Tim Ingold FBA FRSE (eigentlich Timothy Ingold) (* 1. November 1948) ist ein britischer Anthropologe und emeritierter Professor für Sozialanthropologe an der Universität Aberdeen. In seinen frühen Arbeiten befasste er sich mit den Herdenkulturen der zirkumpolaren Völker, mit Themen wie Jagd, Opfer, Schamanismus und ganz allgemein mit der Mensch-Tier-Beziehung sowie mit Fragen der ökologischen Anpassung und sozialen Organisation. Später weitete er seine Forschungsinteressen stark aus und analysierte kritisch das Verhältnis von 'Natur' und 'Kultur' anhand von Praktiken wie dem menschlichen Werkzeuggebrauch, der Architektur, der Kunst oder dem Spaziergehen.[1]
Ingold, Sohn des Mykologen Terence Ingold und Bruder der Stadt- und Raumplanerin Patsy Healey,[2] studierte aus Enttäuschung über die Leistungen der modernen Naturwissenschaft, aber auch um die wachsende Kluft zwischen Natur- und Sozialwissenschaften zu überbrücken, Sozialanthropologie in Cambridge. Er lehrte 1973–74 zunächst an der Universität Helsinki und untersuchte die ökologische und ökonomische Anpassung der aus Petsamo umgesiedelten skoltsamischen Rentierzüchter in Sevettijärvi in Nordostfinnland und ihr Verhältnis zur Natur, die sie nicht als ein unbeseeltes „Äußeres“ begreifen. 1976 verfasste er seine PhD-Thesis zu diesem Thema. 1990 wurde er Professor in Manchester, 1999 in Aberdeen. Er ist Mitglied der Royal Society of Edinburgh und der British Academy. 2015 erhielt er die Ehrendoktorwürde (Dr. h. c.) der Leuphana Universität Lüneburg,[3] 2019 die Ehrendoktorwürde der Universität Lappland[4] und 2022 der Universität Grenoble.[5]
Ingold untersucht die Interaktion zwischen Mensch und Natur auf verschiedenen Ebenen und integriert philosophische, psychologische und biologische Aspekte in seiner Arbeit. Er ist ein Kritiker der Anwendung der neo-darwinistischen Evolutionstheorie und Verhaltensforschung in der Soziobiologie. Ebenso kritisiert er die zunehmende Kluft zwischen ökologisch-anthropologischen Analysen und Studien der materiellen Kultur, die sich auf die menschlichen Artefakte fokussieren, aber die Tier- und Pflanzenwelt oder den Einfluss des Klimas und der räumlichen Umgebung vernachlässigen. Sozialisation ist für ihn nicht primär ein kognitiver Vorgang der Übermittlung autorisierten Wissens, sondern prägt die Art und Weise, wie man sich auch körperlich den Dingen zuwendet.[6]
Zu seinen Theorien gehört die Annahme der Parallelität zwischen einem oder mehreren von den zirkumpolaren Völkern und vermutlich auch schon von altorientalischen Kulturen verehrten göttlichen Herren der (Wild-)Tiere einerseits und den Rolle der menschlichen Herdenbesitzer andererseits. Beide unterstehen einer obersten Gottheit; beide haben das Recht zu töten, müssen dafür aber Opfer erbringen. Im Lichte dieser Theorie Ingolds erscheint beispielsweise der biblische Noah als ein von Gott eingesetzter Herrscher über das Tierreich.[7]
Personendaten | |
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NAME | Ingold, Tim |
KURZBESCHREIBUNG | britischer Anthropologe |
GEBURTSDATUM | 1. November 1948 |