Tinzaparin

Strukturformel
Struktur von Tinzaparin
n = 1 bis 25, R = H oder SO3Na, R1 = H, SO3Na oder COCH3, R2 = H und R3 = COONa oder R2 = COONa und R3 = H[1]
Allgemeines
Name Tinzaparin
CAS-Nummer
Monomere/Teilstrukturen substituiertes Disaccharid
Qualitative Summenformel

unspezifisch

Molmassenabschätzung

6500 Dalton (Tinzaparin·Natrium, Durchschnitt)[2]

ATC-Code

B01AB10

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]
keine GHS-Piktogramme
H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze
Toxikologische Daten

550.000 IE/24h (= 7.930 IE/kg/24h) (LDLoMenschi.v.)[4]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Tinzaparin (Freiname für das arzneilich verwendete Natriumsalz: Tinzaparin-Natrium) ist ein Blutgerinnungshemmer und gehört zu der Gruppe der niedermolekularen Heparine. Es wird zur Vorbeugung und Behandlung von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien eingesetzt und durch eine subkutane Injektion verabreicht. Tinzaparin wird zudem zur Hämodialyse im extrakorporalen Kreislauf eingesetzt.

Tinzaparin-Natrium ist das Natriumsalz der Wirksubstanz, die durch enzymatische Depolymerisation (= Aufspaltung) von unfraktionierten Heparinketten mittels Heparinase gewonnen wird. Heparinase wird von dem Bakterium Flavobacterium heparinum gewonnen. Tinzaparin-Natrium wird vom dänischen Unternehmen LEO Pharma in Europa hergestellt und als Injektionslösung weltweit unter dem Handelsnamen innohep vermarktet. Tinzaparin-Natrium ist in Deutschland verschreibungspflichtig.[5]

Tinzaparin wirkt hemmend auf verschiedene Gerinnungsfaktoren in der Gerinnungskaskade. Dabei werden über Antithrombin der Gerinnungsfaktor X sowie der Gerinnungsfaktor II gehemmt. Zudem wird der Gewebefaktor über die Freisetzung von Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) gehemmt. Folglich wird weniger Thrombin hergestellt und dadurch wird die Produktion eines Fibrinnetzes gehemmt. Das Resultat ist eine herabgesetzte Blutgerinnung.

Die Wirkstärke von Tinzaparin wird anhand der Anti-Faktor-Xa-Bestimmung ermittelt und in Anti-Xa Internationalen Einheiten (IE) angegeben.

Die Gesamtwirkung eines niedermolekularen Heparins kann nicht direkt gemessen werden. Anti-Xa- und Anti-IIa-Messungen werden bei niedermolekularen Heparinen als primäre Surrogatbiomarker aushilfsweise verwendet. Eine Messung der Anti-Xa-Spiegel wird im klinischen Alltag zumeist nicht durchgeführt, da diese Messung nicht direkt mit der Wirkung im Körper korreliert.

Die durchschnittliche molare Masse liegt zwischen 5.500 und 7.500 Dalton (Medianwert = 6.500 Dalton).

Die Tabelle fasst die anhand von Anti-Xa-Messungen ermittelten pharmakokinetischen Eigenschaften von Tinzaparin zusammen (abgegeben sind jeweils Mittelwert und Standardabweichung):[1]

Pharmakokinetische Eigenschaften
Parameter (Einheit) Mehrfachdosierung (n=21) Einfachdosierung (n=14)
Tag 1
175 IE/kg
Tag 5
175 IE/kg
4.500 IE *
C max (IE/ml) 0,87 (0,15) 0,93 (0,15) 0,25 (0,05)
T max (h) 4,4 (0,7) 4,6 (1,0) 3,7 (0,9)
AUC 0-∞ (IE h/ml) 9,0 (1,1) 9,7 (1,4) 2,0 (0,5)
T 1/2 (h) 3,3 (0,8) 3,5 (0,6) 3,4 (1,7)
* entsprechend durchschnittlich 64,3 IE/kg

Klinische Anwendung

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In allen Anwendungsgebieten wird Tinzaparin nur 1 × täglich subkutan appliziert. Dies gilt insbesondere auch für die Anwendung im therapeutischen Bereich.

Tinzaparin kumuliert nicht bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und führt – im Vergleich zur aPTT adjustierten unfraktionierten Heparin-Verabreichung – nicht zu einer erhöhten Blutungsneigung. Eine Dosisanpassung ist bei diesen Patienten deshalb nicht notwendig. Dadurch wird einem möglichen Wirksamkeitsverlust von Tinzaparin vorgebeugt. Allerdings wird der Einsatz von Tinzaparin bei einer fortgeschrittenen Einschränkung der Nierenfunktion nicht empfohlen (siehe unten (Kontraindikationen)).

Anwendungsgebiete

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Tinzaparin-Natrium ist in Deutschland dosisabhängig für mehrere Anwendungsgebiete bei Erwachsenen zugelassen:

  • Alle Stärken kommen zur Gerinnungshemmung im extrakorporalen Kreislauf während der Hämodialyse und Hämofiltration bei Erwachsenen zur Anwendung.
  • 3.500 Anti-Xa I.E./Tag sind zur Vorbeugung (Prophylaxe) vor venösen Thromboembolien mit mittlerem thromboembolischen Risiko (d. h. chirurgische und nicht-chirurgische Patienten, die wegen einer akuten internistischen Erkrankung immobilisiert sind) zugelassen.[6][7]
  • 4.500 Anti-Xa I.E./Tag dienen der Prophylaxe venöser Thromboembolien bei Patienten mit höherem Risiko. Dazu zählen chirurgische Patienten, die sich einer Operation unterziehen, insbesondere einer orthopädischen, allgemeinchirurgischen oder onkologischen Operation. Ferner gehören dazu nicht-chirurgische Patienten, die wegen einer akuten internistischen Erkrankung immobilisiert sind, also etwa durch akutes Herzversagen, akutes Atemversagen, eine schwere Infektion, aktive Tumorerkrankung oder der Verschlechterung rheumatischer Erkrankungen.[7][8]
  • 8.000 Anti-Xa I.E bis 18.000 Anti-Xa I.E./Tag sind für die Behandlung von Venenthrombosen und thromboembolischen Erkrankungen vorgesehen, etwa bei der Behandlung von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien sowie bei der Langzeitbehandlung venöser Thromboembolien und der Rezidivprophylaxe bei Patienten mit aktiver Tumorerkrankung. Bei bestimmten Patienten mit Lungenembolien (z. B. Patienten mit schwerer hämodynamischer Instabilität) kann eine alternative Behandlung wie z. B. eine Operation oder Thrombolyse angezeigt sein.[9][10]

Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkungen

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Tinzaparin darf, wie andere niedermolekulare Heparine auch, nicht angewendet werden bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff, bei Gerinnungsstörungen wie etwa dem Vorliegen einer verringerten Anzahl von Blutplättchen (Thrombozytopenie) oder einem Mangel an Gerinnungsfaktoren, bei Blutungsneigung etwa durch Geschwüre oder andere Organveränderungen und durch Verletzungen, sowie bei septischer Endokarditis.[6][7][8][9][10]

Therapeutische Dosen (175 I.E./kg) sind kontraindiziert bei Patienten, die eine Rückenmarks-Anästhesie erhalten. Das Medikament ist spätestens 24 Stunden vor solch einem geplanten Eingriff abzusetzen und die Verabreichung frühestens 4–6 Stunden nach der Anästhesie bzw. Entfernen des Katheters fortzusetzen. Zudem ist auf eine entsprechende Pausierung vor der Durchführung einer Lumbalpunktion zu achten.[11][12]

Die Anwendung von Tinzaparin bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min) wird nicht empfohlen, da für diese Patientengruppe keine Studien vorliegen. Die vorhandene Datenlage zeigt, dass bei einer Kreatinin-Clearance von 20 ml/min oder höher keine Akkumulation des Wirkstoffs stattfindet. Bei Bedarf kann bei diesen Patienten die Behandlung mit Tinzaparin mit Vorsicht unter Anti-Xa-Überwachung erfolgen. Auch wenn die Anti-Xa-Überwachung, die mittels Chromogen-Assay erfolgt, zur Vorhersage eines Blutungsrisikos nur bedingt geeignet ist, ist sie dennoch am besten brauchbar zur Messung der pharmakodynamischen Wirkung. Falls erforderlich, ist die Dosis auf Basis der Anti-Faktor-Xa-Aktivität anzupassen.[6][7][8][9][10]

Die klinische Entwicklung von Tinzaparin führte 1994 zur Zulassung im Prophylaxebereich nach chirurgischen Eingriffen. 1997 wurde Tinzaparin in Deutschland, als der erste Vertreter niedermolekularer Heparine, zur Initialtherapie der tiefen Beinvenenthrombose, und 1999 zur Akuttherapie der Lungenembolie bei hämodynamisch stabilen Patienten (bis Beginn Stadium III) zugelassen.

Die weitere klinische Entwicklung konzentrierte sich auf Patienten mit besonderen Risikokonstellationen wie z. B. Krebspatienten. Tinzaparin wurde im September 2016 für die Anwendung bei Krebspatienten mit aktiver Tumorerkrankung und in der verlängerten Sekundärprophylaxe akuter Beinvenenthrombose bzw. Lungenembolie (3–6 Monate und darüber hinaus) zugelassen.

Einzelnachweise

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  1. a b Tinzaparin Full Prescribing Information USA.
  2. European Pharmacopoeia, 6th Edition, 2008.
  3. Datenblatt Heparin sodium salt from porcine intestinal mucosa bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 30. Juli 2017 (PDF).
  4. H. A. Spiller: Heparin and Low-Melecular-Weight Heparins. In R. C. Dart: Medical toxicology. 3. Auflage. Lippincott Williams & Wilkins, 2004, ISBN 0-7817-2845-2, S. 618ff.
  5. Anlage 1 AMVV - Einzelnorm. In: gesetze-im-internet.de. Abgerufen am 25. April 2024.
  6. a b c Fachinformation innohep® 3.500 u. innohep® multi Stand 12/2019
  7. a b c d Fachinformation innohep® multi 10.000 Anti-Xa I.E./ml Stand 12/2019
  8. a b c Fachinformation innohep® 4.500 u. innohep® multi Stand 12/2019
  9. a b c Fachinformation innohep® 8.000/10.000/12.000/14.000/16.000/18.000 Anti-Xa I.E./ 0,4/0,5/0,6/0,7/0,8/0,9 ml Inj.lsg. FS Stand 12/2019
  10. a b c Fachinformation innohep® 20.000 Anti-Xa I.E./ml Durchstechflaschen Inj.lsg. Stand 12/2019
  11. WELCHES HEPARIN ZUR VORBEUGUNG UND BEHANDLUNG TIEFER VENENTHROMBOSEN? - arznei telegramm. Abgerufen am 25. April 2024.
  12. RÜCKENMARKSNAHE BLUTUNGEN UNTER NIEDERMOLEKULAREN HEPARINEN - arznei telegramm. Abgerufen am 25. April 2024.