Zorn lernte als Kind Klavier, Gitarre und Flöte. Während seines Studiums am Webster College erhielt er außerdem, beeinflusst durch Anthony Braxton und seinen dortigen Lehrer Oliver Lake, eine Ausbildung als Saxophonist. Anfänglich eher an Neuer Musik interessiert, wandte er sich in den 1970er Jahren dem Jazz zu. Er brach die formale Ausbildung ab und kehrte auf dem Umweg über die Westküste nach New York zurück, um sich im Umfeld der Musikszene der Lower East Side auf musikalische Projekte zu konzentrieren. Er verdiente sich während dieser Zeit seinen Lebensunterhalt unter anderem mit Arbeit in einem Schallplattenladen.
Zu seinen frühen Einflüssen gehört, neben Braxton, Eugene Chadbourne und Ornette Coleman, auch Karlheinz Stockhausen. Zorns Musik ist charakterisiert durch die Verarbeitung zahlreicher musikalischer Stile aus verschiedensten Quellen, darunter Filmmusik zu Zeichentrickfilmen, Free Jazz, Hardcore und jüdische Folklore. Zorn kombiniert dabei oft kurze musikalische Sequenzen in collagenartiger Form, teilweise in rasanter Abfolge. 1975 gründete er sein Theatre of Musical Optics und begann zunächst die Zusammenarbeit mit Chadbourne, Tom Cora, Wayne Horvitz, Polly Bradfield und LaDonna Smith. Internationale Anerkennung erreichte er in den 1980ern. Während des nächsten Jahrzehnts arbeitete er sowohl in New York als auch in Tokio, wo er viele Werke schrieb und aufführte. 1998 produzierte er das Album 1930 des japanischen Noise-Künstlers Merzbow.
Zorn bekennt sich seit den 1990er Jahren explizit zu seiner jüdischen Herkunft und verarbeitet in einigen seiner Projekte traditionell jüdische Elemente. Er gründete 1995 das Plattenlabel Tzadik. Dabei formulierte er eine neue sogenannte „Radical Jewish Culture“ und verabschiedete ein Manifest über das radikale Judentum seiner Musik.[2] Als Leitmotiv der Radical Jewish Culture gilt ein Zitat des jüdischen Religionshistorikers Gershom Scholem:
„Es gibt ein Leben der Tradition, in dem es nicht allein um konservatives Bewahren geht, um die konstante Fortführung der spirituellen und kulturellen Güter einer Gemeinschaft. Es gibt auch so etwas wie eine Schatzsuche in der Tradition, die eine lebendige Beziehung zur Tradition herstellt und der vieles von dem verpflichtet ist, was im gegenwärtigen jüdischen Bewusstsein am besten ist - selbst wenn es außerhalb des orthodoxen Rahmens ausgedrückt wurde und ausgedrückt wird.“[3]
Die freie Improvisation, der sich Zorn u. a. auf den Classic Guide to Strategy-Alben und in seiner Zusammenarbeit mit dem PosaunistenJim Staley widmete. Auf diesen Aufnahmen nutzte er sog. duck calls (Lockpfeifen).
Game pieces: improvisationsfreundlich gestaltete Werke, die nicht auf einer notierten Partitur beruhen, sondern bei denen die einzelnen Musiker mittels einer festgelegten Zeichensprache die Entwicklung des Kompositionsablaufs beeinflussen können. Zu den wichtigsten game-pieces-Alben gehören die frühen Parachute-Werke Lacrosse und Hockey sowie die Cobra-Serie, bei der ein in Instrumentierung und Anzahl der Musiker variables Ensemble durch von wechselnden „Dirigenten“ hochgehaltene Karten „Anweisungen“ erhält, die von den Musikern spontan interpretiert und umgesetzt werden. Beeinflusst wurde Zorn hierbei von den aleatorischen Werken der Neuen Musik (z. B. von John Cage, Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez).
File card pieces: bei dieser Klasse von Zorns Werken bekommen die beteiligten Musiker assoziative Anweisungen, die auf Karteikarten (file cards) festgehalten werden. Zu den bedeutendsten Werken dieser Kategorie gehören Godard und Spillane. Dabei waren die Atmosphäre der Nouvelle Vague bzw. des Film noir das Element, das die ansonsten sehr eklektischen Kompositionen zusammenhalten sollte.
Naked City, eine Band, mit der Zorn die file-card-Ästhetik des rasanten Stilwechsels live verwirklichen konnte. Die anderen Mitglieder der Band waren Bill Frisell, Wayne Horvitz, Fred Frith und Yamatsuka Eye. Ihre Musik verband in sehr dichten Stücken Elemente zahlreicher verschiedener Genres, entwickelte sich mit der Zeit aber immer weiter in die Hardcore-Richtung.
Verbindung von Hardcore und Free Jazz: die Verbindung dieser beiden Genres (manchmal Jazzcore genannt) war für Zorn laut eigener Aussage eine ähnliche Schock-Situation wie die Wirkung der Musik seines Idols Ornette Coleman in den 50er Jahren. So spielt er mit mehreren Ensembles (u. a. das späte Naked City, Painkiller oder zuletzt das Moonchild Trio) eine Mischung aus Free Jazz, Hardcore, Punk, Noise und Death Metal. Oft wurden Veröffentlichungen aus dieser Kategorie von Kontroversen begleitet, weil Zorn den Stücken obszöne Titel gab und die Coverhüllen der CDs mit explizit grausamen Bildern versah.
Tribute an die Größen der Jazztradition: Zorn präsentierte im Verlauf seiner Karriere Hommagen an so unterschiedliche Jazz-Musiker wie Ornette Coleman, Hank Mobley, Lee Morgan und Sonny Clark. Dabei grenzt er sich entschieden von der traditionalistischen Bewegung im Jazz um Wynton Marsalis ab, die er gar als „rassistisch“ bezeichnete.[7]
Neue Musik: insbesondere in den 1990er Jahren entstanden mehrere Kompositionen, die Zorn für klassische Konzertmusik-Ensembles schrieb. Dazu gehören u. a. die Alben Angelus Novus und Chimeras.
Radical Jewish Culture: seit Anfang der 90er Jahre widmet sich Zorn zunehmend intensiv der künstlerischen Verarbeitung seiner jüdischen Wurzeln. So entstanden die inzwischen drei Masada Songbooks sowie die Bewegung der Radical Jewish Culture, gleichzeitig auch der Name einer entsprechenden Reihe auf Zorns Plattenlabel Tzadik.
Auf seinen MusiklabelsTzadik und Avant hat er eine große Fülle von Alben eingespielt und produziert. Sehr viele Werke, die unter Zorns Namen veröffentlicht werden, wurden von ihm lediglich komponiert. So schrieb er mindestens vier verschiedene Songbooks: das Mitte der 90er Jahre entstandene erste Masada-Songbook (205 Titel), Book of Angels (2004; 316 Titel), Book Beriah (2009) und The Bagatelles (2015; 300 Titel)[8]. Sie werden nach und nach von verschiedensten Musikern vertont, sowohl von Angehörigen der New Yorker Downtown-Szene als auch von Anderen, z. B. Pat Metheny.
Insbesondere das frühe Schaffen von Zorn – die game pieces, file-card pieces, Naked City – zeichnen sich durch „Maximalismus“ aus, in expliziter Opposition zum damals in der Konzertmusik vorherrschenden Minimalismus.[9] Zorns Kompositionen aus dieser Zeit bestehen oft aus kurzen, sprunghaft wechselnden Versatzstücken, die auf unterschiedliche Musiktraditionen (einschließlich Popmusik und von Animationsfilm-Musik inspirierte Elemente) zurückgreifen. Auch kam in seiner Musik bis in die 1990er hinein Melodie als Strukturelement kaum vor – dies änderte sich vor allem durch das Masada-Quartett, mit dem er in diesem Kontext auch erstmals wieder Jazz spielte.[10]
In der Ausgabe des Jazzbuch von 2011 wird John Zorn als der herausragende und einflussreichste Jazzmusiker der Gegenwart bezeichnet. Diese Einschätzung ist aber sehr umstritten, weil Zorns Musik sich nicht in erster Linie aus der afro-amerikanischen Musiktradition herleitet. Vielmehr stellt diese nur einen Einfluss unter vielen dar. Zorn lehnt die Bezeichnung Jazzmusiker für sich selbst rigoros ab.
Eine sehr große Rolle in Zorns Schaffen spielt die Verknüpfung von Musik mit visueller Kunst, einschließlich der Album-Cover, die oft zu Kontroversen führten.[11] Bei der Erstellung der Cover für seine Tzadik-Veröffentlichung arbeitet Zorn mit der Designerin Chippy (Heung Heung Chin) zusammen. Der Künstler selbst sagt zur Bedeutung des Visuellen in seiner Kunst:
„I think that the visual nature of a presentation in a package is very important, and I love working on it. (…) And I am addicted to the connection of visual with sound. (…) To me, they are intrinsically connected.“[12]
Garhard Kaucic/Timothy Liegeti: Guy Debord John Zorn Friederike Mayröcker Philippe Sollers: tel quel jardins des plantes et D mots/scribble and voice. – In: Die Grüne F Abyss. Internationale polylinguale Zeitschrift für Grüne Kultur/Politik. Nr. 16b/1996, S. 117ff.
Jazzthetik, Juli/August 1988: Interview mit Arne Schumacher.
Neue Zeitschrift für Musik, Februar 1991: Der Architekt der Spiele Interview mit Art Lange; Früchte des (John) Zorn – improvisierte Musik im Zeitalter der Simulation.
Jazz Podium, Mai 1995: Artikel von Mathias Bäumel.
Bill Milkowski: John Zorn – Genius at Work; im Magazin Down Beat vom Oktober 2013, Vol. 80, Nr. 10, S. 38–43.
Neue Zeitschrift für Musik, Mai/Juni 1998: „Radical New Jewish Culture“ – Artikel von Peter Niklas Wilson.
Joachim-Ernst Berendt und Günther Huesmann: Das Jazzbuch: Von New Orleans bis ins 21. Jahrhundert. S. Fischer, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-596-15964-2.
Tamar Barzel: New York Noise: Radical Jewish Music and the Downtown Scene. Indiana University Press, Bloomington, Indianapolis 2015, ISBN 978-0-253-01557-0.
↑„Ich glaube in gewisser Hinsicht ist es rassistisch. Alles, was andere Sichtweisen oder andere Ausdrucksformen ausschließt, ist, finde ich, rassistisch.“ Zitiert in Das Jazzbuch, 2011, S. 237.
↑News auf der Tzadik-Website, abgerufen am 14. August 2015.
↑Zitiert in Barzel (2015), S. 93; Übersetzung: „Ich denke, dass die visuelle Natur der Präsentation [eines Albums] sehr wichtig ist, und ich liebe es, daran zu arbeiten. (…) Und ich bin süchtig nach der Verbindung des Visuellen mit Klang. (…) Für mich, die beiden sind untrennbar miteinander verbunden.“
↑Die Auswahl wichtiger Alben von John Zorn fand angesichts des großen Umfangs seines Werkes anhand der Bewertungen des Penguin Guide to Jazz in der 6. Auflage von 2002 statt. Es wurden nur Alben aufgenommen, die die höchste (****) bzw. zweithöchste (***(*)) Bewertung erhielten. Als bestes Werk Zorns sehen die Autoren das Album The Big Gundown (1985), das sie zusätzlich zu der Höchstbewertung mit dem Prädikat der Krone versehen. Sie betrachten das Morricone-Projekt als „eines der essentiellsten Werke der 1980er Jahre“. Weitere Grundlage bietet das Kapitel über Die Platten des Jazz im Jazzbuch von Joachim-Ernst Berendt und Günther Huesmann in der 3. Auflage der 7. Ausgabe von 2011.