Die Einsatzgruppe A und die Einsatzgruppe B erschossen im Reichskommissariat Ostland unter anderem etwa eine Million Juden.[2] Angesichts der vorrückenden Roten Armee wurde das Ostland am 21. Januar 1945 aufgelöst.
Ursprünglich war vom Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, die Bezeichnung „Balten-Land“ für das ab Sommer 1941 so bezeichnete „Ostland“ vorgesehen. Dagegen hätten sich laut einer späteren Aussage von Otto Bräutigam, der in jener Zeit ein zentraler Mitarbeiter von Rosenberg war, allerdings „die baltischen Freunde“ von Rosenberg heftig ausgesprochen, da ein „Reichskommissariat Baltikum“ auch „Weißruthenien“ mit einschließen würde, „und damit die Weißruthenen auch zu Balten gestempelt würden“.[3] Ein weiterer bedeutsamer Mitarbeiter von Rosenberg, Georg Leibbrandt, sprach sich ebenfalls gegen diesen Vorschlag aus, da sonst die Sympathien der Balten, die ihre eigene Bezeichnung haben wollten, verspielt werden könnten; und ferner ohnehin keine „Ostlandbevölkerung“ geschaffen werden sollte.[4]
Einen Monat nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941 wurde am 25. Juli 1941, 12:00 Uhr, das Reichskommissariat Ostland gebildet. Es ging aus Teilen des rückwärtigen Heeresgebiets Nord hervor.
Seine Grenzen verliefen zunächst wie folgt:
Westen: Ostgrenze des Deutschen Reiches/Ostseeküste,
Norden und Osten: westlich der Düna (Riga ausschließlich, Jakobstadt einschließlich, Dünaburg ausschließlich, Druja einschließlich),
Sitz der Verwaltung war vorläufig die Stadt Kaunas, später in Kauen umbenannt.
Zum Reichskommissar wurde der Oberpräsident und Gauleiter von Schleswig-Holstein Hinrich Lohse ernannt.
Bereits zum 1. August 1941, 12:00 Uhr, wurde das Reichskommissariat Ostland räumlich aus dem rückwärtigen Heeresgebiet Mitte erweitert.
Seine neuen Grenzen verliefen vorläufig wie folgt:
Nordwesten: Bisherige Ostgrenze des Reichskommissariat Ostland,
Süden und Osten: Das Gebiet um Vilnius, begrenzt im Osten und Südosten durch die ehemalige litauische Grenze.
Die nächste Änderung erfolgte am 1. September 1941, 12:00 Uhr.
Zu diesem Zeitpunkt wurde das Reichskommissariat Ostland erweitert aus dem rückwärtigen Heeresgebiet Mitte, soweit innerhalb der folgenden Grenzen gelegen:
Westen: Bisherige Ostgrenze des Reichskommissariats Ostland und des Bezirks Bialystok;
Osten und Norden: Das rückwärtige Heeresgebiet Mitte bis zur Linie Sankewitschi1/Lenino am Slutsch/Verlauf des Slutsch bis Sluzk/Rudensk an Bahnstrecke Minsk-Bobruisk/Smilowitschi an der Wolna/Borissow (ausschließlich)/Verlauf der Beresina bis Beresino (etwa 80 km nördlich Borissow)/Disna an der Düna bis zur ehemals lettisch-russischen Grenze (Orte mit Ausnahme von Borissow und Orte an den genannten Flüssen einschließlich), das rückwärtige Heeresgebiet Nord bis zur Linie ehemals lettisch-russische Grenze/ehemals lettisch-estnische Grenze.
Die letzte Erweiterung trat am 5. Dezember 1941 ein und galt ab 12:00 Uhr. Danach trat aus dem rückwärtigen Heeresgebiet Nord das frühere Estland zum Reichskommissariat Ostland über. Das Gebiet blieb aber militärisch weiterhin Operationsgebiet des Heeres.
Am 8. September 1944 übernahm der Oberpräsident und Gauleiter der NSDAP Erich Koch in Königsberg (Pr), bisher Reichskommissar in der Ukraine, kommissarisch die Leitung im Ostland.
Das Reichskommissariat Ostland teilte sich in vier Generalbezirke mit der entsprechenden Anzahl von deutschen Kreisgebieten. Die deutschen Aufteilungen folgten größtenteils den früheren einheimischen Abgrenzungen. Die Generalbezirke bestanden jeweils aus einem der früher selbstständigen baltischen Staaten sowie aus dem früher polnischen Teil Weißrusslands (einschließlich des Gebietes um Minsk).
In den drei baltischen Generalbezirken führten in den Kreisgebieten deutsche Gebietskommissare die Aufsicht über die einheimische Lokalverwaltung der Städte, Kreise bzw. Amtsbezirke.
Zum 1. April 1942 traten vom Generalbezirk Weißruthenien zum Generalbezirk Litauen weitere Gebietsteile zur großzügigen Abrundung des Gebietes um Wilna.
Im Erlass des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete über die „Verwaltung des Reichskommissariats Ostland“ vom 7. März 1943 (nebst Anlagen und Durchführungsbestimmungen für Litauen, Lettland und Estland) wurde Folgendes festgelegt: In „gewissen Grenzen“ sollte in jedem der drei baltischen Generalbezirke eine eigene, einheimische Verwaltung unter klarer deutscher Führung bestehen bleiben, für Weißruthenien galten Sonderregelungen. Ziel war einerseits eine weitgehende Entlastung der deutschen Verwaltung, die nicht über genügend Verwaltungspersonal verfügte. Andererseits sollten den baltischen Völkern politische Anreize zur aktiven Mitarbeit im Krieg gegen die Sowjetunion gegeben werden. In der Folge kam es zu dauernden Auseinandersetzungen innerhalb der Generalbezirke selbst, zwischen den verschiedenen Generalbezirken sowie auch zwischen dem Reichskommissariat und dem Ostministerium, da jeweils unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des genauen Status der landeseigenen Verwaltungen bestanden.
Bis zur Auflösung des Ostlandes war zudem die Stellung der Stadt Riga mit ihrem deutschen Oberbürgermeister Hugo Wittrock ungeklärt, der gleichzeitig in Personalunion Gebietskommissar Riga-Stadt war, da Riga nie, wie vorgesehen, den lettischen Selbstverwaltungsorganen unterstellt wurde.
Zwischen den Weltkriegen, als die baltischen Länder unabhängig waren, galten die einheimischen Ortsnamen. Das Reichskommissariat Ostland führte wieder die deutschen Ortsnamen ein, wie sie bereits bis zum Ersten Weltkrieg offiziell verwendet worden waren.
Für den Generalbezirk Weißruthenien wurde das lateinische Alphabet eingeführt.
Im Baltikum erhielt zumindest jeder Postort auch einen Namen, der lautlich der deutschen Sprache angeglichen war.
Blutiger Boden, deutscher Raum. Die Siedlungspläne der SS, Dokumentarfilm, 52 min, ORF/3sat/Hengster Filmproduktion 2024, Buch und Regie: Andreas Kurz.
Wolfgang Benz, Konrad Kwiet, Jürgen Matthäus (Hrsg.): Einsatz im „Reichskommissariat Ostland“. Dokumente zum Völkermord im Baltikum und in Weißrussland 1941–1944 (= Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939–1945. 6). Metropol, Berlin 1998, ISBN 3-932482-01-8.
Heinz Boberach (Hrsg.): Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten. Meldungen und Berichte aus dem Geheimen Staatspolizeiamt, dem SD-Hauptamt der SS und dem Reichssicherheitshauptamt 1933–1945. Erschließungsband zur Mikrofiche-Edition. K. G. Saur, München 2003, ISBN 3-598-34418-X (Dokumente).
Tôviyyā Friedman (Hrsg.): SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln, verantwortlich für die Ermordung der Juden in Litauen, Lettland und Estland 1941–1944. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel for the Investigation of Nazi War Crime, Haifa 1997 (DNB).
Tôviyyā Friedman (Hrsg.): Die drei SS- und Polizeiführer im Ostland, in Lettland–Riga: SS-Brigadeführer Schröder, in Litauen–Kowno: SS-Brigadeführer Wysocki, in Estonien–Reval: SS-Brigadeführer Möller, die verantwortlich waren für die Ermordung der Juden im Ostland, 1941–1944. Dokumentensammlung. Institute of Documentation in Israel for the Investigation of Nazi War Crime, Haifa 1998 (DNB).
Karl Heinz Gräfe: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz. Die baltischen Staaten zwischen Diktatur und Okkupation. Edition Organon, Berlin 2010, ISBN 978-3-931034-11-5,
Tilman Plath: Zwischen Schonung und Menschenjagden.Die Arbeitseinsatzpolitik in den baltischen Generalbezirken des Reichskommissariats Ostland 1941-1944/45. Klartext Verlag, Essen 2012, ISBN 978-3-8375-0796-6.
Reinhard Pohl: Reichskommissariat Ostland: Schleswig-Holsteins Kolonie. In: Schleswig-Holstein und die Verbrechen der Wehrmacht.Gegenwind, Sonderheft November 1998, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, Kiel 1998, S. 10–12.
Katrin Reichelt: Lettland unter deutscher Besatzung 1941–1944. Der lettische Anteil am Holocaust (= Dokumente, Texte, Materialien 78). Metropol Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-940938-84-8.
Leonid Rein: The Kings and the Pawns. Collaboration in Byelorussia during World War II. Berghahn Books, New York 2011, ISBN 978-1-84545-776-1 (War and Genocide 15).
↑Czesław Madajczyk (Hrsg.): Vom Generalplan Ost zum Generalsiedlungsplan. Saur, München 1994, S. XI.
↑Reinhard Pohl: Reichskommissariat Ostland: Schleswig-Holsteins Kolonie. In: Schleswig-Holstein und die Verbrechen der Wehrmacht (PDF; 749 kB). Gegenwind-Sonderheft: Zur Debatte um die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ im Kieler Landeshaus 1999, S. 10–12, abgerufen am 13. September 2012.
↑Andreas Zellhuber: „Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu …“. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941–1945. Vögel, München 2006, S. 76. (Quellen: Bräutigam, Überblick, S. 4; Aktenvermerk Bormanns aus einer Besprechung zwischen Hitler, Rosenberg, Keitel, Göring und Lammers vom 16. Juli 1941; IMT, Bd. 38, L-221.)
↑Andreas Zellhuber: „Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu …“. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941–1945. Vögel, München 2006, S. 76. (Quellen: Schreiben Leibbrandts an Lohse und die Generalkommissare im RKO, 23. Februar 1942, BA, R 6/172, Bl. 65.)