Die Murīdīya (arabisch المريدية, Wolof: Yoonu murit) oder der Muridismus ist eine Sufi-Bruderschaft (Tarīqa) im Senegal und in Gambia, die im späten 19. Jahrhundert von Amadu Bamba gegründet wurde und heute eine der wirtschaftlich und gesellschaftlich einflussreichsten Kräfte im Senegal darstellt. Sie beherrscht ganze Branchen der Wirtschaft, zum Beispiel das Transportwesen. Ihre Anhänger werden Muriden (Mouriden) genannt. Heute ist die Bruderschaft durch Arbeitsmigration auch in Europa verbreitet.
Die Murīdīya besteht aus einer Anzahl von Clanen und Familien, die durch die Brüder, Söhne und Schüler von Amadou Bamba begründet wurden. Jedem Clan steht ein Kalif (ḫalīfa) vor, der die Autorität über die Marabouts und Schüler dieses Clans besitzt. Diese Kalifen wiederum sind dem General-Kalifen gegenüber rechenschaftspflichtig, der an der Spitze der Bruderschaft steht, und müssen ihm den Treueid (jebellu) leisten.[1] Derzeitiger General-Kalif ist Serigne Cheikh Maty Lèye (* 1924), zweiter Enkel von Amadou Bamba, Sohn von Serigne Bara Borom Gouye Mbind.[2]
Die Führer der Clane verfügen über ausgedehnte Ländereien, auf denen ihre Anhänger auf Kollektivgütern, die Daara genannt werden, arbeiten, ohne dass sie dafür größeren Lohn erhalten.[3] Die Anhänger der Murīdīya versuchen, durch schwere körperliche Arbeit, oft auf Erdnuss-Feldern, Gott näher zu kommen. Eine besonders große Konzentration von maraboutischen Farmen befindet sich in der Region von Diourbel.[4] Im Zuge der Urbanisierungsbewegung der Murīdīya haben sich im städtischen Umfeld auf lokalem Niveau ebenfalls religiöse Zusammenschlüsse der Muriden herausgebildet. Diese Zusammenschlüsse mit vereinsartigem, aber meist inoffiziellem Charakter werden Dahira genannt.[5]
Eine Untergruppe innerhalb der Murīdīya bilden die Iyakhines in Thiès, eine Gemeinschaft, die in den 1920er Jahren von dem charismatischen Religionsführer Abdulaye Yakhine Diop gegründet und von 1943 bis 2003 von seiner Tochter Sokhna Magat Diop geleitet wurde.
Die Muridiyya wurde 1883 von Amadu Bamba gegründet. 1887 erbaute er mit seinen Anhängern eine eigene Stadt, die er nach einem Koranvers (Sure 13:29) Touba (arab. „Segen“) nannte. 1892 gründete Scheich Ibra Fall eine erste Niederlassung der Muriden in Saint-Louis, dem Sitz der französischen Kolonialverwaltung. Im Laufe der Zeit wurde die Bruderschaft zu einem Verbündeten der französischen Kolonialmacht. Die Muriden bauten auf ihren Plantagen Erdnüsse für die Franzosen an und verpflichteten ihre Anhänger zur Loyalität gegenüber dem Kolonialherren. Amadou Bamba erhob die Feldarbeit zur höchsten Tugend seiner Bruderschaft. Dies führte zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung.
Nach dem Tode von Amadou Bamba im Jahre 1927 wurde sein ältester Sohn Mamadou Moustapha zum ersten General-Kalifen, d. h. Nachfolger seines Vaters, ausgerufen. Die ersten Jahre des Kalifats waren aber von ständigem Zwist unter den Anführern der Bruderschaft geprägt. Ein gewisser Scheich Anta erkannte das Kalifat von Mamadou nicht an und gewann mit seinem Anspruch, der „wahre“ Kalif zu sein, einige Unterstützung, so auch bei Amadu Bambas zweitem Sohn Falilou, mit dem er 1928 auf Wallfahrt nach Mekka ging.[6]
Als Mamadou 1945 im Sterben lag, bestimmte er seinen Sohn Scheich Mbacké Gainde Fatma zum Nachfolger. Da dieser jedoch als anti-französisch galt und Sympathien mit panarabischen Gruppen und senegalesischen Oppositionsgruppen hatte, intervenierte die Kolonialverwaltung und sorgte dafür, dass Falilou Mbacké zum General-Kalifen erhoben wurde.[7] Bei dieser Gelegenheit wurde als Gremium kollektiver Führung der Conseil d’Administration Mouride geschaffen.[8] Scheich Mbacké erkannte das Kalifat von Falilou nicht an und stellte mit Aktionen seiner Anhänger dessen Autorität immer wieder in Frage. Als 1946 zum Beispiel Falilou den Magal, die jährliche Wallfahrt nach Touba, auf Bitten der Kolonialverwaltung verlegte, weil zur gleichen Zeit Wahlen stattfanden, weigerte sich Scheick Mbacké, diese Datumsänderung zu akzeptieren, und führte die Wallfahrt zum ursprünglichen Datum durch.[9] Ab 1945 begannen Muriden, sich auch in Dakar anzusiedeln.[10]
Im Frühjahr 1947 ließ Falilou die Bauarbeiten für die noch unvollendete Moschee von Touba wieder aufnehmen. Diese Maßnahme diente vor allem der Festigung seiner religiösen Autorität.[11] Die Moschee wurde 1961 vollendet[12] und 1963 im Beisein von Präsident Léopold Sédar Senghor feierlich eröffnet.
Kern- und Ursprungsgebiet der Murīdīya ist der Senegal. Durch Arbeitsmigration hat sich die Gemeinschaft mittlerweile weltweit verbreitet. In Frankreich lebende junge Anhänger der Gemeinschaft gründeten schon 1977 eine studentische Auslandsorganisation der Murīdīya, die Association des Étudiants et Stagiaires Mourides d'Europe (AESME).[13] Im europäischen Ausland ist der Handel das wichtigste Erwerbsfeld der Muriden.[14] Besonders in den Touristenzentren der südeuropäischen Mittelmeerküste leben viele Mitglieder; sie sind dort im Straßenhandel aktiv.[15] Die Migration der Bruderschaftsmitglieder gestaltet sich auch heute noch weitgehend männlich, d. h. Familienzusammenführungen werden nur selten praktiziert.[16]