Nayef Hawatmeh

Nayef Hawatmeh (2017)
Pressekonferenz in Amman 1970: Hawatmeh, Anführer der DFLP (links von Arafat), Arafat (Mitte, mit Sonnenbrille) und PLO-Sprecher Kamal Butros Nasser (rechts von Arafat), Schriftsteller und Dichter, der aufgrund seiner Integrität als „das Gewissen“ bekannt war.

Nayef Hawatmeh (arabisch نايف حواتمة, DMG Nāyif Ḥawātma; * 17. November 1935 in Salt, Transjordanien) ist ein palästinensischer Politiker. Mit 16 Jahren schloss Hawatmeh sich der Arabischen Nationalbewegung an, war Mitbegründer der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und am 22. Februar 1969 Mitbegründer von deren Abspaltung, der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP). Hawatmeh studierte in Amman und Moskau Medizin, Psychologie und Philosophie und promovierte über die Entwicklung der nationalen Bewegung zu einer linken Bewegung. Er ist der Generalsekretär der DFLP.

Hawatmeh stammt aus einer nördlich von Amman ansässigen beduinischen Großfamilie griechisch-katholischer Konfession, die im ganzen historischen Palästina lebte. Die Schule besuchte er in Amman. 1955 ging er nach Kairo zum Medizinstudium, brach dieses jedoch nach einem Jahr aus Anlass des Sueskriegs 1956 ab.[1] Nach seiner Rückkehr nach Jordanien arbeitete er als Lehrer, Journalist und Publizist.[2] Später studierte er bis zum Erwerb des Bachelors 1967 Philosophie an der Arabischen Universität Beirut. Seine akademischen Studien vollendete er 1976 in Moskau, wo er über die Entwicklung der nationalen Bewegung zu einer linken Bewegung promovierte.[3][4] Hawatmeh gehört dem marxistischen Spektrum an.[5]

Als Oberschüler schloss er sich der pan-arabischen Arabischen Nationalistischen Bewegung (ANM) an, als eines der ersten von George Habasch ab Ende 1952 in Jordanien angeworbenen Mitglieder.[1] 1957 war er in Jordanien für die ANM verdeckt politisch aktiv und ging in den Untergrund. Die ANM wurde dort 1959 verboten. Nachdem er in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, ging er über Syrien in den Libanon, wo er ANM-Gruppen in Tripoli und Tyros anführte. Anfang der 1960er Jahre ging er für die ANM in den Irak, wo er wegen Umtrieben gegen Regierungschef Abd al-Karim Qasim für 14 Monate in Haft saß. Einem drohenden Todesurteil entkam er 1963 durch Fürsprache von Gamal Abdel Nasser, durch die er nach Ägypten ausreisen konnte.[6] Von dort ging Hawatmeh in den Jemen, um sich mit der Front for the Liberation of Occupied South Yemen (FLOSY) am Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft im Süden des Landes zu beteiligen.[7]

Nach einer Amnestie durch den Haschemiten König Hussein kehrte er 1967 nach Jordanien zurück und war 1968 zunächst Mitgründer der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Nach einem Führungsstreit mit George Habasch spaltete er sich 1969 gemeinsam mit Jassir Abed Rabbo und anderen ab und gründete am 22. Februar 1969 die marxistische Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) – bis 1974 unter dem Namen „Volksdemokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (PDFLP), dessen Generalsekretär er ist. Die DFLP bot eine ideologisch strengere marxistische Alternative zu anderen palästinensischen Fraktionen an, die für einen revolutionären Ansatz zur Befreiung Palästinas eintraten. Dabei wurde nicht nur der antikolonialistische und antiimperialistische Kampf betont, sondern auch die Bedeutung der Schaffung eines progressiven und säkularen palästinensischen Staates, der demokratisch und sozialistisch wäre. Nach dem Scheitern des gegen das jordanische Königshaus gerichteten Aufstand des Schwarzen Septembers, bei dem die PDFLP hohe Verluste erlitt, wurde Hawatmeh wie die übrigen PLO-Kämpfer und -Funktionäre aus Jordanien vertrieben und ließ sich im Libanon nieder.

Hawatmeh ist bekannt für die frühe Versuche einen Dialog und Kontakt mit israelischen linken Gruppen herzustellen; er veröffentlichte im April 1974 den ersten Aufruf eines palästinensischen Führers an alle Israelis, der in der israelischen Zeitung Jedi’ot Acharonot und anderen Zeitungen wie The Washington Post, Le Soir, Le Monde und An-Nahar veröffentlicht wurde.[8] Er gehörte zu den ersten, die die Idee eines eigenständigen palästinensischen Staates vertraten und trat für eine auf Verhandlungen mit Israel basierende Zwei-Staaten-Lösung ein.[5] Ab 1969 suchte er den Dialog mit der israelischen Linken, insbesondere der kommunistischen Matzpen. Im April 1974 stieß er eine internationale Medienkampagne an, in der er die Israelis zu einem Friedensschluss auf Grundlage der einschlägigen UN-Resolutionen und des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser aufrief. Wenige Wochen später entzog eine Kommando-Aktion der DFLP in Nordisrael, die nach missglückter Intervention der israelischen Streitkräfte im Maʿalot-Massaker endete und die Hawatmeh von Beirut aus öffentlich rechtfertigte, dieser Versöhnungsinitiative jede Basis.[9]

Nach der Vertreibung der PLO aus dem Libanon durch Israel 1982 arbeitet Hawatmeh von Syrien aus, wo die DFLP staatliche Unterstützung erhält. Nach Angaben Hawatmehs verlor die von ihm geleitete Organisation bis 1987 in gewaltsamen Auseinandersetzungen 5.000 Mitglieder.[10] Nach 1988 beschränkte die DFLP ihre bewaffneten Aktivitäten auf sporadische Überfälle auf die israelische Grenze.[11]

Zwanzig Jahre nach seiner Verbannung aus Jordanien durfte Hawatmeh das Land erstmals 1990 gemeinsam mit George Habasch anlässlich einer Konferenz in Amman zur Unterstützung Saddam Husseins nach dessen Invasion Kuwaits wieder betreten.[12]

Hawatmeh war gegen die Madrider Konferenz 1991 und die Unterzeichnung des Oslo-Abkommens von 1993. Gemeinsam mit anderen linksorientierten, aber auch islamistischen Organisationen gründete seine DFLP in Opposition zur PLO-Führung in Damaskus die sogenannte „Allianz palästinensischer Kräfte“ (APF), die die DFLP 1996 allerdings wieder verließ.

Im Jahr 1999 vereinbarte er ein Treffen mit Jassir Arafat. Hawatmeh schüttelte dem israelischen Präsidenten Ezer Weizmann während der Beerdigung von König Hussein im Februar 1999 die Hand und bezeichnete ihn als „Mann des Friedens“. Es war einen historischen Händedruck. Die Geste brachte ihm starke Kritik vormaliger palästinensischer Verbündeter in Damaskus ein.[13] Im selben Jahr strich die US-Regierung die von ihm geführte DFLP von ihrer Liste der terroristischen Organisationen.[14]

Hawatmeh lehnte palästinensische Selbstmordattentate in Israel ab.[14] 2003 distanzierte er sich von der Taktik der Hamas und sagte der Süddeutschen Zeitung, dass DFLP-Kämpfer nur innerhalb der besetzten Gebiete gegen israelische Soldaten und Siedler kämpften und er die Ermordung unbeteiligter Zivilisten ablehne.[15]

Im Jahr 2007 gab Israel an, Hawatmeh zum ersten Mal seit 1967 die Einreise in das Westjordanland zu genehmigen, um ihm die Teilnahme an einer Vorstandssitzung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zu ermöglichen. Israel macht Hawatmeh für das 1974 von einem DFLP-Kommando verübte Maʿalot-Massaker verantwortlich. 2013 bemühte sich die Palästinensische Autonomieregierung um eine Genehmigung Israels für eine Übersiedlung Hawatmehs in den von der PA kontrollierten Teil der Westjordanland. Hawatmeh hatte sich nach Ausbruch des Syrischen Bürgerkriegs vorübergehend in Jordanien niedergelassen.[16]

Einzelnachweise

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  1. a b Frances Susan Hasso: Resistance, Repression, and Gender Politics in Occupied Palestine and Jordan. Syracuse University Press, Syracuse 2005, S. 11.
  2. Michael Bröning: Political Parties in Palestine: Leadership and Thought. Palgrave Macmillan, New York City 2013, S. 179.
  3. "Der Kampf wird lange dauern", AG Friedensforschung, 28. Dezember 2012
  4. Frances Susan Hasso: Resistance, Repression, and Gender Politics in Occupied Palestine and Jordan. Syracuse University Press, Syracuse 2005, S. 12.
  5. a b Al Jazeera
  6. Frances Susan Hasso: Resistance, Repression, and Gender Politics in Occupied Palestine and Jordan. Syracuse University Press, Syracuse 2005, S. 11 f.
  7. Michael Bröning: Political Parties in Palestine: Leadership and Thought. Palgrave Macmillan, New York City 2013, S. 179 f.
  8. Hawatmeh, Nayef (Abul Nouf) (1938-) Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs. Abruf am 18. Januar 2025
  9. Lutz Fiedler: Matzpen. Eine andere israelische Geschichte. 2. durchgesehenen Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, ISBN 978-3-525-37056-8, S. 212–215 und 256–259.
  10. Douglas Jehl: Palestinian Rebels in Syria: Wild Card in Talks. In: International Herald Tribune vom 9. August 1999 (englisch)
  11. Profile: DFLP. In: BBC News vom 4. Februar 2002, abgerufen am 23. Oktober 2018 (englisch)
  12. Joel Brinkley: Divided Loyalties. In: New York Times vom 16. Dezember 1990, abgerufen am 23. Oktober 2018 (englisch)
  13. Middle East: Radical Palestinians bitter over Israel handshake. In: BBC News vom 14. Februar 1999, abgerufen am 23. Oktober 2018 (englisch)
  14. a b Neil McFarquhar: Damascus: Hussein's Fall Leads Syrians To Test Government Limits. In: New York Times vom 20. März 2004, abgerufen am 23. Oktober 2018 (englisch)
  15. Heiko Flottau: Der umzingelte Frontstaat: Das Regime in Damaskus kämpft ums Überleben. In: Süddeutsche Zeitung vom 8. Oktober 2003
  16. Khaled Abu Toameh: Marxist DFLP head Hawatmeh seeks to return to West Bank. In: Jerusalem Post vom 3. Februar 2013, abgerufen am 23. Oktober 2018 (englisch)