Strukturformel | |||||||||||||
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1:1-Gemisch aus der (R)-Form (links) und der (S)-Form (rechts) | |||||||||||||
Allgemeines | |||||||||||||
Name | VX | ||||||||||||
Andere Namen |
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Summenformel | C11H26NO2PS | ||||||||||||
Kurzbeschreibung |
farb- und geruchlose, ölige Flüssigkeit[1] | ||||||||||||
Externe Identifikatoren/Datenbanken | |||||||||||||
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Eigenschaften | |||||||||||||
Molare Masse | 267,37 g·mol−1 | ||||||||||||
Aggregatzustand |
flüssig | ||||||||||||
Dichte |
1,01 g·cm−3[2] | ||||||||||||
Schmelzpunkt | |||||||||||||
Siedepunkt |
298 °C[2] (Zersetzung) | ||||||||||||
Dampfdruck | |||||||||||||
Löslichkeit | |||||||||||||
Sicherheitshinweise | |||||||||||||
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Toxikologische Daten | |||||||||||||
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). |
VX ist ein chemischer Kampfstoff und zählt dort innerhalb der Nervengifte zur V-Reihe (V für viscous, viskos). Weitere Bezeichnungen für den Stoff sind TX 60, EA 1701 (Edgewood Arsenal Code) oder systematisch O-Ethyl-S-2-diisopropylaminoethylmethylphosphonothiolat (IUPAC). VX dringt über die Haut, die Augen und die Atemwege in den Körper ein und verursacht zunächst Husten und Übelkeit. Dann lähmt es die Atemmuskulatur und führt innerhalb weniger Minuten unter starken Krämpfen und Schmerzen zum Tod.
Zur Synthese von VX wird O-Ethyl-O-2-diisopropylaminoethylmethyl-phosphonit[8] mit Schwefel umgesetzt. VX ist somit ein binärer Kampfstoff, der leicht aus den beiden Vorläufersubstanzen erzeugt werden kann (z. B. in einer Kampfstoffgranate durch einfaches Vermischen der Komponenten beim Abschuss).[9]
VX besitzt ein Stereozentrum am Phosphoratom, es gibt also zwei Enantiomere in (R)- und (S)-Konfiguration. Übliche Herstellungsverfahren liefern racemisches VX, also ein 1:1-Gemisch aus (R)-O-Ethyl-S-2-diisopropylamino-ethylmethylphosphonothiolat und (S)-O-Ethyl-S-2-diisopropylamino-ethylmethylphosphonothiolat.
Die Toxizität der Isomere unterscheidet sich in Abhängigkeit von der Stereochemie am P-Atom. Für die intravenöse Applikation wurden bei Mäusen folgende LD50-Werte bestimmt:[10]
Das giftigere Isomer ist (S)-VX [(−)-VX], das etwa 1,6-mal toxischer als racemisches (±)-VX ist.
VX ist in reiner Form eine farb- und geruchlose, durch Verunreinigungen oft leicht gelbliche, ölige Flüssigkeit.[1] Je nach Herstellungsverfahren und Reinheit kann VX einen schwachen Geruch nach fauligem Fisch und Mercaptan aufweisen.[11]
Während sich Nervenkampfstoffe der G-Reihe (G für Germany) wie Tabun (GA) oder Sarin (GB) binnen Stunden bis Tagen verflüchtigen, hat VX eine weitaus größere Persistenz. Die Volatilität von VX ist verglichen mit Sarin etwa 2000-mal geringer.[11] VX kann unter geeigneten Bedingungen Wochen am Einsatzort verbleiben und ist zudem wesentlich giftiger als die Kampfstoffe der G-Reihe.
Von den großtechnisch produzierten chemischen Kampfstoffen ist VX der mit der höchsten Toxizität. Lediglich einige Toxine sind deutlich giftiger; diese zählen jedoch als ABO (Agents of Biological Origin) definitionsgemäß nicht zu den C-, sondern den B-Kampfstoffen, auch wenn sie in der Chemiewaffenkonvention reguliert werden.
Im sauren pH-Bereich wird unter Abspaltung von Diisopropylaminoethanthiol der toxikologisch vergleichsweise unbedenkliche Methanphosphonsäuremonoethylester gebildet. Die basische Hydrolyse im pH-Bereich von pH 7–10 führt dagegen unter Abspaltung des Ethoxy-Restes zum Methanphosphonsäure-diisopropylaminoethanthiolester (EA 2192), bzw. dessen Salz.[12]
EA 2192 und dessen Salze sind ebenfalls äußerst giftig und wirken wie VX als Cholinesterase-Hemmer. Die Toxizität von EA 2192 ist nur etwa 2–3 fach geringer als die Toxizität von VX. EA 2192 wird im Gegensatz zu VX aber praktisch kaum über die Haut aufgenommen. EA 2192 und dessen Salze sind Feststoffe und gaschromatographisch nicht ohne weiteres detektierbar.
Die Aufnahme von VX findet überwiegend über die Haut statt, da VX wegen seines äußerst geringen Dampfdruckes als sesshafter Kampfstoff gilt; nur im Falle der Ausbringung als Aerosol besteht eine relevante Gefährdung durch Aufnahme über die Atemwege. Die Kontamination kann nur durch einen adäquaten Individualschutz verhindert werden. Einmal in den Körper aufgenommen, blockiert VX die Acetylcholinesterase in den Synapsen des parasympathischen vegetativen Nervensystems, den acetylcholinvermittelten Synapsen des sympathischen Anteils des vegetativen Nervensystems (Sympathikus) und an der neuromuskulären Endplatte (motorische Endplatte). Es kommt dadurch zu einem Anstieg des Neurotransmitters Acetylcholin (ACh) in der Synapse und damit zu einer Dauerreizung der betroffenen Nerven.
In der Folge treten, abhängig von der Höhe der Vergiftung, die folgenden Symptome auf: Nasenlaufen, Sehstörungen, Pupillenverengung, Augenschmerzen, Atemnot, Speichelfluss, Muskelzucken und Krämpfe, Schweißausbrüche, Erbrechen, unkontrollierbarer Stuhlabgang, Bewusstlosigkeit, zentrale und periphere Atemlähmung und letztlich der Tod. Die Wirkung am Auge tritt bereits bei geringeren Konzentrationen ein als die Wirkung im Atemtrakt. Daher treten Akkommodationsstörungen und eine Miosis bereits bei Konzentrationen und Expositionszeiten auf, bei denen andere Vergiftungszeichen noch nicht zu beobachten sind.
Schon bei einer AChE-Hemmung von weniger als 50 % treten erste Vergiftungssymptome auf, bei einer Hemmung von 90 % sind die Vergiftungssymptome lebensbedrohlich und können innerhalb weniger Minuten zum Tod führen.[13]
Der LD50-Wert für einen durchschnittlichen Erwachsenen liegt bei etwa 1 mg bei respiratorischer Aufnahme (über die Atemwege), beziehungsweise 10 mg bei Aufnahme über die Haut. Es sind jedoch auch Todesfälle bei Aufnahme deutlich geringerer Dosen (4 μg/kg oral[14] und 86 μg/kg dermal[15]) beschrieben.
Die Wirkung ähnelt der anderer phosphororganischer Verbindungen wie Tabun, Soman und Sarin, aber auch verschiedener Insektizide wie Parathion (E605). Andere Pestizide beruhen auf dem gleichen Wirkprinzip, wirken aber auf Insekten um Größenordnungen stärker als auf Menschen. Beispiele hierfür sind Malathion, Disulfoton und ähnliche Substanzen.
Ab 1959 wurden durch das US-Militär zahlreiche Menschenversuche mit racemischem (±)-VX durchgeführt, bei denen die Toxizität und die Wirkung bei verschiedenen Applikationsarten (intravenös, oral, perkutan, inhalativ) untersucht wurden.
Intravenöse Applikation:[16] Den Versuchen zufolge treten erste physiologische Effekte wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Schweißausbrüche und Bauchkrämpfe im Dosisbereich von 0,06–0,1 µg/kg (das sind bei einem 80–90 kg schwerem Mann etwa 5–8,5 µg) auf. 1,3–1,5 µg/kg (105–135 µg) führen zu Schwindel, Zittern, Benommenheit, starker Übelkeit, Erbrechen und abdominalen Krämpfen. Die Aktivität der Cholinesterase fällt in diesem Dosisbereich innerhalb von 15 Minuten auf 45–17 % ab. Eine Regenerierung der Cholinesterase erfolgt die ersten ein bis zwei Tage mit einer Rate von etwa 1 % pro Stunde. Mengen im Bereich von etwa 150–210 µg führen zu einer Cholinesterasehemmung von etwa 85 % und zur weitgehenden Handlungsunfähigkeit mit teilweisem Verlust des Kontaktes zur Umwelt.
Percutane Applikation:[16] Percutan führen 5–35 µg/kg (etwa 0,4–3 mg) zu Schwitzen, Müdigkeit, Schwäche, Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Bei Aufnahme über die Haut treten erste Symptome stark verzögert je nach Ort der Applikation im Zeitraum von 5 bis 10 Stunden nach Hautkontakt auf. Versuchen mit radioaktiv markiertem VX (32P) zufolge wird über die Handfläche weniger als 1 % resorbiert, über die Haut am Rücken etwa 8 % und 15 % über die Unterarme.
Orale Applikation:[16] Oral führen Mengen von 0,2–0,4 mg zu einer Hemmung der Cholinesterase um 50–80 %.
Atropin ist eine Möglichkeit, bei einer VX-Vergiftung die Wirkung an den muskarinischen Acetylcholinrezeptoren kompetitiv zu unterbrechen. Es muss ca. alle zehn Minuten in einer Dosis von 2–5 mg gegeben werden. Zusätzlich muss Obidoximchlorid gegeben werden, um die Acetylcholinesterase zu reaktivieren. Die Oximtherapie ist jedoch bei VX nur kurze Zeit nach der Vergiftung erfolgreich, da nach der Bindung an die Cholinesterase durch Reaktion mit Wasser ein Alkoxyrest vom Organophosphat – also dem gebundenen VX – abgespalten wird, was als „Alterung“ bezeichnet wird.[17]
Die Phosphorylthiocholin-Klasse wurde unabhängig voneinander durch Ranaji Goshem von Imperial Chemical Industries Limited (USA) und von Lars-Erik Tammelin vom Schwedischen Institut für Verteidigungsforschung 1952 entdeckt.[18]
1955 wurde der erste „V“-Kampfstoff VG (Amiton) hergestellt. Später wurden noch weit giftigere Substanzen in dieser Gruppe entwickelt, wie VM, VE und VS.[19][20]
VX wurde bis zur Unterzeichnung der Chemiewaffenkonvention 1997, in der die Zerstörung aller Vorräte verlangt wird, auch von den Vereinigten Staaten produziert. Die Sowjetunion verfügte über eine chemisch sehr nahe verwandte Substanz (VR – oder auch „russisches VX“).
Es ist umstritten, ob Saddam Hussein 1988 beim Giftgasangriff auf Halabdscha im Nordirak VX gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt hat. Bei dem Angriff starben etwa 5000 Menschen, meist Kinder, Frauen und alte Männer, qualvoll. Viele tausend weitere starben danach oder erlitten dauerhafte Gesundheitsschäden.[21]
Am 13. Februar 2017 wurde Kim Jong-nam, der Halbbruder des nordkoreanischen Staatschefs Kim Jong-un und Sohn von Kim Jong-il, bei einem Attentat auf dem Flughafen von Kuala Lumpur mutmaßlich mit VX ermordet.[22] Laut Autopsiebericht wurden Rückstände dieses Nervenkampfstoffs bei ihm nachgewiesen, die binnen weniger Minuten zum Tode führten.[23] Auf dem T-Shirt einer der beiden Angeklagten wurden später von einem Gutachter ebenfalls Spuren von VX nachgewiesen.[24]
Der sichere Nachweis von VX kann in unterschiedlichen Untersuchungsmaterialien wie Blutproben,[25][26][27] Urin,[28] Bodenproben[29] oder Trinkwasser[30] nach angemessener Probenvorbereitung durch HPLC auch in Kopplung mit Massenspektrometrie erfolgen.[31]
Phosphororganische Cholinesterase-Hemmer (Phosphor- und Phosphonsäure-Derivate) bilden mit zahlreichen Proteinen kovalente Phosphyl Addukte (Phosphoryl- oder Phosphonyl-Addukte) über reaktive nukleophile Gruppen wie OH-Gruppen in den Seitenketten der Aminosäuren Serin (bei AChE und BChE) und Tyrosin (bei Albumin), sowie ferner NH2-Gruppen bei der Aminosäure Lysin (bei Ubiquitin, Albumin, Kreatin, Thubulin, Actin und Transferin). Diese Phosphyl-Addukte können als Biomarker zur Identifizierung der Cholinesterase-Hemmer herangezogen werden. Insbesondere betreffen dies Addukte mit BChE- und Albumin, für deren Nachweis mittlerweile gut optimierte Methoden existieren.[32][33][34][35][36][37][38]
P-Ester können in Abhängigkeit der Stereochemie am Phosphor-Atom und der Struktur des Alkoxy-Restes (bei G-Stoffen) bzw. Dialkylaminoethanthiolat-Restes (bei V-Stoffen) unterschiedlich schnell mit den Cholinesterasen reagieren. Wegen der kleineren Acyl-Bindungstasche bei der Acetylcholinesterase ist die Stereoselektivität bei der Acetylcholinesterase ausgeprägter als bei der Butyrylcholinesterase. Auch die Alterung der Cholinesterase-Addukte ist abhängig von der Stereochemie am Phosphor-Atom. Außerdem kann das Vorhandensein beider Enantiomere die Stereoselektivität der Cholinesterasen verändern. Bei Einwirkung von racemischem (±)-VX reagiert vorrangig das VXR-(+)-Isomer mit der Butyrylcholinesterase, das BChE-VXR-(+)-Addukt altert langsam mit t1/2 = 77 h. Bei Einwirkung der reinen Enantiomere ist die Stereoselektivität dagegen für das VXS-(−)-Isomer etwas höher, das BChE-VXS-(−)-Addukt altert mit t1/2 = 50 h, während das BChE-VXR-(+)-Addukt keine Alterung zeigt.[39]
Butyrylcholinesterase-Phosphyl-Biomarker wurden zur Identifizierung von Nervenkampfstoffen bisher am intensivsten untersucht und zahlreiche optimierte Methoden in der wissenschaftlichen Literatur publiziert. Die Butyrylcholinesterase kommt im Vergleich zur Acetylcholinesterase im Blut in deutlich höheren Konzentrationen vor und ist leichter zu isolieren. Die Konzentration der BChE liegt bei ca. 3–5 mg/L Plasma oder Serum. Die Halbwertszeit der BChE (bzw. BChE-Phosphyl-Addukte) liegt bei 6–10 d, so dass eine Identifizierung der BChE-Phosphyl-Biomarker mindestens 16 Tage nach einer Intoxikation noch möglich ist. Trotz der (im Vergleich zu Albumin) sehr geringen Konzentration im Blut werden BChE-Biomarker häufiger verwendet, da die BChE mit Nervenkampfstoffen etwa 500 Mal schneller reagiert als Albumin. Dadurch ist die Identifizierung von Cholinesterase-Hemmern auch nach Einwirkung sehr geringer Mengen möglich. Problematisch ist eine vorherige Oximtherapie bei Vergiftungsopfern, weil durch diese Behandlung der Phosphyl-Rest wieder vom Enzym verdrängt wird (bei Albumin ist das nicht der Fall). Ein signifikanter Nachteil gegenüber den Albumin-Biomarkern ist außerdem die sogenannte Alterung des gebundenen Phosphyl-Restes, bei der es (auch enzymkatalysiert) zu einer Abspaltung des RO-Restes und damit zum Verlust struktureller Information kommt. Nach Alterung ist eine Identifizierung des ursprünglichen Cholinesterase-Hemmers [bis auf eine Eingrenzung der Substanzklasse (beispielsweise Methanphosphonsäure-Derivate; der Methanphosphonyl-Rest ist typisch für Nervenkampfstoffe)] nicht mehr möglich. Zur Identifizierung der Cholinesterase-Hemmer wird die BChE zunächst aus Plasma/Serum isoliert. Dafür existieren mittlerweile diverse gut optimierte Methoden. Nach Isolierung der BChE wird diese mit Pepsin proteolytisch gespalten, wodurch kleinere Peptid-Fragmente entstehen. In der BChE binden die Cholinesterase-Hemmer am Serin-198 (aktives Zentrum des Enzyms). Nach Proteolyse mit Pepsin ist das phosphylierte Serin immer in dem gebildeten Nonapeptid FGES198[Phosphyl]AGAAS vorhanden. Man erhält exemplarisch auf diese Weise folgende Nonapeptide:
Nach Alterung (Abspaltung des Alkoxy-Restes) liegt in allen Fällen das Nonapeptid FGES198[MeP(O)(OH)-]AGAAS vor. Die Alterung erfolgt beim Soman innerhalb von 1-2 min, bei Sarin, Cyclosarin und vor allem VX auch deutlich langsamer im Zeitraum von mehreren Stunden bis Tagen. Das jeweilige phosphylierte Nonapeptid wird über LC/MS/MS-Kopplung bestimmt. Mit gut optimierten Methoden ist eine Extraktion und Spaltung der BChE im Zeitraum von ca. 40 min möglich. Mit dem oben beschrieben Verfahren kann nur die Struktur des Phosphyl-Restes, nicht aber die der Abgangsgruppe (Cyanid bei Tabun und Analoga, Fluorid bei Sarin, Soman, Cyclosarin und Analoga, bzw. Dialkylaminoalkylthiolat bei V-Stoffen) ermittelt werden, so dass eine zweifelsfreie Identifizierung des ursprünglichen Nervenkampfstoffs nicht gegeben ist. Werden allerdings ein O-Isopropyl-methanphosphonyl-, O-Pinacolyl-methanphosphonyl- oder O-Cyclohexyl-methanphosphonyl-Rest identifiziert, kann mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit von einer Vergiftung durch Sarin, Soman oder Cyclosarin ausgegangen werden, da diese Alkoxy-Reste bei militärisch relevanten V-Stoffen eher untypisch sind. Ein O-Ethyl-methanphosphonyl-Rest deutet zwar eher auf eine Vergiftung mit V-Stoffen (insbesondere VX) hin, allerdings würde man das gleiche Fragment auch bei einer Vergiftung durch Ethylsarin (O-Ethyl-Sarin, Methanphosphonsäureethylesterfluorid) identifizieren. Werden an Stelle von Pepsin zur Proteolyse der BChE andere Enzyme verwendet, erhält man andere Peptidfragmente:[40]
Bei der hAChE binden die Nervenkampfstoffe am aktiven Zentrum Ser-203 (bei Torpedo californica TcAChE: Ser-200). Zur Identifizierung der Biomarker wird die AChE im ersten Schritt isoliert. Nach Isolierung der AChE ist die Verfahrensweise analog zur BChE. Nach Proteolyse mit Pepsin wird das gleiche Nonapeptid FGES203[Phosphyl]AGAAS erhalten. AChE-Biomarker eignen sich zur Identifizierung von Cholinesterase-Hemmern allerdings weniger, da die Konzentration der AChE mit etwa <0,01 mg/L Plasma und 0,5 mg/L in den Membranen der Erythrozyten deutlich geringer ist und die in den Erythrozyten enthaltene AChE deutlich schwieriger zu isolieren ist.
Auch Albumin-Addukte wurden als Biomarker zum Nachweis von Nervenkampfstoffen untersucht.[41][42]
Die Konzentration von Albumin im Blut liegt bei 40 g/L (HZ 20d). Die deutlich höhere Konzentration ist im Vergleich zur BChE ein Vorteil. Des Weiteren altern die an Albumin gebundenen Phosphyl-Reste nicht und werden auch durch eine Oxim-Antidot-Therapie nicht verdrängt. Nachteil ist allerdings die im Vergleich zur BChE etwa 500-mal geringere Reaktivität, womit eine Bestimmung bei einer Intoxikation mit sehr geringen Mengen eines Cholinesterase-Hemmers problematisch, bzw. unmöglich wird. Selbst bei lethalen Konzentrationen eines Cholinesterase-Hemmers, die 95 % der BChE im Plasma blockieren, wird weniger als 1 % des Albumins phosphyliert.[37] Die Phosphylierung von Albumin erfolgt an verschiedenen Tyrosin-Resten, wobei Tyrosin-411 am reaktivsten ist. Zur Identifizierung eines Cholinesterase-Hemmers wird das Albumin isoliert, proteolytisch gespalten und die gebildeten phosphylierten Fragmente durch LC/MS/MS analysiert. Durch Spaltung mit Pronase wird immer ein Phosphyl-Tyrosin-411 erhalten. Exemplarisch erhält man
Werden zur Proteolyse andere Enzyme verwendet, erhält man andere Peptid-Fragmente. Trypsin führt zur Bildung des phosphylierten Tripeptids Y[Phosphyl]TK. Spaltung mit Pepsin führt zum Hexadecapeptid LVRY[Phosphyl]TKKVPQVSTPTL. Bei der Identifizierung von Nervenkampfstoffen über Albumin-Phosphyl-Biomarker gilt das gleiche wie bei den BChE-Biomarkern: Es kann nur der Phosphyl-Rest, nicht aber die Abgangsgruppe des ursprünglichen Cholinesterase-Hemmers bestimmt werden.
Neben den Biomarkern für den Phosphyl-Rest von Nervenkampfstoffen wurden auch Biomarker für die Dialkylaminoalkylthiolat-Abgangsgruppe der V-Stoffe gefunden.[43]
Während die Fluorid-Abgangsgruppe bei Sarin, Cyclosarin, Soman und Strukturanaloga und auch die Cyanid-Abgangsgruppe bei Tabun und Analoga nicht identifiziert werden kann, bildet die Thiolat-Abgangsgruppe der V-Stoffe mit cysteinhaltigen Proteinen ebenfalls Addukte. Die Dialkylaminoethylthiolat-Seitenketten der V-Stoffe werden im Albumin über Disulfid-Brücken an Cystein-Resten (Cys-34, Cys-448 und Cys-514) gebunden. Nach Spaltung mit Pronase erhält man kleinere Peptide, welche über LC/MS/MS-Kopplung identifiziert werden. Bei VX sind das:
Erst durch Identifizierung der Phosphyl-Gruppe in Phosphyl-Biomarkern zusammen mit Biomarkern der Thiolat-Seitenkette von V-Stoffen ist der eindeutige Nachweis für einen V-Kampfstoff erbracht.