Die Siedler, die überwiegend aus Bayern, Baden, Hessen, der Pfalz und dem Rheinland kamen, folgten in den Jahren 1763 bis 1767 der Einladung der deutschstämmigen Zarin Katharina II. in ihr neues Siedlungsgebiet, wo sie 104 Dörfer gründeten. Sie wurden angeworben, um die Steppengebiete an der Wolga zu kultivieren und die Überfälle der Reitervölker aus den Nachbargebieten einzudämmen. Mit der Zeit entwickelten sie in dieser Region eine blühende Agrarwirtschaft mit Exporten in andere Regionen Russlands.
Im russischen Reich erhielten die deutschen Siedler einen politischen Sonderstatus, der das Recht auf Beibehaltung des Deutschen als Verwaltungssprache, auf Selbstverwaltung sowie auf Befreiung vom Militärdienst umfasste. Diese Selbstbestimmungsrechte wurden 1871 durch Zar Alexander II. eingeschränkt und 1874 ganz aufgehoben, was zu einer Auswanderungswelle in die USA, Kanada, Brasilien und Argentinien (z. B. nach Provinz Entre Ríos, Zentrum und Südwesten der Provinz Buenos Aires, Provinz La Pampa) führte.
Weitere Einschränkungen und Repressalien erfolgten bereits kurz nach Gründung der Sowjetunion, als Lenin den Wolgadeutschen die gesamte Getreideernte abnahm und ins Ausland verkaufte. Tausende von Wolgadeutschen starben 1921/22 infolge der dadurch verursachten Hungersnot.
Die Wolgadeutsche Republik, die 1941 aufgelöst wurde, hatte etwa 600.000 Einwohner, wovon etwa zwei Drittel deutscher Abstammung waren.
Nach dem Angriff des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion im Juni 1941 (Zweiter Weltkrieg) ließ Stalin das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR am 28. August 1941 den Erlass „Über die Umsiedlung der im Wolgagebiet ansässigen Deutschen“ beschließen.[1] Die etwa 400.000 verbliebenen Wolgadeutschen wurden der kollektiven Kollaboration beschuldigt, nach Sibirien und Zentralasien deportiert und dort in Arbeitslager der „Arbeitsarmee“ (Трудармия) gezwungen, wobei Tausende starben. Die meisten Russlanddeutschen (Männer und Frauen) wurden in der Zeit zwischen Oktober 1942 und Dezember 1943 „einberufen“.
Erst 1964 wurden sie – mit Einschränkungen – offiziell vom Vorwurf der Kollaboration befreit.[2] (1964 endete die Ära Chruschtschow, die 1953 nach Stalins Tod begonnen hatte. Die Tauwetter-Periode währte von etwa 1956 bis 1964.) Die Reisefreiheit von 1972 erlaubte eine Rückkehr an die Wolga aber explizit nicht in die vor der Deportation bewohnte Siedlung. Erst beim Zerfall des Sozialismus wurde das möglich.[3]
Die Bundesrepublik Deutschland ermöglichte den Wolgadeutschen seit den 1970er Jahren die Einreise und die Einbürgerung (siehe auch Bundesvertriebenengesetz). In Sibirien lebten im Jahre 2002 noch ca. 600.000 ethnische Deutsche, von denen viele Sibiriendeutsch als ihre Muttersprache angeben. Laut dem allrussischen Zensus von 2010 lebten in Russland ca. 400.000 ethnische Deutsche (34 Prozent weniger als im Jahr 2002)[4], darunter Russlandmennoniten.
Arkadi German, Die Republik der Wolgadeutschen, BKDR Verlag (www.bkdr.de), Nürnberg 2021, ISBN 978-3-948589-17-2, 504 S. (aus dem Russischen von Christine Hengevoß, Originaltitel: Республика немцев поволжья, Саратов 1994).
August Lonsinger, Hrsg. v. Viktor Herdt: Sachliche Volkskunde der Wolgadeutschen. Siedlung – Obdach – Nahrung – Kleidung. BAG-Verlag, Remshalden, 2004, ISBN 978-3-935383-23-3.
Michael Schippan, Sonja Striegnitz: Wolgadeutsche. Geschichte und Gegenwart. Dietz Verlag, Berlin 1992 (mit Karten, Dokumentenanhang), ISBN 978-3-320-01770-5.
Olga Litzenberger, Historisches Ortslexikon der Wolgadeutschen, Band 1, A-B, BKDR Verlag (www.bkdr.de), Nürnberg 2021, ISBN 978-3-948589-21-9, 348 S.
↑Lydia Klötzel: Die Rußlanddeutschen zwischen Autonomie und Auswanderung. Die Geschicke einer nationalen Minderheit vor dem Hintergrund des wechselhaften deutsch-sowjetischen/russischen Verhältnisses. Lit, Münster 1999, ISBN 3-8258-3665-7, S. 123.
↑Georg Geilke: „Rehabilitierung“ der Wolgadeutschen? In: Jahrbuch für Ostrecht, Jg. 6 (1965), S. 35–59.