Günter Raphael wurde als Sohn eines Kantors und Organisten sowie einer Geigerin geboren. Der Komponist Albert Becker war einer seiner Großväter.
Im Alter von 10 Jahren begann Raphael zu komponieren. 1922 bis 1925 studierte er an der Berliner Musikhochschule (Komposition bei Robert Kahn, Klavier bei Max Trapp, Orgel bei Walter Fischer, Dirigieren bei Rudolf Krasselt, ferner auch bei Arnold Ebel sowie Arnold Mendelssohn). 1925 scheiterte er – wie später von ihm humorvoll berichtet – an der Kapellmeisterprüfung, da er die Bedeutung von bisbigliando („flüsternd“, ein Effekt bei der Harfe) nicht kannte.
1926 berief ihn der damalige ThomaskantorKarl Straube als Lehrer für Kontrapunkt und Musiktheorie an das kirchenmusikalische Institut in Leipzig. Den Durchbruch als Komponist erlebte Raphael unter anderem mit der Uraufführung seiner 1. Sinfonie unter Wilhelm Furtwängler im Leipziger Gewandhaus (1926), und wenige Jahre später mit dem Requiem durch Straube, wiederum im Gewandhaus Leipzig.
Als „Halbjude“ gemäß dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch verlor Raphael zum 31. März 1934 seine Stelle am kirchenmusikalischen Institut in Leipzig. Im Oktober 1934 heiratete er eine Schülerin, die dänische Pianistin Pauline Jessen. Sie war seit 1931 private Musiklehrerin in Meiningen, wohin beide umzogen. Bereits im März 1933 gab er mit seiner Verlobten und dem Reichel-Quartett ein Konzert in Meiningen. Zwei Töchter wurden 1935 und 1943 in Meiningen geboren. Von 1935 bis 1937 konnte Raphael gemeinsam mit seiner Frau und mit Unterstützung von Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen Konzerte im Meininger Schloss Elisabethenburg durchführen. Größere Aufführungen seiner Werke gab es 1937 in Leipzig, Chemnitz und Dortmund, im März 1938 in Flensburg, wo Raphael selbst dirigierte sowie im November 1938 in Hamburg (Smetana-Suite).
Im Februar 1939 erhielt Günter Raphael Berufsverbot; seine Kompositionen wurden nicht mehr verlegt und boykottiert. 1940 stellte man anlässlich der Kriegstauglichkeitsprüfung Tuberkulose bei ihm fest, die mehrere Operationen und Sanatoriumsaufenthalte zur Folge hatte. Kurt Hessenbergs Schwiegervater brachte gegen Ende des Krieges Hessenbergs ehemaligen Lehrer nach Bad Nauheim und sorgte für ihn.
Erst 1949 erhielt Raphael wieder eine Festanstellung am Städtischen Konservatorium Duisburg als Lehrer für Klavier, Theorie, Musikgeschichte und Komposition. 1956 wurde ihm das Thomaskantorat in Leipzig angeboten, was er aber – unter anderem aus gesundheitlichen Gründen – ablehnte (Karl Straube hatte ihn schon 1934 als Nachfolger vorgesehen, was damals aus politischen Gründen jedoch unmöglich war).
1948 wurde Günter Raphael der Thüringer Franz-Liszt-Staatspreis verliehen. Nach seinem Tod ernannte ihn 1968 die Musikhochschule Leipzig zum Ehrensenator.
Nach ihm ist eine Straße in Meiningen benannt. Im Oktober 2010 wurden in Meiningen anlässlich des 50. Todestages des Komponisten die Raphael-Tage Meiningen 2010 mit Aufführungen einiger seiner Werke veranstaltet. Im gleichen Monat wurde in den Meininger Museen die Sonderausstellung Musik. Sie heilt die Wunden. Günter Raphaels Meininger Jahre von Christoph Gann eröffnet. Anlässlich seines 60. Todestages fand im Oktober 2020 eine weitere Gedenkveranstaltung mit der Anwesenheit seiner älteren Tochter Dagmar Pieschacon-Raphael im Marmorsaal von Schloss Elisabethenburg in Meiningen statt.
Raphael war ein handwerklich souveräner, produktiver und vielseitiger Komponist. Sein Gesamtschaffen umfasst etwa 300 Kompositionen. 35 davon sind für Orchester geschrieben (inklusive 11 Solokonzerte), 86 für diverse Kammermusikbesetzungen, 29 für Klavier, 30 für Orgel, und 120 sind Vokalwerke (davon 38 auf weltliche Texte). Viele seiner Werke sind vom Rundfunk eingespielt und im In- und Ausland aufgeführt worden. Schwerpunkte seines Schaffens waren neben der Sinfonik und der Kammermusik die Kirchenmusik. Auf letzterem Gebiet ist seine Bedeutung mit der von Ernst Pepping vergleichbar.
Günter Raphaels musikalische Sprache ist ausgeprägt kontrapunktisch und expressiv, in einigen Werken hinsichtlich der Rhythmik auch Jazz-verwandt. Bis Anfang der 30er Jahre komponierte er in einem spät- oder postromantischen Stil, der stark von Brahms und Reger geprägt ist. In der Zeit des Berufsverbots entwickelte er dann einen „einigermaßen eigenen Stil“ (Raphael), wobei er die Tonalität stark erweiterte und auch Elemente des Neoklassizismus einbezog. Dieser Stil berührt sich gelegentlich mit dem von Hindemith und Schostakowitsch aus dieser Zeit. Im Spätwerk erfolgte eine Annäherung an die Zwölftonmusik (von ihm selbst als „tonaler Zwölfton“ bezeichnet).
Christoph Gann: „Nicht mal EMIGRANT war er! Pfui, Teufel! Und dann nur Halb- u. nicht mal gesessen.“ Der Komponist Günter Raphael in der NS-Zeit. In: Helen Geyer, Maria Stolarzewicz (Hrsg.): Verfolgte Musiker im nationalsozialistischen Thüringen. Eine Spurensuche. Böhlau Verlag, Wien u. a. 2020, S. 109–163.
Fredrik Pachla: Günter Raphael. Ein Komponistenschicksal. Hentrich & Hentrich, Berlin 2017. ISBN 978-3-95565-198-5.
Thomas Schinköth: Musik – das Ende aller Illusionen? Günter Raphael im NS-Staat. Band 13 der Reihe Verdrängte Musik. von Bockel, Hamburg 1996. 2. Auflage 2010, ISBN 3-928770-65-9.
Über Raphael-Aufführungen des Dresdner Kreuzchores. In: Matthias Herrmann (Hrsg.): Dresdner Kreuzchor und zeitgenössische Chormusik. Ur- und Erstaufführungen zwischen Richter und Kreile. Marburg 2017, ISBN 978-3-8288-3906-9, S. 59–61, 276–278, 299, 305, 307–309, 311 (Schriften des Dresdner Kreuzchores, Bd. 2).
Elisabeth Schmiedeke: Günter Raphaels Chormusik. Versuch einer kritischen Wertung. Merseburger, Kassel 1985.