Carl Heinrich Stratz (* 14. Juni 1858 in Odessa, Russisches Kaiserreich; † 21. April 1924 in Den Haag, Niederlande) war ein deutscher Gynäkologe, der mehrere wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Bücher über medizinische und anthropologische Themen veröffentlichte. Seine bekanntesten Werke beschäftigen sich mit Kriterien zur Beurteilung und Förderung der weiblichen Schönheit. In der Kinder- und Jugendmedizin lieferte er wertvolle Beiträge zur Morphologie des gesunden Körpers.[1]
Stratz war der Sohn des begüterten Großkaufmanns Heinrich Stratz aus Odessa. Die Familie stammte ursprünglich aus Wildgutach im Schwarzwald, der Großvater Sebastian war unter Katharina II. nach Russland eingewandert. Sein Bruder Rudolph war ein bekannter Schriftsteller.[2][3] Als russische Staatsbürger geboren, gelang der Familie nach der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht (Opoltschenije) in Russland zum 13. Januar 1874 mit Hilfe der Großherzogin Luise von Baden im Jahr 1876 die Entlassung aus der russischen Untertanenschaft und die Aufnahme in das Großherzogtum Baden.[4]
1877 begann Stratz sein Medizinstudium an der Universität Heidelberg, wo er die Wintersemester 1877/78 und 1878/79 sowie das Sommersemester 1879 verbrachte. Zum Wintersemester 1879/80 führte er sein Studium in Freiburg und 1881 bis 1882 in Leipzig fort. Am 2. August 1883 wurde er in Heidelberg mit der Bewertung „cum laude“ zum Dr. med. promoviert. Von 1883 bis 1886 war er Assistenzarzt unter Karl Schroeder im „Klinischen Institut für Geburtshilfe“ der Charité in Berlin.
1887 bereiste er mit seinem Bruder Rudolph Äquatorialafrika und wurde dann im selben Jahr Sanitätsoffizier (Officier van gezondheid) der Königlich Niederländisch Indischen Armee (Koninklijk Nederlandsch-Indisch Leger), wo er als Frauenarzt auf Java eingesetzt wurde und am pathologisch-anatomischen Institut zu Batavia forschte. 1890 bereiste er das Innere der Insel. 1892 beendete er seine Tätigkeit als Militärarzt und publizierte seine Forschungsergebnisse.[5] Studienaufenthalte in Amerika, China und Japan endeten 1898. 1902 wurde er Mitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Eine Notiz von 1904 in den Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften erwähnt, dass Stratz „außer Südamerika, Südafrika und Australien die ganze Welt offenen Auges durchreist“ habe. 1908 kehrte Stratz nach Europa zurück und ließ sich in Den Haag nieder, wo er in der Daendelstraat eine ausgedehnte geburtshilfliche und gynäkologische Praxis betrieb. Wegen mehr als 10-jährigem ununterbrochenem Aufenthalt im Ausland verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft. Später erwarb er sie erneut.[6]
Die Umstände, unter welchen Stratz 1914 durch kaiserlichen Erlass ein preußischer Professorentitel verliehen wurde, sind ungeklärt. Stratz' medizinische Tätigkeiten während des Ersten Weltkriegs sind nicht genau bekannt. Er selbst erwähnte „verwundete Russen“, die in seine Behandlung kamen; außerdem habe ihn sein Beruf „in die verschiedensten Gegenden Europas“ geführt. Sein Bruder Rudolph schreibt in seiner Autobiographie, er habe Jahre hindurch an der Spitze eines Kriegslazarettes in Frankreich, Kurland und Mazedonien und wieder in Frankreich gestanden.[6] 1918 war er als Operateur im deutschen Heer bei der Deutschen Frühjahrsoffensive 1918 aktiv. Er berichtet – wohl als erster – von der verheerenden Wirkung der von der Britischen Armee eingesetzten Dum-Dum-Geschosse.[7] 1919 wohnte er wieder in Den Haag. 1923 erkrankte Stratz an einem „Beckenabszeß“ und konnte vom Herbst ab sein Krankenlager nicht verlassen. Er starb am 21. April des folgenden Jahres.
Die Werke von Stratz waren, nach den häufigen positiven Buchbesprechungen und der großen Zahl von Auflagen zu schließen, überaus erfolgreich. Rezensionen und Auszüge aus seinen Büchern in schulmedizinischen und lebensreformerischen Zeitschriften deuten darauf hin, dass Stratz's medizinischer und ästhetischer Sachverstand sowohl von Medizinern als auch von medizinkritischen Lebensreformern sowie Kunsthistorikern und Künstlern anerkannt wurde. Alleine bis 1913 erschien das Buch Die Schönheit des weiblichen Körpers in 22 Auflagen, 1941 in der 45. Auflage, es findet sich in fast jeder Museums- oder Kunstbibliothek.
Die größte Nachwirkung hatten die von Stratz noch jahrzehntelang zitierten Veröffentlichungen zu den Proportionen des kindlichen und jugendlichen Körpers; Hans Grimm bezeichnet ihn in dieser Hinsicht als „Mitbegründer einer ärztlichen Jugendkunde“.[8]
Stratz' Veröffentlichungen über menschliche Schönheit, allen voran Die Schönheit des weiblichen Körpers, sind reich bebildert. Die Fotografien, oft Nacktaufnahmen junger Frauen, sind unterschiedlichen Ursprungs. Fotografen werden nur teilweise namentlich genannt; bei einigen Aufnahmen handelt es sich um Aktfotografien aus den privaten Beständen von Stratz’ sammelnden Fachkollegen und Freunden.[9]
Stratz vertritt ein rassenkundliches Menschenbild, in dem die Aufgabe der Frau in der Reproduktion eines gesunden Volkskörpers, eines starken und gesunden Nachwuchs' besteht. Im Vorwort zu "Die Körperpflege der Frau" schreibt er 1916: "In dieser großen Zeit ist den Frauen klar geworden, welch hohe und heilige Pflicht die Natur ihnen auferlegt hat [...]. Ein gesundes, schönes und starkes, zur Gattin und Mutter geschaffenes Weib sei das Weib der Zukunft."[10]
Die Frauen auf Java – eine gynäkologische Studie, Verlag F. Enke (Stuttgart), 1897
Die Schönheit des weiblichen Körpers, 1. Aufl. Verlag F. Enke (Stuttgart), 1898
Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung, 1. Aufl. Verlag F. Enke (Stuttgart), 1900 (3. Auflage ebenda 1904; 5. Auflage ebenda 1922)
Die Rassenschönheit des Weibes, 1. Aufl. Verlag F. Enke (Stuttgart), 1901
Die Körperformen in Kunst und Leben der Japaner, 1. Aufl. Verlag F. Enke (Stuttgart), 1902
Der Körper des Kindes und seine Pflege, 1. Aufl. Verlag F. Enke (Stuttgart), 1903
Was sind Juden? Eine ethnographisch-anthropologische Studie, Verlag F. Tempsky (Wien) und Verlag G. Freytag (Leipzig), 1903
Lebensalter und Geschlechter, Verlag F. Enke (Stuttgart), 1926
Stratz hielt Schönheit für die Konsequenz naturwissenschaftlicher und übernatürlicher Gesetze. Für ihn setzte Schönheit einen „normalen“ (d. h., gesunden) Körper voraus, was aber nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung zutreffe. Ein wohlproportionierter Körper könne sich auf den lediglich formalen Regeln gehorchenden Kanon zurückführen lassen. Das Ziel war es, zeitlose Kriterien aufzustellen, die Ansprüche an vollendete Schönheit erfüllten.
Die weibliche Schönheit hielt Stratz für einen Ausdruck ihrer Berufung zur Mutter. Ähnlich wie andere Ärzte – etwa Albert Moll – war er der Auffassung, dass Frauen, die stattdessen bezahlte Arbeit verrichteten, ein männlicheres Aussehen annehmen würden. Als Gegenmittel schlug er eine Diätlehre vor, genannt Kallobiotik, die auf Gesundheit und Schönheit abzielte. Für Stratz bestand das menschliche Leben aus einem „Einzelleben“ und einem „Gattungsleben“. Für Frauen würde wegen ihrer Rolle als Mutter das Gattungsleben eine größere Rolle spielen als das Einzelleben, während es bei Männern umgekehrt sei. Dieser Unterschied würde sich in der männlichen und weiblichen Anatomie bemerkbar machen.
In seiner 1903 erschienenen Schrift Was sind Juden? schrieb er, moderne Antisemiten würden das jüdische Volk generell durch eine Reihe von körperlichen Fehlern charakterisieren. Diese Ansicht teilte er nicht. Vielmehr hätten Juden den Grundstein für die westliche Zivilisation gelegt und würden kaukasische und arische Ursprünge mit der nordischen und romanischen Rasse teilen. Jahrhundertelange Inzucht hätte bei den europäischen Juden – im Gegensatz zu anderen Europäern oder nordafrikanischen Juden – Fehler und Gebrechen wie Missgestalt, Gicht, Diabetes und Rheumatismus hervorgebracht. Weiter schrieb er, man sähe viel mehr kranke und hässliche als schwachsinnige Juden. Die Intelligenz wäre ein Ergebnis des Kampfes der Juden um das Überleben, und Juden könnten zur Zukunft der europäischen Kultur und Gesellschaft beitragen.
Personendaten | |
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NAME | Stratz, Carl Heinrich |
ALTERNATIVNAMEN | Stratz, Karl Heinrich |
KURZBESCHREIBUNG | Gynäkologe |
GEBURTSDATUM | 14. Juni 1858 |
GEBURTSORT | Odessa |
STERBEDATUM | 21. April 1924 |
STERBEORT | Den Haag |