Magnus Carlsen | Fabiano Caruana | |||
Nation |
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Status | Titelverteidiger, Weltmeister seit 2013 |
Herausforderer, Sieger des Kandidatenturniers | ||
Alter | 27 Jahre | 26 Jahre | ||
Elo-Zahl (November 2018) |
2835 | 2832 | ||
Punkte | 6(3) | 6(0) | ||
12+3 gespielte Partien | ||||
Siege | 0+3 | 0+0 | ||
Remisen | 12+0 | |||
◄ 2016 | 2021 ► |
Die Schachweltmeisterschaft 2018 fand vom 9. bis zum 28. November 2018 in London zwischen dem amtierenden Schachweltmeister Magnus Carlsen (Norwegen) und seinem im Kandidatenturnier 2018 ermittelten Herausforderer Fabiano Caruana (USA) statt. Carlsen verteidigte seinen Titel mit einem Sieg in den Schnellschach-Partien des Tie-Breaks, nachdem alle zwölf ursprünglich angesetzten Partien des Wettkampfs remis geendet hatten. Die Weltmeisterschaft wurde vom Weltschachbund FIDE und dem kommerziellen Veranstalter AGON ausgerichtet.
Im Kandidatenturnier vom 10. bis 27. März 2018 in Berlin ermittelten acht Spieler den Herausforderer. Caruana gewann das doppelrundige Turnier mit 9 Punkten aus 14 Partien vor Şəhriyar Məmmədyarov und Sergei Karjakin, dem Herausforderer bei der Schachweltmeisterschaft 2016, mit jeweils 8 Punkten.
Für Carlsen war es nach 2013, 2014 und 2016 die vierte Weltmeisterschaft und die dritte Titelverteidigung. Für Caruana war es die erste WM-Teilnahme.
Zu Beginn der Weltmeisterschaft lagen Carlsen auf Platz 1 und Caruana auf Platz 2 der FIDE-Weltrangliste. Es war das erste Mal seit der Schachweltmeisterschaft 1990 zwischen Garri Kasparow und Anatoli Karpow, dass die beiden Bestplatzierten der Weltrangliste in einem Weltmeisterschaftskampf gegeneinander antraten. Dabei betrug Carlsens Vorsprung vor Caruana lediglich drei Elopunkte; nie zuvor lagen Titelverteidiger und Herausforderer so nahe beieinander.
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Caruana und Carlsen hatten zuvor 34 Partien mit klassischer Zeitkontrolle gegeneinander gespielt. Davon gewann Carlsen 10 und Caruana 5 Partien, 19 mal wurde remis gespielt.[2] Ihre letzte Partie, während des Sinquefield Cups 2018, endete remis.
Zweikampf-Bilanz[2] | Carlsen-Siege | Unentschieden | Caruana-Siege | Total |
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Klassisch | 10 | 19 | 5 | 34 |
Blitzschach, Schnellschach | 13 | 3 | 6 | 22 |
Total | 23 | 22 | 11 | 56 |
Hauptschiedsrichter des Wettkampfes war der Franzose Stéphane Escafre.
Die Weltmeisterschaft wurde im Veranstaltungszentrum The College ausgetragen, dem ehemaligen Gebäude des Central Saint Martins College of Art and Design.[3] Es liegt nahe der U-Bahn-Station Holborn, im gleichnamigen Stadtteil des Bezirks London Borough of Camden.[4] Im Gebäude befindet sich ein Theater, auf dessen Bühne das Match ausgetragen wurde. Trotz einer Kapazität von 500 Plätzen wurden täglich nur höchstens 400 Karten verkauft.[5]
Eintrittskarten kosteten bis zu 100 £ für das Standard- und 600 £ für das VIP-Ticket (am 28. November). Vorher waren die Tickets etwas günstiger (z. B. VIP-Tickets bis zum 15. November 350 £ und vom 16. bis zum 19. November 400 £). Es wurden pro Person/Kreditkarte maximal 9 Karten abgegeben.[6][7]
Der von der FIDE geforderte Mindestfonds betrug eine Million Euro (inklusive Steuer). World Chess, als Veranstalter, stellte diesen Betrag und einen Teil der Eintrittskartenerlöse für diesen Fonds zur Verfügung.
Dieser Betrag wäre nach regulärem Verlauf (also bei höchstens 12 Langpartien) im Verhältnis 60 zu 40 zwischen Sieger und Verlierer aufgeteilt worden. Da es zum Tie-Break kam, wurde im Verhältnis 55 zu 45 geteilt.[8]
Alle zwölf angesetzten Wettkampfpartien endeten remis. Damit wurde ein Tie-Break nötig.
Nr. | Datum (2018) | Partieergebnis | Eröffnung | ECO- Schlüssel |
Züge | Zwischenstand | Link (Chessbomb.com) | ||
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Wettkampfpartien mit klassischer Bedenkzeit | |||||||||
Caruana | Carlsen | Caruana | Carlsen | ||||||
1 | Fr., 9. November | ½ | ½ | Sizilianische Verteidigung (Rossolimo-Variante) |
B31 | 115 | ½ | ½ | Spiel 1 |
2 | Sa., 10. November | ½ | ½ | Abgelehntes Damengambit | D37 | 49 | 1 | 1 | Spiel 2 |
1. Ruhetag | |||||||||
3 | Mo., 12. November | ½ | ½ | Sizilianische Verteidigung (Rossolimo-Variante) |
B31 | 49 | 1½ | 1½ | Spiel 3 |
4 | Di., 13. November | ½ | ½ | Englische Eröffnung | A29 | 34 | 2 | 2 | Spiel 4 |
2. Ruhetag | |||||||||
5 | Do., 15. November | ½ | ½ | Sizilianische Verteidigung (Rossolimo-Variante) |
B31 | 34 | 2½ | 2 ½ | Spiel 5 |
6 | Fr., 16. November | ½ | ½ | Russische Verteidigung | C42 | 80 | 3 | 3 | Spiel 6 |
3. Ruhetag | |||||||||
7 | So., 18. November | ½ | ½ | Abgelehntes Damengambit | D37 | 40 | 3½ | 3½ | Spiel 7 |
8 | Mo., 19. November | ½ | ½ | Sizilianische Verteidigung (Sweschnikow-Variante) |
B33 | 38 | 4 | 4 | Spiel 8 |
4. Ruhetag | |||||||||
9 | Mi., 21. November | ½ | ½ | Englische Eröffnung | A29 | 56 | 4½ | 4½ | Spiel 9 |
10 | Do., 22. November | ½ | ½ | Sizilianische Verteidigung (Sweschnikow-Variante) |
B33 | 54 | 5 | 5 | Spiel 10 |
5. Ruhetag | |||||||||
11 | Sa., 24. November | ½ | ½ | Russische Verteidigung | C42 | 55 | 5½ | 5½ | Spiel 11 |
6. Ruhetag | |||||||||
12 | Mo., 26. November | ½ | ½ | Sizilianische Verteidigung (Sweschnikow-Variante) |
B33 | 31 | 6 | 6 | Spiel 12 |
7. Ruhetag | |||||||||
Tie-Break | |||||||||
Schnell- schach |
Caruana | Carlsen | Caruana | Carlsen | |||||
1 | Mi., 28. November | 0 | 1 | Englische Eröffnung (Sizilianisch im Anzuge) |
A22 | 55 | 6 (0) | 6 (1) | Schnellschach-Partie 1 |
2 | 0 | 1 | Sizilianische Verteidigung (Sweschnikow-Variante) |
B33 | 28 | 6 (0) | 6 (2) | Schnellschach-Partie 2 | |
3 | 0 | 1 | Sizilianische Verteidigung (Französische Variante) |
B40 | 51 | 6 (0) | 6 (3) | Schnellschach-Partie 3 |
In der ersten Partie hatte Caruana Weiß und eröffnete wie gewohnt mit dem Königsbauern. Carlsen überraschte mit dem für ihn untypischen Zug 1. … c5. Sein Gegner wich jedoch den Hauptvarianten der offenen Sizilianischen Verteidigung aus und spielte stattdessen 3. Lb5. Carlsen kam gut aus der Eröffnung, übernahm die Initiative und behielt sie bis zum Ende des Spiels. Kurz vor der ersten Zeitkontrolle (40. Zug) hatte er eine komfortable Stellung mit guten Gewinnaussichten erreicht. Obwohl Caruana mindestens in den letzten 8 Zügen in extremer Zeitnot war und den rettenden 40. Zug erst drei Sekunden vor Ablauf der Uhr machte,[11] gelang es Carlsen zur großen Überraschung aller Kommentatoren[11] nicht, das Spiel vor der Zeitkontrolle zu entscheiden. Im 34.[12] und im 38. Zug[13] hätte er nach Ansicht der Kommentatoren Niclas Huschenbeth und Daniel King besser spielen und so das Spiel gewinnen können. In der Partie konnte sich Caruana hingegen schließlich in ein Turmendspiel mit Minusbauer retten.
Caruana–Carlsen, Partie 1
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Caruana–Carlsen, Partie 1
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In der zweiten Partie ergaben sich trotz eines ganz anderen Stellungstyps deutliche Parallelen zur ersten Partie, jedoch mit vertauschten Rollen: Diesmal war es der Titelverteidiger, der mit den weißen Steinen unter Druck geriet und sich in ein Turmendspiel mit einem Minusbauern retten musste, das für Schwarz ebenso wenig zu gewinnen war wie dasjenige am Vortag. Caruana verzichtete, im Gegensatz zu Carlsen, auf langwierige Gewinnversuche mit dem Mehrbauern.
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In der dritten Partie kam wie bereits in der ersten die Rossolimo-Variante der Sizilianischen Verteidigung aufs Brett. Nach einigen Abtäuschen übernahm Carlsen bald die Initiative und bildete schließlich einen Freibauern am Damenflügel. Caruana verteidigte sich jedoch sehr genau. Indem er seinen Springer für den Freibauern opferte, sicherte er sich das Remis, denn Carlsen blieb nur der „falsche“ Läufer, der den verbleibenden eigenen Bauern bei der Umwandlung nicht unterstützen konnte.
Caruana–Carlsen, Partie 3
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Caruana–Carlsen, Partie 3
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In der vierten Partie wurde die Vierspringer-Variante der Englischen Eröffnung gespielt. In einer wenig aufregenden Partie dachte Carlsen knapp 20 Minuten lang über seinen 15. Zug nach, bevor er Te1 zog. Es stellte sich jedoch heraus, dass ihn dieser Zug nicht in Vorteil brachte. Großmeister Michael Adams sah in seiner Analyse auf Chessbase als kritischen Zug für Weiß stattdessen 15. b5! an.[14]
Carlsen–Caruana, Partie 4
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Carlsen–Caruana, Partie 4
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Erneut stand die Rossolimo-Variante auf dem Prüfstand. Mit dem Zug 6. b4?! überraschte Caruana das Publikum, nicht jedoch Carlsen – dieser reagierte sehr besonnen auf das Flügelgambit, das auch als Gurgenidse-Variante bekannt ist.[15] In Folge konnte Caruana auch in dieser Partie nie wirklich Vorteil erlangen. Alex Yermolinsky äußerte in seiner Videoanalyse[16] die Befürchtung, dass Caruanas Eröffnungsvorbereitung damit mehr oder weniger gescheitert sei, weil er in seinen drei Weißpartien der ersten Wettkampfhälfte den Weltmeister nie unter Druck habe setzen können. Carlsen, der nun zweimal hintereinander den Eröffnungsvorteil genieße, habe damit die besseren Chancen auf seiner Seite. Wie sich zeigen sollte, erwies sich diese Einschätzung als nicht zutreffend, denn Carlsen schaffte es seinerseits nicht, diesen kleinen Vorteil in den folgenden Partien zu nutzen.
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In seiner dritten Weiß-Partie geriet Carlsen erstmals an den Rand einer Niederlage. Er eröffnete zum ersten Mal im Wettkampf mit 1. e4 und ermöglichte es seinem Gegner damit, mit dessen Lieblingsverteidigung, der Russischen Verteidigung, zu antworten. Die Damen wurden früh abgetauscht und Carlsen ließ sich im 44. Zug dazu hinreißen, einen Läufer für drei Bauern zu geben. Dieser Tausch erwies sich als Fehler, denn einer der Bauern ging bald wieder verloren. Es ergab sich daraufhin ein für beide Parteien äußerst schwieriges Endspiel. Carlsen musste gegen das materielle Übergewicht von Schwarz ankämpfen. Caruana hingegen musste einen Weg finden, einen Bauern zu verwandeln, obwohl Carlsen die Bauernmehrheit hatte. Ob das Endspiel theoretisch remis oder für Schwarz zu gewinnen war, war allen Live-Kommentatoren unklar.[17] Obwohl er im Rückstand war, opferte Carlsen mutig einen Bauern, um den schwarzen Läufer vorübergehend abzulenken. So konnte er einen weiteren Bauern abtauschen und eine vermeintliche Festung errichten. Das war insofern bemerkenswert, weil er noch bei der letzten Weltmeisterschaft bei einer Pressekonferenz den berühmten Satz: „I don’t believe in fortresses.“ („Ich glaube nicht an Festungen.“) gesagt hatte. Peter Svidler lobte die Präzision, mit der Carlsen sich in schwieriger Lage verteidigt habe. Nach sechs Stunden und 80 Zügen endete auch diese Partie unentschieden. Trotzdem wurde das komplizierte Endspiel allgemein als eines der Glanzlichter einer bis dahin an Höhepunkten eher armen Weltmeisterschaft gewertet. Am gleichen Abend wurde bekannt, dass der norwegische Supercomputer Sesse einen Gewinnweg für Schwarz gefunden hatte, der jedoch so kompliziert war, dass er weder von den Kontrahenten selbst noch von kommentierenden Großmeistern verstanden wurde. Carlsen sagte über die Computeranalyse: „I am not going to disagree with the computers, I just don’t understand it.“ („Ich werde den Computern nicht widersprechen, ich verstehe es einfach nicht.“) Ex-Weltmeister Garri Kasparow twitterte sinngemäß, dass kein menschliches Wesen ohne Computerunterstützung solche Züge machen würde.[18]
Carlsen–Caruana, Partie 6
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Carlsen–Caruana, Partie 6
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Carlsen–Caruana, Partie 6
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Carlsen–Caruana, Partie 6
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Zum zweiten Mal in diesem Match kam das abgelehnte Damengambit zur Anwendung. Auch in dieser Partie konnte Carlsen gegen Caruanas Damengambit nichts ausrichten. Chancen erhielt der Weltmeister erst, als Caruana begann, sich selbst in Bedrängnis zu bringen.[19] Am Ende steht das 7. Remis im 7. Spiel zu Buche.
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Nachdem Carlsen in seiner vierten Schwarzpartie zum vierten Mal die Sizilianische Verteidigung gewählt hatte, wich Caruana zum ersten Mal von der Rossolimo-Variante ab. Es kam die Sweschnikow-Variante aufs Brett, die zu taktisch scharfen Stellungen führen kann. Danach hatte es zunächst auch den Anschein, als es Caruana gelang, einen starken Springer auf b6 zu platzieren und am Damenflügel Druck zu machen, während Carlsen mit 18. … g5 – vielleicht etwas übereilt – sein Heil in einem Angriff am Königsflügel suchte. Allerdings gelang es Caruana nicht, daraus einen Vorteil zu ziehen. So spielte er mit 24. h3?! zu sehr auf Sicherheit und verpasste die Gelegenheit, mit 24. Dh5! starken weißen Druck aufrechtzuerhalten.[20] Daher wechselte die Partie aus einem vielversprechenden Mittelspiel schneller als erwartet in ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern und endete nach 38 Zügen abermals remis.
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In der neunten Partie kam es, wie bereits in der vierten Partie, zur Vierspringer-Variante der Englischen Eröffnung. Carlsen erspielte sich erstmals einen kleinen Eröffnungsvorteil. Bei deutlichem Zeitvorteil (über eine Stunde gegenüber nur 25 Minuten seines Kontrahenten) forcierte Carlsen mit einer Öffnung am Königsflügel das Spiel. Mit dem Zug 25. h5 war er jedoch zu ungeduldig und verlor letztendlich die Initiative. In der geöffneten Stellung hielt Caruana stark dagegen. Die Partie endete schließlich in einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern remis.[21]
Carlsen–Caruana, Partie 9
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Carlsen–Caruana, Partie 9
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Wie bereits in der achten Partie kam die Sweschnikow-Variante der Sizilianischen Verteidigung aufs Brett. Carlsen griff am Königsflügel an, konnte jedoch keinen Vorteil erzielen. Im schließlich entstehenden Doppelturmendspiel konnte Caruana nach Carlsens aggressivem, aber missglücktem Gewinnversuch 44. … Kd4? einen Bauern gewinnen, doch dies reichte nicht für den Sieg. Laut André Schulz hatte Caruana mit dem prinzipiellen 24. Lxb5!, also der Annahme des von Carlsen angebotenen Bauernopfers, die Möglichkeit, entscheidend in Vorteil zu kommen.[22]
Caruana–Carlsen, Partie 10
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Caruana–Carlsen, Partie 10
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In der elften Partie eröffnete Carlsen wie in der sechsten Partie mit 1. e4 und Caruana wählte wiederum die Russische Verteidigung. Wie in der neunten Partie kam es zu einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern. Caruana opferte mit 29. … Ke8 einen Bauern, um seinen König im Endspiel besser zu positionieren. Nach der Blockade des weißen Freibauern auf c5 durch den schwarzen König vollzog Caruana hauptsächlich Wartezüge mit seinem Läufer; Carlsen gelang es jedoch nicht, unter Zuhilfenahme seines Königs seinen Bauern auf dem Königsflügel zum Durchbruch zu verhelfen.[23] Weil die Spieler in dieser Partie ihre Züge vor allem im Endspiel sehr schnell ausführten, hatten beide wegen der Zeitgutschrift von 30 Sekunden pro Zug am Ende kurioserweise mehr Bedenkzeit auf der Uhr als zu Beginn der Partie.
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In der letzten Langpartie dieser Schachweltmeisterschaft wurde zum dritten Mal die Sweschnikow-Variante der Sizilianischen Verteidigung gespielt. Bereits früh in der Partie offerierte Carlsen zweimal seinem Gegner die Möglichkeit einer dreimaligen Stellungswiederholung. Caruana wich beide Male aus, wodurch die Komplexität der Stellung deutlich zunahm. Im 25. Zug ließ Carlsen wie bereits in der ersten Partie eine klare Gewinnmöglichkeit aus. Statt mit dem Hebel 25. … b5!, evtl. auch erst nach Abtausch auf f4, die Stellung zu öffnen und einen vielversprechenden Angriff zu erhalten, legte er mit 25. … a5 und 26. … e4 die Bauernstruktur fest. Laut Wesley So bot 29. … La4! statt des Partiezuges eine weitere Möglichkeit, in der Folge einen nahezu gewinnbringenden Vorteil zu erhalten.[24] Im 31. Zug bot Carlsen in immer noch deutlich besserer Stellung zur Überraschung seines Gegners und der Kommentatoren remis an, was Caruana annahm. In der anschließenden Pressekonferenz begründete Carlsen das frühe Remisangebot damit, dass Schwarz zwar die bessere Stellung habe, aber seinen Druck nicht ausbauen könne, ohne Risiken auf sich zu nehmen. Es sei aber nicht seine Absicht gewesen, irgendwelche Risiken einzugehen. Auf die vergebene Chance angesprochen sagte er nur: „I don’t care.“ („Das ist mir egal.“)[25][26]
Caruana–Carlsen, Partie 12
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Caruana–Carlsen, Partie 12
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Bei der Auslosung der Farben zwei Tage zuvor zog Carlsen die weiße Dame. Damit hatte er in den Partien 1 und 3 des Schnellschachmatches die weißen Steine, Caruana in den Partien 2 und 4. Carlsen gewann durch ein Zwischenschach im Endspiel die erste Partie, anschließend verlor Caruana die folgende, von ihm scharf angelegte Partie taktisch. Die dritte Partie verlor Caruana erneut im Endspiel.
Damit war der Tie-Break mit 3:0 Punkten für Carlsen entschieden. Die vierte Schnellschachpartie wurde entsprechend dem Reglement nicht mehr ausgetragen.
Carlsen–Caruana,
Schnellschach-Partie 1
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Carlsen–Caruana,
Schnellschach-Partie 1
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Die zweite Schnellschachpartie war in den ersten 10 Zügen mit der 12. Partie des Wettkampfs identisch. Hatte Carlsen in der Langpartie noch recht schnell – und für viele Beobachter unverständlich – ein Remis angeboten, so forcierte er in der Schnellschachpartie die Stellung und konnte nach nur 28 Zügen den vorentscheidenden zweiten Sieg einfahren.
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Carlsen–Caruana,
Schnellschach-Partie 3
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Carlsen–Caruana,
Schnellschach-Partie 3
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Carlsen, der den Weltmeistertitel seit 2013 trägt, behält diesen bis zur Schachweltmeisterschaft 2021 in Dubai, die für 2020 geplant war, aber wegen der COVID-19-Pandemie verschoben wurde.[27]
Die fast identischen Elo-Zahlen der beiden Kontrahenten – Carlsen 2835, Caruana 2832 – wurden durch die zwölf regulären Remispartien des Wettkampfes nicht verändert.[28]
Es handelte sich um die erste Weltmeisterschaft, bei der alle Langpartien mit Remis endeten. Damit wurde auch ein neuer Rekord von zwölf ununterbrochenen Remispartien zu Beginn einer Weltmeisterschaft aufgestellt. Dieser lag zuvor bei acht Partien, gespielt bei der Weltmeisterschaft 1995 zwischen Kasparow und Anand.[21] Die absolut längste Remisserie bei einer Weltmeisterschaft – 17 Remis in Folge von der 10. bis zur 26. Partie der Schachweltmeisterschaft 1984 zwischen Karpow und Kasparow – konnte modusbedingt in den regulären Partien nicht überboten werden.
Zusammen mit den letzten zwei Remispartien bei der Schachweltmeisterschaft 2016 und den fünf Remispartien zu Beginn der Schachweltmeisterschaft 2021 ergab sich aber WM-übergreifend eine Rekordserie von 19 Remis in Folge in regulären WM-Partien.
Durch den Anzugsvorteil erreicht Weiß im Schnitt etwa 55 % der möglichen Punkte. In Weltmeisterschaften spielt dies meist eine besonders große wettkampftechnische Rolle: Beide Spieler streben danach, mit Weiß auf Sieg zu spielen und mit Schwarz Ausgleich zu erlangen. Oft schlägt sich dies deutlich in den Ergebnissen nieder. Beispielsweise lautete die Siegbilanz in der Schachweltmeisterschaft 1990 zwischen Kasparow und Karpow 7:0 für Weiß. In der Schachweltmeisterschaft 2000 schaffte Wladimir Kramnik vor allem durch die vorbereitete Berliner Mauer, mit Schwarz Verlustgefahr zu vermeiden, während ihm mit Weiß zwei Siege gelangen.
In der Schachweltmeisterschaft 2018 gelang es aber dem jeweils Anziehenden kaum jemals, den Anzugsvorteil zu einem Eröffnungsvorteil auszubauen oder gar ihn bis ins Mittelspiel zu halten. Meist erreichte Schwarz sehr schnell Ausgleich oder gar die Initiative, häufiger als Weiß spielte Schwarz ernsthaft auf Gewinn. Erklärungsansätze bestehen darin, dass durch die ebenbürtige Spielstärke und die geringe Partienzahl des Wettkampfes beide Spieler vor allem das Risiko eines Verlustes minimierten. Gerade durch den weißen Anzugsvorteil musste daher der Schwerpunkt der Eröffnungsvorbereitung, stärker als ohnehin schon sonst üblich, beim Repertoire von Schwarz liegen, während jenes von Weiß eher vernachlässigt wurde.[29]
Zur vierten Partie kam es zum sogenannten „Videogate“. Ein zweiminütiges Video, das angeblich Szenen aus einem Trainingscamp des Herausforderers Fabiano Caruana samt Eröffnungsvorbereitungen zeigte, wurde im YouTube-Kanal des Chess Club and Scholastic Center of Saint Louis hochgeladen, später aber wieder entfernt. Ob das Video echt oder ein Hoax war, wurde nicht offiziell geklärt.[30] Allerdings spielte Caruana in der neunten Partie tatsächlich eine im Video zu sehende (wiewohl auch ansonsten moderne) Variante der Russischen Verteidigung mit 8. … Sd7 und 9. … Sf6. Carlsen vermochte keinen Vorteil daraus zu ziehen.[31]
In den Medienkommentaren zum Ausgang der Weltmeisterschaft war das beherrschende Thema der durchgängige Remisausgang aller Partien im klassischen Schach. Darüber hinaus wurde die Bedeutung des finalen Tie-Breaks für die beiden Kontrahenten reflektiert.
Die Süddeutsche Zeitung kommentierte dazu, dass alle zwölf regulären Schachpartien mit Remis endeten: „Carlsen ist also der erste Weltmeister der Geschichte, der zum Titelgewinn kein reguläres Schachspiel gewinnen musste. Caruana ist somit auch der erste Herausforderer, der nicht Weltmeister wird, obwohl er über die ‚volle Distanz‘ keine Niederlage kassierte.“[32]
In der Zeit hieß es vor dem Tie-Break: „Das zwölfte Remis! Und nun enthüllt sich der Schachwelt etwas, das niemand für möglich gehalten hätte: Der Weltmeister hatte dem Herausforderer in sehr viel besserer Stellung ohne Not Remis angeboten. […] Die Schlussstellung dieser unverrichteter Dinge abgebrochenen Partie entfaltet die zerstörerische Energie eines nicht eingelösten Versprechens. Seit Magnus Carlsen vor fünf Jahren in Chennai den Inder Viswanathan Anand entthronte und die Schachkrone errang, umgibt ihn der Nimbus des Kraftmenschen und Vollstreckers. Ein Carlsen schiebt kein Remis. Der fängt in remisverdächtigen Stellungen erst an zu spielen. Der findet Mittel und Wege, um aus dem Nichts einen Vorteil entstehen zu lassen. Der presst Steine aus, wenn er auf einen Tropfen hofft.“ Carlsen brauche, unabhängig vom Ausgang des Tie-Breaks, nun ein neues Narrativ: „Eine Zukunft als Remisweltmeister kann es ja nicht sein.“[33]
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bescheinigt den Langpartien gleichwohl hohe Qualität und zitiert Carlsen: „Dass alle remis endeten, lag daran, dass wir uns beide sehr gut verteidigt haben, nicht daran, dass wir zu wenig versucht hätten – mit Ausnahme der zwölften Partie“. Damit kam Carlsen selbst auf die einzige nicht ausgekämpfte Stellung zu sprechen. Er habe trotz vorteilhafter Stellung Remis angeboten, weil er sich vorher entschieden habe, ins Stechen zu gehen – getroffene Entscheidungen müsse man als Profi durchziehen. „Ich war nie gut darin, auf andere zu hören.“[34]
Für die Neue Zürcher Zeitung ruft der Rekord von zwölf Remis und null Siegen nach einer Modusänderung der Schachweltmeisterschaft. „Gewiss, ein beachtlicher Teil der Partien war hart umkämpft, und zwischen Eröffnungszug und Remis-Schluss spielten sich Dramen ab. […] Dass nun zum wiederholten Mal eine Lotterie notwendig war, um das Duell zu entscheiden, ist eine Knacknuss, für die die Schachwelt in den nächsten Jahren eine Lösung finden muss.“[35]
Für den Tagesspiegel hat die zweite Partie des Tie-Breaks als „eine Machtdemonstration“ Carlsens den Ausschlag gegeben. „Die Großmeister wiederholten die gleiche Variante aus der zwölften Partie mit klassischer Bedenkzeit. In sehr komplizierter Stellung ging Caruana mit einem Bauernvorstoß auf der c-Linie voll ins Risiko. Carlsen opferte eine Figur, um den Bauern aufzuhalten, baute aber im Zentrum gegen die weiße Dame und den in der Brettmitte verbliebenen König so große Drohungen auf, dass Caruana schon nach 28 Zügen aufgeben musste.“[36] Carlsen bleibe also, was er war. Doch stelle sich die Frage, was nun aus Caruana werde, dessen steiler Aufstieg einen Dämpfer bekommen habe. „Aus diesem Tief muss sich der stille Grübler wieder herausziehen. Wenn ihm das gelingt, könnte er noch stärker werden, als er ohnehin schon ist. Die Frage ist dann nur: Wird er stärker als Carlsen?“[37]