Urs Widmer wurde als Sohn des Übersetzers, Literaturkritikers und Gymnasiallehrers Walter Widmer in Basel geboren. Aufgrund der Tätigkeit seines Vaters kam Widmer schon als Kind in Kontakt mit der Literatur und dem Literaturbetrieb. So war der deutsche Autor und Nobelpreisträger Heinrich Böll häufiger Gast im Hause Widmer. Widmers Deutschlehrer am Realgymnasium Basel war der Autor Rudolf Graber. Sein Vater starb jedoch schon 1965. Widmer studierte Germanistik, Romanistik und Geschichte an den Universitäten von Basel, Montpellier und Paris. 1966 wurde er in Basel bei Heinz Rupp mit der Arbeit 1945 oder Die «neue Sprache». Studien zur Prosa der «jungen Generation»promoviert.
Urs Widmer verstarb am 2. April 2014 nach schwerer Krankheit und wurde auf dem Friedhof Enzenbühl in Zürich begraben. Bis zu seinem Tod lebte er überwiegend in Zürich. Er war mit der PsychoanalytikerinMay Perrenoud verheiratet und Vater einer Tochter.[4]
Urs Widmers umfangreiches Werk umfasst Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke und Hörspiele. Er galt als einer der vielseitigsten Schweizer Autoren der Gegenwart. Die Stärke seiner Werke liegt im fantasievollen, ironischen Ausspinnen trivialer Handlungsschemata der klassischen Abenteuer- und Reisegeschichte bis hin zur Parodie und zum Surrealen. Widmer wollte «Fiktion» schreiben, dabei aber auch «möglichst viel gesellschaftliche Wirklichkeit spürbar werden lassen».[5] Mit seinem Werk gelang ihm nicht selten ein Brückenschlag zwischen U und E, zwischen avantgardistischem Gestus und Büchern mit Bestsellerpotenzial. Die Jury des Friedrich-Hölderlin-Preises 2007 bemerkte, eine Stärke von Widmers Texten sei «der Wechsel der Töne […]: Ironie und Satire stehen neben surrealer und realistischer Präzision».
Ab 2000 wiesen viele von Widmers Werken autobiografische Bezüge auf. Zu seinen grössten Publikumserfolgen zählt seine (pseudo-)autobiografische Trilogie über seine Mutter (Der Geliebte der Mutter, 2000), seinen Vater (Das Buch des Vaters, 2004) und sich selbst (Ein Leben als Zwerg, 2006). Darin werde deutlich, wie das doppelbödige Spiel seiner Eltern – eine burleske Fassade vor einem ernsten Hintergrund – auch seinen späteren Schreibstil beeinflusst habe. Läse man den Roman Der Geliebte der Mutter als autobiografischen Text, so würde der Autor darin damit kokettieren, der Sohn des einflussreichen Schweizer Unternehmers und Dirigenten Paul Sacher zu sein. Die Ambiguität des Textes zwingt nicht zu einer solchen Lesart, hält sie aber offen.
Sein erfolgreichstes Theaterstück Top Dogs, eine Sozialsatire, präsentierte Widmer mit dem Regisseur Volker Hesse beim Berliner Theatertreffen 1997. Aus entlassenen Führungskräften, den sogenannten «Top Dogs», werden dort «Underdogs». In einem Outplacement-Center erleben sie das Grauen und das Groteske, das sie anderen durch ihre Entlassung zugefügt haben, an sich selbst.
Ausserdem war Widmer wie schon sein Vater als Übersetzer tätig. So übersetzte er eine Vielzahl an Werken französischer und englischsprachiger Autoren.
1945 oder die «Neue Sprache». Studien zur Prosa der «Jungen Generation». Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1966 (= Dissertation, Basel 1965)
In uns und um uns und um uns herum. In: Renate Matthaei (Hrsg.): Trivialmythen. März, Frankfurt 1970, S. 11–19 (Wiederauflagen, z. B. Area-Verlag, Erftstadt 2004, ISBN 3-89996-029-7, S. 31–39).
Das Normale und die Sehnsucht. Essays und Geschichten. Diogenes, Zürich 1972.
Die sechste Puppe im Bauch der fünften Puppe im Bauch der vierten und andere Überlegungen zur Literatur (= Grazer Poetikvorlesungen). Droschl, Graz 1991.
Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück. Diogenes, Zürich 2002.
Vom Leben, vom Tod und vom Übrigen auch dies und das. Frankfurter Poetikvorlesungen. Diogenes, Zürich 2007.
Beim Wiederlesen von «Alois». In: Renatus Deckert (Hrsg.): Das erste Buch. Schriftsteller über ihr literarisches Debüt. Suhrkamp, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-518-45864-8, S. 125–128.
Der Traum vom herrschaftsfreien Arbeiten. 1968 – vom Suhrkamp Verlag zum Verlag der Autoren. In: Neue Zürcher Zeitung. 11./12. Juni 2011, Nr. 135, S. 21 f.
Die lange Nacht der Detektive. Kriminalstück in drei Akten. Mit einem Vorwort des Verfassers. Diogenes, Zürich 1973, ISBN 3-257-20117-6. Aufführungsrechte: Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1973. UA: Dezember 1973 Basel.
Nepal. Stück in der Basler Umgangssprache. Frankfurt am Main 1976.
Winfried Stephan, Daniel Keel (Hrsg.): Das Schreiben ist das Ziel, nicht das Buch. Urs Widmer zum 70. Geburtstag. Diogenes Verlag, Zürich 2008, ISBN 978-3-257-06674-6.
Christophe Bourquin: Schreiben über Reisen. Kap. 1.2: Zur ars itineraria bei Urs Widmer. Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 3-8260-3475-9, S. 10–15, Anm. 8 (sehr detaillierte Liste neuer Veröffentlichungen, bei Google Books lesbar).