Kurt Schneider, Sohn des Ulmer Landgerichtspräsidenten Paul von Schneider (1855–1918) und der Pfarrerstochter Julie Mathilde Weitbrecht (1860–1938), studierte Medizin in Tübingen und Berlin. In Tübingen wurde er 1912 zum Dr. med. promoviert. Bei Gustav Aschaffenburg in Köln konnte er sich 1919 habilitieren und als klinischer Oberarzt der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Köln tätig werden. 1920 schloss er bei dem Philosophen Max Scheler eine weitere Dissertation ab[1] und erhielt 1921 den Dr. phil.
Nach dem Tod seines Vorgängers Johannes Lange im Jahr 1938 erhielt er einen Ruf an den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie der Universität Breslau, den er, nach einem Gespräch in Breslau, ohne Verhandlung mit der Stadt oder dem Institut ablehnte. Zuletzt war er von 1946 bis zu seiner Emeritierung 1955 ordentlicher Professor und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg, wo er auch seinen Lebensabend verbrachte und begraben ist.
An den psychiatrischen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus (wie der Aktion T4) war Kurt Schneider (nicht zu verwechseln mit Carl Schneider) nicht beteiligt. Allerdings unterstützte er den Neurologen und Psychiater mit aktiver Beteiligung an der Aktion T4 und Kinder-EuthanasieGerhard Kloos Anfang der fünfziger Jahre bei dessen weiterer Karriere nachhaltig.[3]
Geschwister von Kurt Schneiders Vater waren Friedrich Eugen, Marie (verheiratet mit Paul Fischer), Herrmann (Rechtsanwalt) und Elise (unverheiratet).[4]
Bekannt wurde Schneider vor allem durch die Unterscheidung der Symptome 1. und 2. Ranges der Schizophrenie. Seine Arbeiten gelten als Grundlage für die Forschungsgruppen, die in den 1970er Jahren die heute gültigen Diagnose-Systeme (ICD und DSM) ausarbeiteten. Er teilte die psychischen Störungen in fünf Gruppen ein:
Psychopathische Persönlichkeiten
Abnorme Erlebnisreaktionen (unterteilbar in quantitativ und qualitativ abnorme Erlebnisreaktionen[5])
Seine Krankheitssystematik in engerem Sinne umfasst jedoch nur zwei Gruppen von Erkrankungen:
Abnorme Spielarten seelischen Wesens (Abnorme Verstandesanlagen, Persönlichkeiten und Erlebnisreaktionen)
Seelisch Abnormes als Folge von Krankheiten (somatologische bzw. ätiologische Ordnung und psychologische bzw. symptomatologische Ordnung). Zu dieser zweiten Gruppe zählte er die Schizophrenie und Zyklothymie, deren hypothetische somatologische Grundlage jedoch nur postuliert werden kann.
1984, beim 6. Weissenauer Schizophrenie-Symposium, wurde, gestiftet von der Firma Janssen und initiiert von Schneiders Schüler Gerd Huber,[6] erstmals der Kurt-Schneider-Preis (auch: Kurt-Schneider-Wissenschaftspreis) verliehen.
Der Preis zeichnet einmal in zwei Jahren „herausragende wissenschaftliche Leistungen“ bzw. Untersuchungen aus, die mit auch mit Kurt Schneiders Arbeit zu tun haben,[7] also mit der Erforschung der Diagnostik, Therapie und Rehabilitation bei Schizophrenien auf der Grundlage der klinischen Psychopathologie, Biochemie, Pharmakologie, Genetik und Epidemiologie.[8]
Das Preisgeld bezifferte sich vor dem Jahr 2002 auf 10.000 DM, seither gewöhnlich auf 10.000 €; im Jahr 2000, als es drei Preisträger gab, wurde das Preisgeld gedrittelt.
Kurt Schneiders Hauptwerk ist die Klinische Psychopathologie. Sie erschien 2007, im 120. Jahr seines Geburtstages in der 15. Auflage.
Diss.: 1912 Über einige klinisch-psychologische Untersuchungsmethoden und ihre Ergebnisse. Zugleich ein Beitrag zur Psychopathologie der Korsakowschen Psychose. - Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe unter dem Präsidium von Dr. Robert Gaupp der Medizinischen Fakultät von Tübingen vorgelegt. Separatdruck. Springer, Berlin
Diss.: 1921 Pathopsychologische Beiträge zur psychologischen Phänomenologie von Liebe und Mitfühlen. In: Zschr ges Neurol Psychiat. Originalien. Red. von O. Foerster, R. Gaupp und W. Spielmeyer. Band 65. Springer, Berlin (Dr. phil.)
1923 Die psychopathischen Persönlichkeiten. In: Gustav Aschaffenburg (Hrsg.): Handbuch der Psychiatrie. Spezieller Teil, 7. Abt., 1. Teil. Deuticke, Leipzig; 2. wes. veränd. Aufl. 1928 und weit., zuletzt 9. Aufl. 1950
1924 Der triebhafte und der bewußte Mensch. In: Emil Utitz (Hrsg.): Jahrbuch der Charakterologie. 1. Jahrgang / Berlin 1924 / 1. Band. Pan Verlag Rolf Heise, Berlin S. 345–351
1931 Pathopsychologie im Grundriß. Walter de Gruyter & Co., Berlin 1931 (Sonderausgabe aus dem Handwörterbuch der psychischen Hygiene und der psychiatrischen Fürsorge, hrsg. von Oswald Bumke und anderen)
1947 Die Psychiatrie und die Fakultäten. Springer, Berlin
1946 Beiträge zur Psychiatrie. Thieme, Wiesbaden; 2. verm. Aufl. 1948. 3. Aufl. - mit neuem Titel - ab
1950 Klinische Psychopathologie. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart (in vielen, auch fremdsprach., ab der 8. unveränd., zuletzt 15. Aufl. 2007)
Arbeiten zur Psychiatrie, Neurologie und ihren Grenzgebieten. Festschrift für Kurt Schneider zum 60. Geburtstag. Hrsgg. von Heinrich Kranz. Scherer, Willsbach/Heidelberg, 1947
Psychopathologie heute. Prof. Dr. med. Dr. phil. Dr. jur. h. c. Kurt Schneider zum 75. Geburtstag. Hrsgg. von Heinrich Kranz. Thieme, Stuttgart 1962
Werner Janzarik: Jaspers, Kurt Schneider und die Heidelberger Psychopathologie. In: Der Nervenarzt. Band 55, 1984, S. 18–24.
Fortschritte in der Psychosenforschung? Zum 100. Geburtstag von Kurt Schneider mit Verleihung d. Kurt-Schneider-Preises. 7. Weissenauer Schizophrenie-Symposion am 5. u. 6. Dezember 1986 in Bonn. Hrsgg. von Gerd Huber. Schattauer, Stuttgart 1987
Waltraut Wertheimer: „Kurt Schneider - Leiter der Klinischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Psychiatrie im Schwabinger Krankenhaus“, in: ausgegrenzt - entrechtet - deportiert, Schwabing und Schwabinger Schicksale 1933-1945, München, 2008, 444–446
Norbert Frei: Einleitung. In: Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. Hrsg. von Norbert Frei, R. Oldenbourg, München 1991 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), ISBN 3-486-64534-X, S. 5–32; hier: S. 29 f.
Dirk Blasius: Die „Maskerade des Bösen“. Psychiatrische Forschung in der NS-Zeit. In: Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. Hrsg. von Norbert Frei, R. Oldenbourg, München 1991 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), ISBN 3-486-64534-X, S. 265–285; hier: S. 276 und 279–284
↑Dirk Blasius: Die „Maskerade des Bösen“. Psychiatrische Forschung in der NS-Zeit. In: Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. Hrsg. von Norbert Frei, R. Oldenbourg, München 1991 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), ISBN 3-486-64534-X, S. 265–285; hier: S. 276
↑Christof Beyer: In Gegenwart der Vergangenheit. Die Reintegration von Täterinnen und Tätern der NS-„Euthanasie“ in Niedersachsen nach 1945. Psychiatrie Verlag, Köln 2020 (Forschung für die Praxis, Hochschulschriften), ISBN 978-3-96605-001-2, S. 67–68