Wilhelm „Willi“ Graf (* 2. Januar 1918 in Kuchenheim, seit 1969 Stadtteil von Euskirchen; † 12. Oktober 1943 in München-Stadelheim) war ein deutscher Angehöriger der katholischen Jugendbewegung und Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose.
Willi Graf wurde am 2. Januar 1918 als drittes Kind der Eheleute Anna Graf (geborene Gölden, 1885–1953)[1] und Gerhard Graf (1885–1951)[2] geboren. Die Eltern waren beide bäuerlicher Herkunft, katholischen Glaubens und stammten aus dem Rheinland. Das erste Kind der Eheleute Graf war im Jahr 1914 geboren worden und starb im Jahr 1916. Willi Grafs Schwester Mathilde wurde im Jahr 1915 geboren, die jüngste Schwester Anneliese im Jahr 1921. Gerhard Graf leitete als Kaufmann in Kuchenheim zunächst eine Molkerei.
Die Familie zog im Jahr 1922 vom Rheinland nach Saarbrücken-St. Johann, wo der Vater Gerhard Graf den Johannishof der katholischen Kirchengemeinde St. Johann in der Mainzer Straße übernahm. Willi Graf besuchte in St. Johann nach der Volksschule das Ludwigsgymnasium in Alt-Saarbrücken. Er war Messdiener in der Pfarrkirche St. Johann und ministrierte in den Jahren 1935 bis 1936 u. a. dem damaligen Kaplan und späteren Kardinal Joseph Höffner.[3]
In seinem, im Jahr 1943 im Gefängnis für die Gestapo geschriebenen, Lebenslauf beschreibt Graf seine Kindheit mit folgenden Worten:[4]
„Mein Vater war korrekt und ehrlich in seinem Berufs- und Privatleben und hielt auch seine Kinder zu gleichem Benehmen an und griff mit Strenge durch, wenn ich mir irgendwie einen Fehler zuschulden kommen ließ. Das Verhältnis zu meiner Mutter war immer das allerherzlichste, denn sie umsorgte uns Kinder mit aller erdenklichen Liebe und versuchte immer wieder, uns eine Freude zu machen, etwa an Weihnachten oder am Namenstag und auch sonst zu irgendwelchen Anlässen. Wir Kinder vergalten diese Liebe mit kleinen Erweisen der Gegenliebe, wir halfen früh bei den Arbeiten im Haushalt und versuchten, dankbare Kinder zu sein. Früh wurde ich mit den Gebräuchen und dem Leben der katholischen Kirche vertraut gemacht und die einzelnen Jahreszeiten waren erfüllt vom Geiste religiöser Vorstellungen, und auch das tägliche Leben richtete sich nach den Gebräuchen der Kirche: Gebet, Kirchgang usw. Die ersten Lebensjahre verbrachte ich in der Obhut einer guten und liebevollen Familie.“
Schon bald trat Willi Graf in den katholischen Verband für Jungen höherer Schulen ein, den Bund Neudeutschland (ND). Dieser wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verboten. Im Jahr 1934 schloss er sich dem Grauen Orden an, einem gegen die Hitler-Diktatur stehenden, verbotenen katholischen Jugendbund, der sich auf Grund des Verbots vieler bündischer Jugendverbände gebildet hatte. Als nach der am 13. Januar 1935 erfolgten „Saarabstimmung“ die Wiedereingliederung des Saarlandes ins Deutsche Reich erfolgte, waren damit große Einschnitte in das politische, gesellschaftliche und private Leben der saarländischen Bevölkerung verbunden. Der von nun an geltenden Pflicht als Jugendlicher der Hitlerjugend beizutreten verweigerte sich Graf. Trotz ausgesprochener Drohungen, dass er damit vom Abitur ausgeschlossen würde oder dem Vorschlag, nur „zum Schein“ beizutreten, lehnte er konsequent ab und widerstand auch dem in diesem Zusammenhang auf ihn ausgeübten Druck.[5] Nach dem Abitur am Ludwigsgymnasium Saarbrücken im Jahr 1937 absolvierte Graf von April bis Oktober 1937 in Dillingen an der Saar den Reichsarbeitsdienst[6] und begann danach in Bonn ein Medizinstudium. Er dachte, dieses Fach sei „weniger mit Nazi-Gedanken befrachtet als die Fächer der Philosophischen Fakultät, die ihm eigentlich mehr lagen“.[7]
1938 wurde er mit anderen Mitgliedern des Grauen Ordens inhaftiert und wegen bündischer Umtriebe von einem Sondergericht in Mannheim angeklagt und zu einigen Wochen Haft verurteilt. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 wurde Graf zur Wehrmacht eingezogen. In den Jahren 1940 bis 1942 nahm er als Sanitäter an verschiedenen Kriegseinsätzen in Belgien und Frankreich, Jugoslawien und der Sowjetunion teil. Dabei wurde er mehrfach Zeuge von begangenen Gräueltaten und ihm wurde das Leid der in den einzelnen Ländern vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Zivilbevölkerung bewusst. In einem Brief nach Hause schrieb er dazu: „Ich wünschte, ich hätte das nicht sehen müssen, was sich in meiner Umgebung zugetragen hat.“[5] Nach Erinnerungen seiner Schwester Anneliese führte das bei ihm zu der Erkenntnis „Ich muss etwas tun!“[5]
Im April 1942 wurde seine Studentenkompanie nach München abkommandiert. Als Mediziner kam er an der dortigen Universität in Kontakt mit der Widerstandsgruppe Weiße Rose, der auch seine Kommilitonen Hans und Sophie Scholl angehörten. Graf, der zu dieser Zeit ein Zimmer in der Amalienstraße 95 im Stadtteil Maxvorstadt bewohnte,[8] wurde aktives Mitglied der Widerstandsgruppe. Die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose – von Hans Scholl und Alexander Schmorell verfasst – wurden im Juni/Juli 1942 mit dem Ziel verbreitet, die Bevölkerung wachzurütteln, um eventuell eine Befreiung vom NS-Regime „von innen“ her zu erreichen. Im Sommer musste diese Widerstandsarbeit dann unterbrochen werden, weil eine erneute Einberufung an die Ostfront erfolgt war. Nach ihrer Rückkehr im November 1942 nach München forcierten sie ihre Arbeit erheblich. Sie versuchten Kontakt zu anderen Widerstandsgruppen herzustellen, in weiteren Städten außerhalb Münchens aktiv zu werden und riefen die Bevölkerung direkter zum passiven Widerstand auf. Bereits das fünfte Flugblatt wurde im Januar 1943 in München und einigen anderen süddeutschen Städten verbreitet. Am 3. und 4. Februar schrieben Graf, Hans Scholl und Schmorell an mehrere Gebäuden in München die Parolen Nieder mit Hitler und Hitler der Massenmörder. Die gleiche Aktion wurde am 8. und 9. Februar wiederholt. Am 15. Februar 1943 vervielfältigten sie ihr sechstes Flugblatt, organisierten den Versand und brachten weitere Maueraufschriften in der Nacht an.
Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl beim Auslegen von Flugblättern an der Münchener Universität gefasst und inhaftiert. Wenige Stunden später wurde auch Graf zusammen mit seiner Schwester Anneliese in München festgenommen und inhaftiert. Er wurde am 19. April 1943 wegen Hochverrats, Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung vom Volksgerichtshof unter Vorsitz Roland Freislers zum Tode verurteilt. Anders als bei den Geschwistern Scholl und Christoph Probst wurde das Urteil jedoch nicht sofort vollstreckt, da die Gestapo noch monatelang erhoffte, in Verhören Namen von Mitverschwörern aus ihm herauszupressen. Willi Graf wurde am 12. Oktober 1943 im Gefängnis Stadelheim mit dem Fallbeil enthauptet[9] und auf dem Friedhof am Perlacher Forst bestattet. 1946 wurden seine sterblichen Überreste auf Wunsch seiner Familie exhumiert, nach Saarbrücken überführt und am 4. November auf dem Alten Friedhof St. Johann in einem Ehrengrab beigesetzt.[10][11]
Nach seinem Namen wurden mehrere Schulen in Deutschland benannt, u. a.
ferner
Am Münsteraner Geschwister-Scholl-Gymnasium wird jährlich der von Anneliese Knoop-Graf ins Leben gerufene Willi-Graf-Preis an besonders zuverlässige und engagierte Abiturienten verliehen.
Am Johannishof in Saarbrücken, dem Ort seiner Kindheit, wurde am 12. Oktober 1990 eine Gedenkplatte angebracht. In Saarbrücken St. Johann, dem Stadtteil, in dem die Familie Graf wohnte, sowie in Kuchenheim, Grafs Geburtsort, ist je eine Straße nach Willi Graf benannt. 2003 wurde ihm an seinem 60. Todestag postum die Ehrenbürgerwürde von Saarbrücken verliehen.[13] Eine durch Spenden finanzierte Büste von Willi Graf wurde 2004 im Treppenhaus des Rathauses von St. Johann eingeweiht.
2008 wurde nach ihm eine Straße im Bonner Ortsteil Vilich-Müldorf benannt.[14]
Die katholische Kirche hat Willi Graf im Jahr 1999 als Glaubenszeugen in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen.
Im Jahre 2010 wurde ein vielbeachteter Film mit dem Titel Willi Graf – Zivilcourage und Widerstand der Öffentlichkeit vorgestellt, der das Leben von Willi Graf nachzeichnet. Aus Anlass seines 100. Geburtstages im Jahr 2018 widmete die Landeshauptstadt Saarbrücken ihrem Ehrenbürger ein Gedenkjahr.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte sich seine Schwester, Anneliese Knoop-Graf, die bis zu seiner Verhaftung nichts von seiner Tätigkeit in der Weißen Rose wusste, intensiv mit seinem Leben, seinem Wirken und seinen Motiven und wertete dabei unter anderem seine Tagebücher aus. Für ihre lebenslange Beschäftigung mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus bekam Knoop-Graf am 26. April 2006 die Ehrendoktorwürde der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Karlsruhe verliehen.
Im Oktober 2018 wurde die im Jahr 1965 gegossene Maria-Königin-Glocke aus dem abgerissenen Kirchturm von Primsweiler durch eine neue Gravur dem Andenken Willi Grafs gewidmet. Die Glocke wurde am Allerheiligentag 2018 in der Saarbrücker St. Elisabethkirche in Dienst genommen. Sie soll jeden Tag ab 17 Uhr drei Minuten zur Sterbestunde von Willi Graf läuten.[15][16]
Auch an seinem ehemaligen Wohnhaus in der Münchner Mandlstraße 26 ist eine Gedenktafel für Willi Graf angebracht.
Am 27. Dezember 2017 wurde bekannt, dass das Erzbistum München und Freising die Möglichkeit eines Seligsprechungsverfahrens für Willi Graf in Betracht zieht.[17]
Personendaten | |
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NAME | Graf, Willi |
ALTERNATIVNAMEN | Graf, Wilhelm |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Widerstandskämpfer, Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose |
GEBURTSDATUM | 2. Januar 1918 |
GEBURTSORT | Kuchenheim |
STERBEDATUM | 12. Oktober 1943 |
STERBEORT | München-Stadelheim |