Powassan-Virus

Powassan-Virus
Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria[2][1]
Reich: Orthornavirae[1]
Phylum: Kitrinoviricota[1]
Klasse: Flasuviricetes[1]
Ordnung: Amarillovirales[1]
Familie: Flaviviridae
Gattung: Orthoflavivirus
ohne Rang: „Tick-Borne-Enzephalitis-Komplex“
Art: Orthoflavivirus powassanense
Unterart: Powassan virus
Taxonomische Merkmale
Genom: (+)ssRNA linear
Baltimore: Gruppe 4
Symmetrie: ikosaedrisch
Hülle: vorhanden
Wissenschaftlicher Name
Powassan Virus
Kurzbezeichnung
POWV, DTV
Links

Das Powassan-Virus (Spezies Orthoflavivirus powassanens) ist ein Mitglied der Familie Flaviviridae.[3][4] Das Powassan-Virus wird von Zecken übertragen und es kommt in Nordamerika sowie im östlichen Sibirien vor.[5][6] Der Name leitet sich von der Stadt Powassan[7] in Ontario ab. Dort wurde das Virus erstmals bei einem kleinen Jungen entdeckt, welcher daran gestorben ist. Das Powassan-Virus kann eine Enzephalitis (Powassan-Enzephalitis) hervorrufen. Bislang existiert keine Impfung und keine wirksame medikamentöse Therapie gegen das Virus. Die Vermeidung von Zeckenstichen in den Endemiegebieten ist die beste Vorsorge.[8]

In Nordamerika ist dieses Virus das einzige Flavivirus, welches von Zecken übertragen wird und beim Menschen pathogen ist (Stand 2010).[9]

Darüber hinaus wird das Powassan-Virus in den wärmeren Zonen Eurasiens gefunden, wo es Teil des Zecken-Enzephalitis-Viruskomplexes (Tick-Borne-Enzephalitis-Komplex, TBE) ist.[10][11]

In Primorski Krai im Südosten Sibiriens wurde das Powassan-Virus vermutlich vor 70 Jahren eingeschleppt.[12]

Das Powassan-Virus ist ein RNA-Virus, welches in zwei separate Abstammungslinien aufgespalten ist:

  • Linie 1 wird auch „Prototyp-Linie“ (POWV) genannt,[13]
  • Linie 2 die „Hirschzecken-Virus-Linie“ (englisch Deer tick virus, DTV).[14][11]

Die Linie 2 hat die größere genetische Variabilität. Das ist ein Hinweis, dass sie die ältere Linie ist, die sich durch natürliche Selektion gespalten hat.[11] Die Hirschzecken-Virus-Linie ist dem Powassan-Virus-Prototyp sehr ähnlich. Eine Sequenzanalyse zeigte eine Übereinstimmung der Nukleinsäuresequenz in 84 % und der Aminosäuresequenz in 94 %.[11] Danach müssten sich die beiden Linien vor etwa 200 Jahren getrennt haben.[15] Obwohl die Linie 2 in Powassan-Virus-positiven Zeckenpopulationen dominiert, wurden Erkrankungen beider Linien sowohl in Nordamerika als auch in Sibirien nachgewiesen.[6][16] Da das Hüllprotein von Flaviviren stark konserviert ist, gibt es häufig immunologische Kreuzreaktionen verschiedener Arten. Das erschwert die immunologische Unterscheidbarkeit dieser Flaviviren immens. Sie gelten als serologisch nicht unterscheidbar.[5] Daher werden beide Viruslinien der gleichen Spezies zugeordnet.

Das Powassan-Virus kann beim Stich folgender Zeckenarten der Gattungen Ixodes und Dermacentor übertragen werden:[5]

Der Stich von Ixodes cookei ist relativ selten. Meistens wird dabei ein Hirsch-Zeckenvirus übertragen.[11] Ixodes scapularis ist ein wichtiger Überträger des Hirschzecken-Virus und spielt eine bedeutende Rolle beim Powassan-Virus.[11] Auch für die Übertragung der Lyme-Borreliose ist Ixodes scapularis bedeutsam, weil es verschiedene Säugetierarten befällt und Menschen sofort sticht.[17] In Kanada und im nordöstlichen Teil der USA ist Ixodes cookei die vorherrschende Zeckenart, in Minnesota und Wisconsin dagegen Ixodes scapularis.[6] In Nordamerika wird das Powassan-Virus von drei verschiedenen Säugetierarten durch drei verschiedenen Zeckenarten auf den Menschen übertragen.[11] Ixodes cookei überträgt Powassan-Virus von Murmeltieren auf den Menschen, Ixodes marxi von Eichhörnchen und Ixodes scapularis von nordamerikanischen Weißfußmäusen.[16]

Basierend auf den Kenntnissen von anderen Erregern, die von Zecken übertragenen werden, wie Lyme-Borreliose oder Anaplasmose, wird angenommen, dass eine Zecke nach weniger als 12 Stunden nach Aufnahme des Powassan-Virus Menschen infizieren kann.[18] Eine Rückübertragung des Powassan-Virus durch Zecken vom Menschen auf andere Säugetiere wurden nicht beobachtet. Infektionen des Menschen sind für das Powassan-Virus eine Sackgasse.[16]

Eine Powassan-Virus-Infektion ist selten die Ursache einer Enzephalitis. Die Powassan-Virus-Enzephalitis ist in der Regel aber schwer und bleibende neurologische Veränderungen sind häufig.[5] Die Symptome einer Powassan-Virus-Enzephalitis ähneln einer akuten disseminierten Enzephalomyelitis.[5] Die Diagnose wird zusätzlich dadurch erschwert, dass nur wenige Labors in der Lage sind, eine serologische Powassan-Virus-Testung durchzuführen.[19] Ein direkter Virus-Nachweis im Blut oder Liquor durch PCR oder Kultur ist leider nur in der Prodromalphase möglich.[20] Die ersten Symptome treten ein bis drei Wochen nach Infektion auf.[6] Die Krankheit beginnt mit Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, gelegentlicher Verwirrtheit und allgemeiner Schwäche.[16] Wegen der Schwere der Erkrankung wird eine stationäre Behandlung empfohlen. Im weiteren Verlauf treten die typischen Symptome einer Meningoenzephalitis auf: Krämpfe, Sprachstörungen, Hirnnervenlähmungen, Paresen und Bewusstseinsstörungen.[6][16] Da es gegenwärtig keine Impfung und keine wirksame spezifische medikamentöse Therapie gibt, muss symptomatisch behandelt werden. Diese besteht in einer Bekämpfung der Hirnschwellung, intravenöse Flüssigkeitsbehandlung und gegebenenfalls Beatmung.[16] Etwa 10 % der Fälle mit Powassan-Virus-Enzephalitis versterben, von den Überlebenden haben etwa 50 % bleibende neurologische Veränderungen.[18] Zwischen 2000 und 2011 verstarben in den USA 49 Patienten wegen einer Powassan-Virus-Enzephalitis.[17]

Im Jahr 2017 wurde der seltene Fall einer Infektion bei einem 5 Monate alten Jungen aus Connecticut publiziert. Er überlebte die Erkrankung mit normaler motorischer und sprachlicher Entwicklung im Alter von 10 Monaten. Das MRT zeigte aber schwere Hirnveränderungen wie Gliose und Enzephalomalazie des Thalamus und der Basalganglien beiderseits, einen Volumenverlust und eine Verkalkung der linken Basalganglien.[21]

Bei Erkrankungen, die von Zecken übertragen werden, ist die Prävention besonders wichtig. Die Gefahr eines Zeckenstiches ist in dichten Waldgebieten und Gebieten mit hohem Gras besonders hoch. Es wird empfohlen, eine lockere Kleidung zu tragen, die alle Hautbezirke bedeckt. Dazu gehören lange Hosen und hohe Socken. Dadurch können Zecken nicht direkt die menschliche Haut angreifen.[22] Nach einem Aufenthalt im Freien sollte man den eigenen Körper sorgfältig nach Zecken absuchen. Hilfreich ist auch das gegenseitige Absuchen der Haut durch Freunde oder Familienangehörige. Ferner gibt es die Möglichkeit, die Kleidung mit zeckenabstoßenden Mitteln zu behandeln, zum Beispiel mit permethrin-haltigen Präparaten. Zum Schutz von Haustieren gegen Zeckenstiche gibt es ebenfalls abstoßende Präparate. Auch müssen Haustiere, die sich in entsprechenden Gebieten aufgehalten haben, sorgfältig nach Zecken abgesucht werden.[23]

Im Übrigen muss daran gedacht werden, dass die ersten Zeichen erst nach 7–21 Tagen auftreten. Bei neurologischen Symptomen in diesem Zeitraum sollte dem behandelnden Arzt mitgeteilt werden, dass ein Zeckenstich stattgefunden hat.

Einzelnachweise

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  1. a b c d e ICTV: ICTV Taxonomy history: Yellow fever virus, EC 51, Berlin, Germany, July 2019; Email ratification March 2020 (MSL #35)
  2. ICTV Master Species List 2018b.v2. MSL #34, März 2019
  3. ICTV: Taxonomy Browser.
  4. ICTV: Virus Metadata Resource (VMR).
  5. a b c d e Mark D. Hicar, Kathryn Edwards, Karen Bloch: Powassan virus infection presenting as acute disseminated encephalomyelitis in Tennessee. In: The Pediatric Infectious Disease Journal. Band 30, Nr. 1, 2011, ISSN 1532-0987, S. 86–88, doi:10.1097/INF.0b013e3181f2f492, PMID 20736878.
  6. a b c d e Justin Birge, Steven Sonnesyn: Powassan virus encephalitis, Minnesota, USA. In: Emerging Infectious Diseases. Band 18, Nr. 10, Oktober 2012, ISSN 1080-6059, S. 1669–1671, doi:10.3201/eid1810.120621, PMID 23017222, PMC 3471639 (freier Volltext).
  7. The Municipality of Powassan, Homepage.
  8. Powassan-Enzephalitis. DocCheck Flexikon. DocCheck Medical Services GmbH, 2021.
  9. Gerhard Dobler: Zoonotic tick-borne flaviviruses. In: Veterinary Microbiology. Band 140, Nr. 3-4, 27. Januar 2010, ISSN 1873-2542, S. 221–228, doi:10.1016/j.vetmic.2009.08.024, PMID 19765917.
  10. NCBI: tick-borne encephalitis virus group
  11. a b c d e f g Doug E. Brackney, Ivy K. Brown, Robert A. Nofchissey, Kelly A. Fitzpatrick, Gregory D. Ebel: Homogeneity of Powassan virus populations in naturally infected Ixodes scapularis. In: Virology. Band 402, Nr. 2, 5. Juli 2010, ISSN 1096-0341, S. 366–371, doi:10.1016/j.virol.2010.03.035, PMID 20434750, PMC 2875267 (freier Volltext).
  12. E. L. Subbotina, V. B. Loktev: [Molecular evolution of the tick-borne encephalitis and Powassan viruses]. In: Molekuliarnaia Biologiia. Band 46, Nr. 1, 2012, ISSN 0026-8984, S. 82–92, PMID 22642104.
  13. NCBI: Tick-borne powassan virus (strain lb)
  14. NCBI: Deer tick virus
  15. Kendra N. Pesko, Fernando Torres-Perez, Brian L. Hjelle, Gregory D. Ebel: Molecular epidemiology of Powassan virus in North America. In: The Journal of General Virology. Band 91, Pt 11, November 2010, ISSN 1465-2099, S. 2698–2705, doi:10.1099/vir.0.024232-0, PMID 20631087, PMC 3052558 (freier Volltext).
  16. a b c d e f Centers for Disease Control and Prevention. (2010). Powassan. Abgerufen auf https://www.cdc.gov/powassan/
  17. a b Justin Birge, Steven Sonnesyn: Powassan virus encephalitis, Minnesota, USA. In: Emerging Infectious Diseases. Band 18, Nr. 10, 2012, ISSN 1080-6059, S. 1669–1671, doi:10.3201/eid1810.120621, PMID 23017222, PMC 3471639 (freier Volltext).
  18. a b Minnesota Department of Health. In: Powassan. MDH, archiviert vom Original am 2. Februar 2019; abgerufen am 27. Oktober 2013.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.health.state.mn.us
  19. David F. Neitzel, Ruth Lynfield, Kirk Smith: Powassan virus encephalitis, Minnesota, USA. In: Emerging Infectious Diseases. Band 19, Nr. 4, 2013, ISSN 1080-6059, S. 686, doi:10.3201/eid1904.121651, PMID 23750562, PMC 3647426 (freier Volltext).
  20. Meghan E Hermance, Saravanan Thangamani: Powassan Virus: An Emerging Arbovirus of Public Health Concern in North America. In: Vector Borne and Zoonotic Diseases (Larchmont, N.Y.). Band 17, Nr. 7, 2017, ISSN 1557-7759, S. 453–462, doi:10.1089/vbz.2017.2110, PMID 28498740, PMC 5512300 (freier Volltext).
  21. Jessica W. Tutolo, J. Erin Staples, Lynn Sosa, Nicholas Bennett: Notes from the Field: Powassan Virus Disease in an Infant — Connecticut, 2016. In: MMWR. Morbidity and Mortality Weekly Report. Band 66, Nr. 15, 21. April 2017, ISSN 0149-2195, S. 408–409, doi:10.15585/mmwr.mm6615a3, PMID 28426641, PMC 5687186 (freier Volltext).
  22. Diep K Hoang Johnson, J Erin Staples, Mark J Sotir, David M Warshauer, Jeffrey P Davis: Tickborne Powassan virus infections among Wisconsin residents. In: WMJ: official publication of the State Medical Society of Wisconsin. Band 109, Nr. 2, 2010, ISSN 1098-1861, S. 91–97, PMID 20443328.
  23. National Center for Emerging and Zoonotic Infectious Diseases (NCEZID), Division of Vector-Borne Diseases (DVBD): Preventing Ticks on Your Pets. Centers for Disease Control and Prevention (CDC), abgerufen am 3. März 2019 (englisch).