen ficken, warum fickt er nicht mit ihr?“[23][24]
Im April 2000 organisierte Biller in der Evangelischen Akademie Tutzing die Tagung Freiheit für die deutsche Literatur, die er mit einer polemischen und viel diskutierten Rede eröffnete. Darin warf er seinen Kollegen, von denen er zahlreiche eingeladen hatte, vor, sie schrieben „Schlappschwanz-Literatur“ und ignorierten das „handwerkliche Prinzip ‚Moral‘“, denn, wie Biller meint: „Ohne Moral keine Kunst, keine Literatur“.[25] Biller erklärte seine Einlassungen aus der Position eines in Deutschland lebenden und schreibenden tschechisch-russischen Juden mit dem Satz: „Weil ich mit meiner Literatur zur deutschen Literatur gehören möchte – es ist wahrscheinlich das alte Heinrich-Heine-Drama – und hoffentlich auch gehöre.“[26]
Billers Romane und Erzählungen wurden in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem der Roman Die Tochter, der in Frankreich 2003 in der Reihe folio beim Verlag Gallimard erschienen ist. 2007 wurden zwei seiner Short Storys im New Yorker abgedruckt.[27] Die Novelle Im Kopf von Bruno Schulz wurde in 15 Sprachen übersetzt. Auf Spiegel Online notierte Sebastian Hammelehle: „Biller schreibt mit einer selbstverständlichen, unaufdringlichen Eleganz, mit der sich kein anderer der deutschsprachigen Schriftsteller seiner Generation messen kann. Seine Novelle erreicht weltliterarisches Niveau.“
Der Roman Sechs Koffer stand 2018 auf der Short List zum Deutschen Buchpreis. In seiner Kritik in der Literarischen Welt schrieb Andreas Rosenfelder dazu: „Man hat Maxim Biller mantraartig Kälte, Boshaftigkeit und Empathielosigkeit vorgeworfen – und damit die radikale Außenperspektive, in der er sich seit den Zeiten seiner ‚Tempo‘-Kolumne ‚Hundert Zeilen Hass‘ immer wieder übt, moralisch abgewertet. Dabei ist der Verzicht auf Wohlwollen selbst eine moralische Position, vielleicht sogar die ehrlichste und im poetischen Sinn gerechteste.“
2023 erschien der Roman Mama Odessa über das Leben seiner Mutter. Marlene Knobloch bezeichnete ihn in der Süddeutschen Zeitung als „ein leichtes, schweres Meisterwerk“, das das „gegenwärtig beste erste Kapitel der deutschen Literatur“ enthalte.[28]
Im Jahr 2003 erregte Biller Aufsehen mit seinem Roman Esra, dessen Vertrieb dem Verlag Kiepenheuer & Witsch im Frühjahr 2003 gerichtlich untersagt wurde, nachdem etwa 4000 Exemplare ausgeliefert worden waren. In dem autofiktionalen Text werden intime Einzelheiten über den Ich-Erzähler und seine Partnerin Esra geschildert. Dabei werden starke Übereinstimmungen zwischen der Figur der Esra und Billers früherer Partnerin Ayşe Romey erkennbar. In der Figur der Lale, einer herrschsüchtigen, psychisch kranken Alkoholikerin, fühlte sich wiederum deren Mutter Birsel Lemkediffamiert.
Romey und Lemke erwirkten daher eine einstweilige Verfügung; in dem Verfahren untersagte das Landgericht München I die weitere Verbreitung des Buchs, da es das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen verletzt sah. Am 21. Juni 2005 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision von Kiepenheuer & Witsch gegen das vorhergegangene Urteil. Der Verlag rief daraufhin das Bundesverfassungsgericht an. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte jedoch am 13. Juni 2007 die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen wegen einer massiven Persönlichkeitsverletzung Romeys ab und verwies die Sache im Übrigen an den Bundesgerichtshof zurück.[29] Somit darf das Werk nicht mehr verbreitet und veröffentlicht werden.[30]
Weiterhin verklagten Romey und Lemke vor dem Landgericht München I Biller und den Verlag auf jeweils 50 000 Euro Schmerzensgeld, das Romey am 13. Februar 2008 zuerkannt wurde.[31] Gegen die Verurteilung zu Schmerzensgeld protestierten über hundert prominente Personen der Kulturszene, darunter Herbert Achternbusch, Günter Grass, Elfriede Jelinek, Peter Zadek und Feridun Zaimoğlu.[32] Das Urteil des Landgerichtes wurde am 24. November 2009 letztinstanzlich durch den Bundesgerichtshof aufgehoben. Schon das Verbot eines Kunstwerkes wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung sei ein erheblicher Eingriff in die Kunstfreiheit, so dass eine Geldentschädigung nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht komme.[33] Am 10. Juni 2008 hatte der Bundesgerichtshof die Unterlassungsklage von Lemke zurückgewiesen (VI ZR 252/07[34]). Ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sei – im Gegensatz zu demjenigen ihrer Tochter – nicht schwerwiegend verletzt worden. In diesem Fall habe die Kunstfreiheit Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht.[35] Für das durch Romey erwirkte Verbot des Buches hat das Urteil jedoch keine Auswirkungen, es darf weiterhin nicht verbreitet werden. Dadurch erledigte sich die Schmerzensgeldklage Lemkes.
Wenn ich einmal reich und tot bin (Erzählungen). Kiepenheuer und Witsch, Köln 1990, ISBN 3-423-11624-2. (inklusive der Erzählung Harlem Holocaust)
Die Tempojahre (Essays und Reportagen). Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1991, ISBN 3-423-11427-4.
Land der Väter und Verräter (Erzählungen). Kiepenheuer und Witsch, Köln 1994, ISBN 3-423-12356-7.
Harlem Holocaust (Kurzroman). Kiepenheuer und Witsch, Köln 1998, ISBN 3-462-02761-1.[36]
Die Tochter. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2000, ISBN 3-423-12933-6 (Roman über das Scheitern einer Liebe zwischen einem Israeli, der seine Erlebnisse als Soldat im Libanonkrieg vergessen will, und einer Deutschen.)
Kühltransport: Ein Drama, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001, ISBN 978-3-423-12920-6.
Deutschbuch (Essays und Reportagen), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001, ISBN 3-423-12886-0.
Esra. Kiepenheuer & Witsch, 2003, ISBN 3-462-03213-5 (der Vertrieb wurde dem Verlag gerichtlich untersagt).
Der perfekte Roman (Ein Lesebuch), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003, ISBN 3-423-13087-3.
Bernsteintage (Erzählungen), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, ISBN 3-462-03361-1.
Sandra Westphal: Deutungshoheit über Texte. Eine Analyse des rechtswissenschaftlichen Diskurses über Literatur. In: Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft. Neue Folge. Band48. Nomos, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8487-5942-2, S.154–194 (zugleich Dissertation, Westfälische Wilhelms-Universität, 2018).
↑3. Zwischen den Zuschreibungen: das Erzählen von jüdischer Identität in Der gebrauchte Jude. ISBN 978-3-653-97574-1 (peterlang.com [abgerufen am 11. Juli 2021]).
↑Frédéric Schwilden: Heimatgefühle: Deutschland, ich liebe Dich. In: DIE WELT. 2. Oktober 2020 (welt.de [abgerufen am 22. Mai 2022]).
↑Zelda Biller: Generation J: Zelda Biller bedauert es, dass Dana Vowinckel den Briefwechsel beendet. In: Neue Zürcher Zeitung. 22. Februar 2023, ISSN0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 20. Oktober 2023]).
↑Während für Peter von Becker der zu einem „Geistesenkel Tucholskys“ erklärte Biller der Gegenwart „wahr und diesmal witzig an den Nerv“ ging, vergleichbar mit „Bölls früher Prosa“ und den „Nachkriegsromanen von Wolfgang Koeppen“, nannte ihn Ulrich Greiner einen „absolut zeitgeistmäßige[n]“ Künstler ohne „Psychologie und erzählerischen Atem“. Michael Wise erklärte Biller hingegen in der Jerusalem Post zum „deutschen Philip Roth“.
↑So schrieb Eberhard Falcke über Billers Roman Die Tochter (2000) in der Süddeutschen Zeitung: „Das Bekenntnis des Erzählers zur radikalen Eindimensionalität schränkt seinen Gesichtskreis ziemlich ein.“ Und Thomas Wirtz erklärte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Maxim Biller – und das ist sicher die überraschendste Erkenntnis nach seinem ersten Roman – ist ein bis in die kratzende Wolle hinein eingefärbter Traditionalist, ein Freud-Joyce-Musil-Leser.“ Noch zwiegespaltener fielen die Reaktionen auf Billers Opus Magnum aus, den 900-seitigen Roman Biografie, der im Frühjahr 2016 erschienen ist. „Und so schafft der Roman Biografie etwas, im Negativbild, was das höchste Ziel jeden Romans ist: Er ist Spiegel seiner Zeit“, schrieb Georg Diez auf Spiegel Online, während Lothar Müller ihn für seinen „nicht ununfeministischem Herrenwitz“, für „hohe Adjektiv-Dichte, noch höhere Dichte von Namen und Wörtern, die Jüdisches signalisieren“ und „hohes Tempo“ kritisierte.
↑Maxim Biller: Soviel Sinnlichkeit wie der Stadtplan von Kiel. In: Die Weltwoche, 25. Juli 1991.
↑Peter Just, Pascal Pfitzenmaier, Nicola Uther: Das Literarische Quartett: 10. Oktober 1997-14. Dezember 2001. Directmedia, 2006, ISBN 978-3-89853-301-0, S.399 (google.de [abgerufen am 7. Mai 2021]).
↑„Esra“-Klage abgewiesen. In: Weser-Kurier, 11. Juni 2008.
↑Fritz Gimpl: Maxim Biller: Harlem Holocaust. In: Lit-eX – Magazin für Verrisse aller Art, Ausgabe 2. Dezember 1998, abgerufen am 13. September 2019 (Rezension).