Minnesang (zu Minne, die Verehrung einer meist hochgestellten Frau; von mhd. minne „liebevolles Gedenken“) nennt man die schriftlich überlieferte, hoch ritualisierte Form der gesungenen Liebeslyrik, die der westeuropäische Adel etwa von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts pflegte.
Im deutschen Sprachraum kann man ab etwa 1155 von einem Minnesang auf Mittelhochdeutsch sprechen. Die im Minnesang gepflegte Version des Hochdeutschen ist der erste bekannte Versuch einer Vereinheitlichung der deutschen Literatursprache. Erst 400 Jahre später erfolgte der zweite Versuch durch Martin Luther.
Im Spätmittelalter (ab etwa 1250) lösten andere Gattungen den höfisch-ritterlichen Minnesang ab.
Die ersten bezeugten Minnesänger sind die Trobadors in Südfrankreich. Die Sprache ihrer Lieder wird in moderner Zeit oft als Provenzalisch bezeichnet, wobei darunter aber nicht der okzitanische Dialekt der Provence, sondern eine Art okzitanische Koine oder Literatursprache zu verstehen ist, die Elemente aus verschiedenen okzitanischen Dialekten aufnimmt. Der Minnesang der südfranzösischen Trobadors, später auch der nordfranzösische der Trouvères, hat wesentlichen Einfluss auf die Anfänge des deutschen Minnesangs.
Am klarsten nachweisbar ist dieser Einfluss anhand sogenannter Kontrafakturen, also der (deutschen) Neutextierung provenzalischer Töne (unter einem Ton ist die Einheit von Versmaß, Strophenform und Melodie zu verstehen). Ebenso deutlich wie in derartigen Kontrafakturen wird der französische Einfluss im erkennbaren Bemühen deutscher Minnesänger, mit raffinierten Metren und Reimtechniken ähnlich artifiziell zu glänzen wie die französischen Sänger.
Die Sprachkunst des deutschen Minnesangs lässt sich jedoch auch ohne Rückgriff auf den französischen Einfluss beschreiben.
Minnesang versteht sich wesentlich als ritterliche Liebhaberei und innerhalb der höfischen Ritterkultur als Konkurrenz hochadeliger Ritter untereinander – analog zu den anderen Formen des Wettkampfes, etwa dem Turnier.
Der geglückte Vortrag eines Minneliedes durch einen Ritter ist in erster Linie als kultureller Kompetenzbeweis zu begreifen – ähnlich einem Jagderfolg oder einem Sieg im Ritterturnier auf sportlichem Gebiet. Das Lied richtet sich an eine verehrte Dame der Gesellschaft (Frauendienst), ist jedoch kein Ausdruck lebensweltlicher Verhältnisse. Eine biografische Authentizität, wie sie die allerfrüheste Literaturforschung annahm, ist zwar nicht grundsätzlich und in allen Fällen auszuschließen, dürfte aber nur eine geringe Rolle gespielt haben: Minnesang ist kein romantischer Gefühlsausdruck, auch keine Erlebnislyrik, sondern ein ritterlich-ethisch geprägtes Sprach- und Musik-Ritual – vergleichbar der dem Minnesang in Italien folgenden petrarkistischen Liebeslyrik des dolce stil nuovo seit Francesco Petrarca in der strengen Form des Sonetts, die nun, in der beginnenden Renaissance, allerdings nicht mehr dem adeligen Ritter oblag.
Als erster Trobador gilt Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien (1071–1127). Die Kunst der Trobadors erreicht in der Mitte des 12. Jahrhunderts durch Bernart de Ventadorn ihre reinste Darstellung und breitet sich nach Norden (Trouvères) und Osten (deutscher Minnesang) aus.
Wichtige Trobadors waren: Jaufre Rudel, Marcabru, Bernart de Ventadorn, Giraut de Bornelh, Beatriz de Dia, Peire Vidal.
Wichtige nordfranzösische Trouvères waren: Gace Brulé, Colin Muset, Jean Bodel, Thibaut de Champagne, Conon de Béthune, Blondel de Nesle, Adam de la Halle, aber auch Chrétien de Troyes (der als Artus-Epiker wesentlich bekannter ist denn als Lyriker).
Der älteste deutsche Minnesang ist mit dem Dichter Kürenberger nachweisbar; berühmt ist das Falkenlied in der Nibelungenstrophe: „Ich zoch mir einen valken ...“ (zur Versform vgl. Nibelungenlied).
Dieser donauländische Minnesang (1150–1170, geographisch: Passau, Linz, die Gegend also, aus der auch das Nibelungenlied stammt) hat ältere deutsche Wurzeln und ist von der verfeinerten provenzalischen Trobador-Kunst noch unbeeinflusst. Er wird zum Beispiel durch Dietmar von Aist vertreten. Die Lieder sind geprägt durch eine natürliche und ungekünstelte Auffassung von Liebe. Die Eigenarten, die Frau in Ich-Form oder Mann und Frau im Wechsel sprechen zu lassen, werden durch den späteren provenzalischen Einfluss aus dem Minnesang getilgt. Äußeres formales Kennzeichen ist die der epischen Dichtung nahestehende Langzeile. In dieser Phase hat der deutsche Minnesang gewissermaßen noch keine eigene Form gefunden. Die Wurzeln dieser einheimischen Minnelyrik liegen weitgehend im Dunkel.
Der neue Minnesang nach provenzalischem Vorbild (unter anderen nachweisbar importiert durch den weitgereisten Friedrich von Hausen) blüht im alemannischen und fränkischen Westen ab 1170 auf. Ab dieser Zeit entsteht eine Lyrik, die formal wesentlich differenzierter ist. Sie ist meist mehrstrophig und die Stollenstrophe erfreut sich in dieser Zeit großer Beliebtheit. Inhaltlich enthält sie das Ideal der Hohen Minne (sie betont in aller Regel die Verzicht-Haltung des Mannes und die Unerreichbarkeit der Frouwe) sowie häufig eine Mischung aus Kreuzzugs- und Minnethematik. Zu nennen sind hier Vertreter wie Albrecht von Johansdorf, Reinmar der Alte und Heinrich von Morungen.
Walther von der Vogelweide geht als erster weg vom Ideal der Hohen Minne und singt Lieder der „gleichberechtigten Liebe“ („niedere Minne“, genauer gesagt Lieder der „Herzeliebe“, auch „Mädchenlieder“ genannt). Allerdings sind die Begriffe hohe Minne und niedere Minne nicht zeitgenössisch belegt – nur eine Formulierung bei Walther wird von der Literaturwissenschaft als Beleg genommen –, sondern Konstrukte der philologischen Rezeption in der Romantik, die von späteren Forschergenerationen womöglich noch nicht ausreichend hinterfragt wurden. So muss zumindest fraglich bleiben, inwieweit das von der Germanistik angenommene Ideal der unerfüllten Liebe in der sogenannten Hohen Minne nicht eine Vorstellung der Romantik darstellt, die auf die Zeit des Hochmittelalters projiziert wurde. Insbesondere die Dichtung Heinrichs von Morungen erlaubt nicht nur eine Interpretation. Die neuere Forschung hat jedenfalls das bislang vorherrschende Bild teilweise energisch in Frage gestellt (so etwa Eva Willms).
Im 13. Jahrhundert verliert sich das zunächst scheinbar klare Bild völlig: Während in der Schweiz noch nach 1300 Hohe Minne in klassischer Tradition (wenn auch weniger originell) besungen wird, greifen andernorts bereits ab 1220/30 parodierende und erotisierende Tendenzen (Neidhart, Tannhäuser). Der Begriff Minne selbst ändert sich zum Synonym für den Geschlechtsakt. Die Minnesänger des 13. und 14. Jahrhunderts beschränkten sich auf die Wiedergabe der bereits vorgegebenen Form- und Themenmuster und variierten oder spezifizierten sie. Im 14. Jahrhundert wurde der Minnesang mit dem Aufkommen der Städte von dem Meistergesang abgelöst.[1][2]
Ein großer Teil des „deutschen Minnesangs“, das heißt der mittelhochdeutschen Lyrik, ist genau genommen kein Minnesang und sollte darum nicht so bezeichnet werden. Hinsichtlich ihrer Thematik und ihres Sitzes im Leben müssen zwei große Gattungen unterschieden werden: einerseits die ritterlich-adlige Liebeslyrik als eigentlicher Minnesang (im engeren Sinne), andererseits die Spruchdichtung oder Sangspruchdichtung, die ausschließlich von Berufsdichtern und -sängern vorgetragen wurde und sich mit politischen, moralischen und religiösen Themen aller Couleur befasste:
Da der gesellschaftliche Status von Minnesang (hochadelige Repräsentationskunst und Luxus) und Spruchdichtung (auf Bezahlung angewiesene „Gebrauchskunst“) verschieden ist, betätigen sich Dichter nur sehr selten auf beiden Gebieten zugleich. Die bekannteste Ausnahme ist Walther von der Vogelweide, der auf beiden Gebieten Hervorragendes geleistet hat und darum als der bedeutendste Vertreter der mittelhochdeutschen Lyrik gilt.
Die inhaltliche Gattungsdifferenzierung lässt sich auch in den lyrischen Formen wiederfinden.
Formal gibt es die Gattungen Lied, Spruchstrophe und Leich:
Die frühesten handschriftlichen Zeugnisse des deutschen Minnesangs stammen vom Ende des 12. Jahrhunderts. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wird der Versuch zu großen „musealen“ Lyriksammlungen in Liederhandschriften erkennbar. Möglicherweise hatten diese Sammlungen Vorgänger in Form von nicht erhalten gebliebenen Repertoire-Handschriften von umherziehenden Sängern, die nun in einer gleichsam literaturgeschichtlichen Bemühung von wohlhabenden Privatleuten gesammelt wurden. Gipfelpunkt der Aufzeichnungen ist die reine Text-Sammlung des sogenannten Codex Manesse.
Nahezu alle wichtigen Handschriften beschränken sich auf die Aufzeichnung der Texte. Sie täuschen damit über die Tatsache hinweg, dass Minnesang, wie das Wort völlig zu Recht sagt, stets Gesangslyrik war – in vielen Fällen wohl mehr als das: Wie diverse Miniaturen belegen, wurden die vortragenden Sänger von Rhythmus-, Streich- und Blas-Instrumenten begleitet.
Von den oben genannten Handschriften bieten nur die Jenaer (J) und Kolmarer (t) auch zugehörige Melodien. Wichtig für die Musiküberlieferung des deutschen Minnesangs ist ferner die sogenannte Wiener Leichhandschrift (Nationalbibliothek Wien, cvp 2701, Sigle W).
Neben diesen drei Handschriften (J, t, W) existiert sporadisches, bruchstückhaftes, nur in vagen Neumen notiertes oder durch Kontrafakturen erschlossenes Melodiematerial. Eine Gesamtsicht dieses Materials kann gemeinsam mit den überlieferten Miniaturen und den Textaussagen zur Aufführungssituation sehr wohl ein sprechendes Gesamtbild darüber vermitteln, wie Minnesang musikalisch realisiert wurde; die historisch authentische Rekonstruktion einzelner Stücke bleibt aber selbst bei scheinbar zuverlässiger Melodieüberlieferung Illusion. Auch die am besten überlieferten Melodien beschränken sich auf die Wiedergabe der Gesangsmelodie. Takt, Rhythmus, Tempo, Dynamik, Harmonik, Begleitinstrumente und polyphone Techniken erschließen sich uns bisher nicht.
Die philologisch-germanistische Beschäftigung mit den Texten setzt 1748 durch Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger ein, wurde vor allem von Karl Lachmann, Moriz Haupt, Wilhelm Wilmanns, Friedrich Vogt, Karl Bartsch unter anderem bis zu Carl von Kraus – 1935 erschien seine Bearbeitung von Lachmanns Des Minnesangs Frühling –, Hugo Kuhn und Peter Wapnewski bis ins 20. Jahrhundert geführt. Neben diesen in diachroner Loyalität bis heute fortgeschriebenen wissenschaftlichen Textausgaben gab es auch prachtvolle Luxusdrucke bereits im 19. Jahrhundert (auch zwei technisch sehr aufwendige Faksimile-Drucke des Codex Manesse im 20. Jahrhundert wurden vom Insel-Verlag veranstaltet). Denn ähnlich wie im Nibelungenlied und in Wolframs Parzival wurde seit der Romantik auch im deutschen Minnesang eine ausdrücklich „deutsche Kulturleistung“ gesehen, ja sogar ein Vorbild für „völkische Identität“. Dies kommt jedoch nicht überein mit den kulturpolitischen Verhältnissen während der Regentschaft der letzten beiden Stauferkaiser. Kaiser Heinrich VI. trat noch selbst als deutscher Minnesänger hervor, sein Sohn Kaiser Friedrich II., der „puer Apuliae“, unterhielt dann an seinem sizilisch-apulischen Hof schon eine Dichterschule, die sich unter seiner persönlichen Mitwirkung zwar des Minnesang-Erbes bediente, aber nun italienisch dichtete und während der ersten Regungen der italienischen Renaissance schließlich über Petrarca und Dante eine neue Entwicklung einleitete, die bis ins frühe 17. Jahrhundert zu William Shakespeare reichte. Diese internationale statt nur nationale Bedeutung des Minnesangs wird in letzter Zeit stärker gesehen.
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